Diese Forderung muß nach der obigen Darlegung völlig unge- rechtfertigt genannt werden. "Und die Logik ist keine Sprach- lehre", grollt Herbart. "Wenn es grammatisch wesentliche For- men von Sätzen gäbe", fährt Trendelenburg fort, "die sich an keine logische Form anknüpfen ließen: so würde das gramma- tische Factum gegen den richtigen und vollständigen Bestand der Logik zeugen." Bei der Zusammenhangslosigkeit von Satz und Urtheil, bei ihrem ganz verschiedenen Wesen kann die Grammatik in keiner Weise ein Maßstab der Logik werden, so wenig wie sie es sich umgekehrt gefallen lassen kann, an der Logik gemessen zu werden. Wie soll die Logik den Imperativ-, den Wunsch-, den Erzähl-Satz begründen können? Sie gehören nicht in die Logik, sagt Aristoteles. Trotzdem fährt der beste Kenner des Aristoteles, der je gelebt hat, fort: "Ein solches Factum der Sprache ist das Urtheil des Zweckes; es hat sich eben so sehr, wie das hypothetische oder disjunctive Urtheil" (oben sahen wir, daß dies eben keine logischen Urtheilsformen seien) "seine eigenthümlichen Conjunctionen (auf daß, damit u. s. w.) hervorgebildet. In der formalen Logik findet es nir- gends seine Stelle" -- und mit Recht. Denn es giebt zwar Zwecksätze, aber keine Zweckurtheile, da die Zwecksätze, eben so sehr wie die Wunsch- und Befehl-Sätze, weder wahr noch falsch sein können. Daß Trendelenburg dies übersehen hat, läßt sich nicht aus seiner bloßen Neigung erklären, Gram- matik und Logik mindestens zu parallelisiren, wenn nicht zu identificiren; sondern man muß hinzunehmen, daß Trendelen- burg, was ihm als Philosophen zur Ehre gereicht, immer von der Kategorie des Zweckes voll ist, die in seinem Systeme eine bedeutendere Rolle, als in irgend einem andern spielt. Doch folgt weder aus der hohen Bedeutung des Zweckes, noch auch daraus, daß die Sprache Conjunctionen, wie damit,afin que, hat, die Berechtigung, Urtheile des Zweckes in der Logik auf- zustellen. Denn, fragen wir also, liegt in dem Zwecksatze eine Aussage, welche entweder wahr oder falsch ist? Keineswegs! Wenn jemand sagt: das Auge hat brechende Medien, damit es sehe, oder der Mensch steht aufrecht, damit er aufwärts blicken könne, so liegt in diesem Zwecksatze nur in derselben Bezie- hung etwas Wahres oder Falsches, als dies in der Erzählung Statt findet: ein Blinder wünschte: o, wenn ich doch den Himmel einmal sehen könnte! In dem Wunsche kann nichts Wahres
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Diese Forderung muß nach der obigen Darlegung völlig unge- rechtfertigt genannt werden. „Und die Logik ist keine Sprach- lehre“, grollt Herbart. „Wenn es grammatisch wesentliche For- men von Sätzen gäbe“, fährt Trendelenburg fort, „die sich an keine logische Form anknüpfen ließen: so würde das gramma- tische Factum gegen den richtigen und vollständigen Bestand der Logik zeugen.“ Bei der Zusammenhangslosigkeit von Satz und Urtheil, bei ihrem ganz verschiedenen Wesen kann die Grammatik in keiner Weise ein Maßstab der Logik werden, so wenig wie sie es sich umgekehrt gefallen lassen kann, an der Logik gemessen zu werden. Wie soll die Logik den Imperativ-, den Wunsch-, den Erzähl-Satz begründen können? Sie gehören nicht in die Logik, sagt Aristoteles. Trotzdem fährt der beste Kenner des Aristoteles, der je gelebt hat, fort: „Ein solches Factum der Sprache ist das Urtheil des Zweckes; es hat sich eben so sehr, wie das hypothetische oder disjunctive Urtheil“ (oben sahen wir, daß dies eben keine logischen Urtheilsformen seien) „seine eigenthümlichen Conjunctionen (auf daß, damit u. s. w.) hervorgebildet. In der formalen Logik findet es nir- gends seine Stelle“ — und mit Recht. Denn es giebt zwar Zwecksätze, aber keine Zweckurtheile, da die Zwecksätze, eben so sehr wie die Wunsch- und Befehl-Sätze, weder wahr noch falsch sein können. Daß Trendelenburg dies übersehen hat, läßt sich nicht aus seiner bloßen Neigung erklären, Gram- matik und Logik mindestens zu parallelisiren, wenn nicht zu identificiren; sondern man muß hinzunehmen, daß Trendelen- burg, was ihm als Philosophen zur Ehre gereicht, immer von der Kategorie des Zweckes voll ist, die in seinem Systeme eine bedeutendere Rolle, als in irgend einem andern spielt. Doch folgt weder aus der hohen Bedeutung des Zweckes, noch auch daraus, daß die Sprache Conjunctionen, wie damit,afin que, hat, die Berechtigung, Urtheile des Zweckes in der Logik auf- zustellen. Denn, fragen wir also, liegt in dem Zwecksatze eine Aussage, welche entweder wahr oder falsch ist? Keineswegs! Wenn jemand sagt: das Auge hat brechende Medien, damit es sehe, oder der Mensch steht aufrecht, damit er aufwärts blicken könne, so liegt in diesem Zwecksatze nur in derselben Bezie- hung etwas Wahres oder Falsches, als dies in der Erzählung Statt findet: ein Blinder wünschte: o, wenn ich doch den Himmel einmal sehen könnte! In dem Wunsche kann nichts Wahres
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Diese Forderung muß nach der obigen Darlegung völlig unge-
rechtfertigt genannt werden. „Und die Logik ist keine Sprach-
lehre“, grollt Herbart. „Wenn es grammatisch wesentliche For-
men von Sätzen gäbe“, fährt Trendelenburg fort, „die sich an
keine logische Form anknüpfen ließen: so würde das gramma-
tische Factum gegen den richtigen und vollständigen Bestand
der Logik zeugen.“ Bei der Zusammenhangslosigkeit von Satz
und Urtheil, bei ihrem ganz verschiedenen Wesen kann die
Grammatik in keiner Weise ein Maßstab der Logik werden, so
wenig wie sie es sich umgekehrt gefallen lassen kann, an der
Logik gemessen zu werden. Wie soll die Logik den Imperativ-,
den Wunsch-, den Erzähl-Satz begründen können? Sie gehören
nicht in die Logik, sagt Aristoteles. Trotzdem fährt der beste
Kenner des Aristoteles, der je gelebt hat, fort: „Ein solches
Factum der Sprache ist das Urtheil des Zweckes; es hat sich
eben so sehr, wie das hypothetische oder disjunctive Urtheil“
(oben sahen wir, daß dies eben keine logischen Urtheilsformen
seien) „seine eigenthümlichen Conjunctionen (auf daß, damit
u. s. w.) hervorgebildet. In der formalen Logik findet es nir-
gends seine Stelle“ — und mit Recht. Denn es giebt zwar
Zwecksätze, aber keine Zweckurtheile, da die Zwecksätze,
eben so sehr wie die Wunsch- und Befehl-Sätze, weder wahr
noch falsch sein können. Daß Trendelenburg dies übersehen
hat, läßt sich nicht aus seiner bloßen Neigung erklären, Gram-
matik und Logik mindestens zu parallelisiren, wenn nicht zu
identificiren; sondern man muß hinzunehmen, daß Trendelen-
burg, was ihm als Philosophen zur Ehre gereicht, immer von
der Kategorie des Zweckes voll ist, die in seinem Systeme eine
bedeutendere Rolle, als in irgend einem andern spielt. Doch
folgt weder aus der hohen Bedeutung des Zweckes, noch auch
daraus, daß die Sprache Conjunctionen, wie damit, afin que,
hat, die Berechtigung, Urtheile des Zweckes in der Logik auf-
zustellen. Denn, fragen wir also, liegt in dem Zwecksatze eine
Aussage, welche entweder wahr oder falsch ist? Keineswegs!
Wenn jemand sagt: das Auge hat brechende Medien, damit es
sehe, oder der Mensch steht aufrecht, damit er aufwärts blicken
könne, so liegt in diesem Zwecksatze nur in derselben Bezie-
hung etwas Wahres oder Falsches, als dies in der Erzählung
Statt findet: ein Blinder wünschte: o, wenn ich doch den Himmel
einmal sehen könnte! In dem Wunsche kann nichts Wahres
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/215>, abgerufen am 18.12.2024.
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