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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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diesen Unterschied der Urtheile dennoch fest, nur in anderer
Weise; wir dagegen sprechen ihm jeden logischen Grund und
jede logische Berechtigung ab. Aber andererseits halten wir
den Unterschied von kategorischen und hypothetischen Sätzen
als einen grammatischen Unterschied aufrecht und zwar ge-
rade durch die Kategorien Inhärenz und Dependenz. Und außer-
dem, während wir die sogenannten hypothetischen Urtheile zu
den kategorischen ziehen, behauptet Herbart gerade im Gegen-
theil, daß das sogenannte kategorische Urtheil "allemal hypo-
thetisch" sei. Wir haben uns also hier nicht wenig gegen Her-
bart zu wehren.

Fangen wir damit an, zu sehen, welchen Unterschied zwi-
schen kategorischen und hypothetischen Sätzen er anstatt des
verworfenen von Inhärenz und Dependenz aufstellt. Er sagt
(das. §. 60): "Sehr gewöhnlich stellen sich Subject und Prädi-
cat unmittelbar als Begriffe dar; und alsdann wird die Verbin-
dung beider durch das Wörtchen ist, die Copula, entweder
wirklich ausgedrückt, oder man kann doch den Ausdruck auf
sie zurückführen. Allein in andern, ebenfalls häufigen Fällen,
werden Subject und Prädicat, als noch nicht fertige, sondern
erst zu bildende Begriffe, selbst in der Form von Urtheilen dar-
gestellt. Alsdann erscheint in der Sprachform keine Copula;
statt deren aber eine oder zwei Bezeichnungen, wodurch das
Subject als das Vorausgesetzte (antecedens), das Prädicat als
das Anzuknüpfende (mit einem zweideutigen Namen consequens,
während oftmals vielmehr jenes aus diesem folgt*) kenntlich
wird. Die deutsche Sprache hat dafür die Wörter wenn und
so; und in den Logiken findet man für das so zusammengesetzte
Urtheil den Namen des hypothetischen, während jenes erstere
mit der Copula die Benennung des kategorischen führt." Glaubt
man nicht in diesen Worten Herbarts einen Paragraphen der
deutschen Grammatik zu lesen? Der Unterschied zwischen ka-
tegorischen und hypothetischen Urtheilen besteht also bloß darin,
daß dort als Copula das Verbum ist dient, hier dagegen die
Conjunction wenn -- so. Und das ist auch unsere Meinung,
und darum sehen wir in der Unterscheidung jener Urtheile bloß

*) Man denke nur, fügen wir zur Erläuterung hinzu, an das oben ange-
führte: wenn es schönes Wetter ist, so steht das Quecksilber hoch, wofür auch
gesagt wird: wenn das Quecksilber hoch steht, so ist schönes Wetter. Ante-
cedens und consequens werden also verdreht.

diesen Unterschied der Urtheile dennoch fest, nur in anderer
Weise; wir dagegen sprechen ihm jeden logischen Grund und
jede logische Berechtigung ab. Aber andererseits halten wir
den Unterschied von kategorischen und hypothetischen Sätzen
als einen grammatischen Unterschied aufrecht und zwar ge-
rade durch die Kategorien Inhärenz und Dependenz. Und außer-
dem, während wir die sogenannten hypothetischen Urtheile zu
den kategorischen ziehen, behauptet Herbart gerade im Gegen-
theil, daß das sogenannte kategorische Urtheil „allemal hypo-
thetisch“ sei. Wir haben uns also hier nicht wenig gegen Her-
bart zu wehren.

Fangen wir damit an, zu sehen, welchen Unterschied zwi-
schen kategorischen und hypothetischen Sätzen er anstatt des
verworfenen von Inhärenz und Dependenz aufstellt. Er sagt
(das. §. 60): „Sehr gewöhnlich stellen sich Subject und Prädi-
cat unmittelbar als Begriffe dar; und alsdann wird die Verbin-
dung beider durch das Wörtchen ist, die Copula, entweder
wirklich ausgedrückt, oder man kann doch den Ausdruck auf
sie zurückführen. Allein in andern, ebenfalls häufigen Fällen,
werden Subject und Prädicat, als noch nicht fertige, sondern
erst zu bildende Begriffe, selbst in der Form von Urtheilen dar-
gestellt. Alsdann erscheint in der Sprachform keine Copula;
statt deren aber eine oder zwei Bezeichnungen, wodurch das
Subject als das Vorausgesetzte (antecedens), das Prädicat als
das Anzuknüpfende (mit einem zweideutigen Namen consequens,
während oftmals vielmehr jenes aus diesem folgt*) kenntlich
wird. Die deutsche Sprache hat dafür die Wörter wenn und
so; und in den Logiken findet man für das so zusammengesetzte
Urtheil den Namen des hypothetischen, während jenes erstere
mit der Copula die Benennung des kategorischen führt.“ Glaubt
man nicht in diesen Worten Herbarts einen Paragraphen der
deutschen Grammatik zu lesen? Der Unterschied zwischen ka-
tegorischen und hypothetischen Urtheilen besteht also bloß darin,
daß dort als Copula das Verbum ist dient, hier dagegen die
Conjunction wenn — so. Und das ist auch unsere Meinung,
und darum sehen wir in der Unterscheidung jener Urtheile bloß

*) Man denke nur, fügen wir zur Erläuterung hinzu, an das oben ange-
führte: wenn es schönes Wetter ist, so steht das Quecksilber hoch, wofür auch
gesagt wird: wenn das Quecksilber hoch steht, so ist schönes Wetter. Ante-
cedens und consequens werden also verdreht.
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[173/0211] diesen Unterschied der Urtheile dennoch fest, nur in anderer Weise; wir dagegen sprechen ihm jeden logischen Grund und jede logische Berechtigung ab. Aber andererseits halten wir den Unterschied von kategorischen und hypothetischen Sätzen als einen grammatischen Unterschied aufrecht und zwar ge- rade durch die Kategorien Inhärenz und Dependenz. Und außer- dem, während wir die sogenannten hypothetischen Urtheile zu den kategorischen ziehen, behauptet Herbart gerade im Gegen- theil, daß das sogenannte kategorische Urtheil „allemal hypo- thetisch“ sei. Wir haben uns also hier nicht wenig gegen Her- bart zu wehren. Fangen wir damit an, zu sehen, welchen Unterschied zwi- schen kategorischen und hypothetischen Sätzen er anstatt des verworfenen von Inhärenz und Dependenz aufstellt. Er sagt (das. §. 60): „Sehr gewöhnlich stellen sich Subject und Prädi- cat unmittelbar als Begriffe dar; und alsdann wird die Verbin- dung beider durch das Wörtchen ist, die Copula, entweder wirklich ausgedrückt, oder man kann doch den Ausdruck auf sie zurückführen. Allein in andern, ebenfalls häufigen Fällen, werden Subject und Prädicat, als noch nicht fertige, sondern erst zu bildende Begriffe, selbst in der Form von Urtheilen dar- gestellt. Alsdann erscheint in der Sprachform keine Copula; statt deren aber eine oder zwei Bezeichnungen, wodurch das Subject als das Vorausgesetzte (antecedens), das Prädicat als das Anzuknüpfende (mit einem zweideutigen Namen consequens, während oftmals vielmehr jenes aus diesem folgt *) kenntlich wird. Die deutsche Sprache hat dafür die Wörter wenn und so; und in den Logiken findet man für das so zusammengesetzte Urtheil den Namen des hypothetischen, während jenes erstere mit der Copula die Benennung des kategorischen führt.“ Glaubt man nicht in diesen Worten Herbarts einen Paragraphen der deutschen Grammatik zu lesen? Der Unterschied zwischen ka- tegorischen und hypothetischen Urtheilen besteht also bloß darin, daß dort als Copula das Verbum ist dient, hier dagegen die Conjunction wenn — so. Und das ist auch unsere Meinung, und darum sehen wir in der Unterscheidung jener Urtheile bloß *) Man denke nur, fügen wir zur Erläuterung hinzu, an das oben ange- führte: wenn es schönes Wetter ist, so steht das Quecksilber hoch, wofür auch gesagt wird: wenn das Quecksilber hoch steht, so ist schönes Wetter. Ante- cedens und consequens werden also verdreht.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/211>, abgerufen am 24.11.2024.