ten durchgehen." Und §. 8.: "Dies erfordert noch" -- geht diesem Satze dasselbe voraus, was dem in §. 13., so muß doch wohl dort wie hier dasselbe nothwendige Erforderniß folgen, und welches ist dies? -- "ein eigenes Aufsuchen der gemein- schaftlichen Quellen der einzelnen Eigenthümlich- keiten, das Zusammenziehen der zerstreuten Züge in das Bild eines organischen Ganzen." Es ist bei der Vergleichung dieser Sätze zu bemerken, daß was in dem letztern (§. 8.) "ein- zelne Eigenthümlichkeiten", "zerstreute Züge" genannt wird §. 13. "Einzelheiten und Theile" heißt; dagegen die "Ei- genthümlichkeiten, Gesetze, Richtungen und Bestrebungen des Verfahrens" (§. 13.) werden §. 8. "gemeinschaftliche Quellen, or- ganisches Ganzes" genannt. Sonst ist weiter kein Unterschied, als daß, was §. 13. als dargestellte Voraussetzung nochmals kurz in Erinnerung gebracht wird, §. 8. als Gegenstand der Unter- suchung angekündigt wird. So muß denn also der Punkt, wel- cher die organische Natur der Sprache ausmacht, aus dem §. 8. hervorgehen, da die §§. 9--12 nur die weitere Ausführung ent- halten. Hiernach scheint es uns eben so unwiderleglich als klar, daß, wenn Humboldt die Sprache organisch nennt, dies aus- drücklich ein "Bild" genannt wird, welches nichts anderes be- deutet, als daß in jeder Sprache eine der Individualität des Volksgeistes entsprechende individuelle Form liege, welche an jedem einzelnen Elemente haftet, weil sie der Thätigkeit der Sprachschöpfung selbst angehört. Und von dieser Form läßt sich also sagen, sie sei "die eine das Ganze durchdringende Kraft", durch welche alles in der Sprache besteht, und zwar gerade in der Eigenthümlichkeit, wie es besteht; und da sie vollständig jedem einzelnen Elemente anhaftet, so läßt sich sa- gen, es bestehe jedes durch sich selbst, oder durch das andere, oder durch das Ganze; denn alles besteht durch die allen ge- meinsame Form; und insofern dem ersten Elemente in der Sprach- schöpfung eine bestimmte Form verliehen ist, durch welche die Schöpfung aller folgenden Elemente, der Weise, wie dem In- halte nach, im voraus schon bestimmt sind, läßt sich sagen, mit dem ersten Elemente sei mit einem Schlage die ganze Sprache geschaffen. Diese Form ist also das Eigenthümliche der For- men, die Richtung und Bestrebung des Sprachverfahrens, der organische Springpunkt der Sprache.
Für diese Kategorie der Form der Sprache hat Becker kei-
ten durchgehen.“ Und §. 8.: „Dies erfordert noch“ — geht diesem Satze dasselbe voraus, was dem in §. 13., so muß doch wohl dort wie hier dasselbe nothwendige Erforderniß folgen, und welches ist dies? — „ein eigenes Aufsuchen der gemein- schaftlichen Quellen der einzelnen Eigenthümlich- keiten, das Zusammenziehen der zerstreuten Züge in das Bild eines organischen Ganzen.“ Es ist bei der Vergleichung dieser Sätze zu bemerken, daß was in dem letztern (§. 8.) „ein- zelne Eigenthümlichkeiten“, „zerstreute Züge“ genannt wird §. 13. „Einzelheiten und Theile“ heißt; dagegen die „Ei- genthümlichkeiten, Gesetze, Richtungen und Bestrebungen des Verfahrens“ (§. 13.) werden §. 8. „gemeinschaftliche Quellen, or- ganisches Ganzes“ genannt. Sonst ist weiter kein Unterschied, als daß, was §. 13. als dargestellte Voraussetzung nochmals kurz in Erinnerung gebracht wird, §. 8. als Gegenstand der Unter- suchung angekündigt wird. So muß denn also der Punkt, wel- cher die organische Natur der Sprache ausmacht, aus dem §. 8. hervorgehen, da die §§. 9—12 nur die weitere Ausführung ent- halten. Hiernach scheint es uns eben so unwiderleglich als klar, daß, wenn Humboldt die Sprache organisch nennt, dies aus- drücklich ein „Bild“ genannt wird, welches nichts anderes be- deutet, als daß in jeder Sprache eine der Individualität des Volksgeistes entsprechende individuelle Form liege, welche an jedem einzelnen Elemente haftet, weil sie der Thätigkeit der Sprachschöpfung selbst angehört. Und von dieser Form läßt sich also sagen, sie sei „die eine das Ganze durchdringende Kraft“, durch welche alles in der Sprache besteht, und zwar gerade in der Eigenthümlichkeit, wie es besteht; und da sie vollständig jedem einzelnen Elemente anhaftet, so läßt sich sa- gen, es bestehe jedes durch sich selbst, oder durch das andere, oder durch das Ganze; denn alles besteht durch die allen ge- meinsame Form; und insofern dem ersten Elemente in der Sprach- schöpfung eine bestimmte Form verliehen ist, durch welche die Schöpfung aller folgenden Elemente, der Weise, wie dem In- halte nach, im voraus schon bestimmt sind, läßt sich sagen, mit dem ersten Elemente sei mit einem Schlage die ganze Sprache geschaffen. Diese Form ist also das Eigenthümliche der For- men, die Richtung und Bestrebung des Sprachverfahrens, der organische Springpunkt der Sprache.
Für diese Kategorie der Form der Sprache hat Becker kei-
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ten durchgehen.“ Und §. 8.: „Dies erfordert noch“ — geht
diesem Satze dasselbe voraus, was dem in §. 13., so muß doch
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und welches ist dies? — „ein eigenes Aufsuchen der gemein-
schaftlichen Quellen der einzelnen Eigenthümlich-
keiten, das Zusammenziehen der zerstreuten Züge in das Bild
eines organischen Ganzen.“ Es ist bei der Vergleichung
dieser Sätze zu bemerken, daß was in dem letztern (§. 8.) „ein-
zelne Eigenthümlichkeiten“, „zerstreute Züge“ genannt wird
§. 13. „Einzelheiten und Theile“ heißt; dagegen die „Ei-
genthümlichkeiten, Gesetze, Richtungen und Bestrebungen des
Verfahrens“ (§. 13.) werden §. 8. „gemeinschaftliche Quellen, or-
ganisches Ganzes“ genannt. Sonst ist weiter kein Unterschied,
als daß, was §. 13. als dargestellte Voraussetzung nochmals kurz
in Erinnerung gebracht wird, §. 8. als Gegenstand der Unter-
suchung angekündigt wird. So muß denn also der Punkt, wel-
cher die organische Natur der Sprache ausmacht, aus dem §. 8.
hervorgehen, da die §§. 9—12 nur die weitere Ausführung ent-
halten. Hiernach scheint es uns eben so unwiderleglich als klar,
daß, wenn Humboldt die Sprache organisch nennt, dies aus-
drücklich ein „Bild“ genannt wird, welches nichts anderes be-
deutet, als daß in jeder Sprache eine der Individualität des
Volksgeistes entsprechende individuelle Form liege, welche
an jedem einzelnen Elemente haftet, weil sie der Thätigkeit der
Sprachschöpfung selbst angehört. Und von dieser Form läßt
sich also sagen, sie sei „die eine das Ganze durchdringende
Kraft“, durch welche alles in der Sprache besteht, und zwar
gerade in der Eigenthümlichkeit, wie es besteht; und da sie
vollständig jedem einzelnen Elemente anhaftet, so läßt sich sa-
gen, es bestehe jedes durch sich selbst, oder durch das andere,
oder durch das Ganze; denn alles besteht durch die allen ge-
meinsame Form; und insofern dem ersten Elemente in der Sprach-
schöpfung eine bestimmte Form verliehen ist, durch welche die
Schöpfung aller folgenden Elemente, der Weise, wie dem In-
halte nach, im voraus schon bestimmt sind, läßt sich sagen, mit
dem ersten Elemente sei mit einem Schlage die ganze Sprache
geschaffen. Diese Form ist also das Eigenthümliche der For-
men, die Richtung und Bestrebung des Sprachverfahrens, der
organische Springpunkt der Sprache.
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/171>, abgerufen am 24.11.2024.
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