Sprache noch eine verschleierte Göttinn; die Blicke, die Hum- boldt durch den Schleier hat dringen lassen, sind nicht klar genug und haben auf seine Mit- und Nachwelt wenig Einfluß gewonnen. Wir haben gesehen, wie uns eine über ganz Deutsch- land verbreitete Richtung der Sprachwissenschaft, eine mecha- nische Mengung von naturphilosophischen Phrasen und ab- stract-logischen Kategorien, als eine den Manen Humboldts ge- widmete Sprachlehre dargeboten wird; sie soll mit seinen Ideen übereinstimmend gebildet sein, sie, die in jeder Einzelheit, wie nach ihrem allgemeinen Geiste Humboldt widerspricht.
Mit den Sprachhistorikern aber rechten wir nicht. Sie ha- ben ihn nie anders als dem Namen nach gekannt, und da wir anfangen, es ernstlich mit Humboldt zu nehmen, mit seiner Ver- ehrung und seinen Ideen: so wird er ihnen auch schon lästig. Indem man noch aus Gewohnheit oder Heuchelei die Phrase im Munde hat, "daß man ihn nie genug rühmen könne": be- klagt man sich doch, daß er wie eine Gottheit verehrt werde, uns als ein Buddha gelte -- er, der doch nicht einmal habe geläufig sanskritisch conjugiren können! O, ihr ewigen Sextaner!
Wir haben hier nicht die Aufgabe, alle die so eben ange- deuteten Punkte über das wundervolle Wesen der Sprache dar- zulegen und zu erläutern, ihre Bezüge zu entwickeln zur Meta- physik, zur Ethik, zu allen höchsten Ideen, zu allem was uns lieb und heilig ist. Wir beschränken uns hier auf das, was unser nächster Zweck erfordert, die trockne Entwicklung des Ursprungs der Sprache, und wollen froh sein, wenn es uns ge- lingt, hier einiges Licht zu gewinnen.
Wir lassen mit Humboldt die zeitliche Thatsache der Schö- pfung der ersten Menschen, wie der ersten Sprache, als uner- forschlich bei Seite. Wie der Naturforscher die Frage, wie die Thierarten und der Mensch entstanden seien, gar nicht aufwirft, als eine Frage, die außer dem Bereiche menschlicher Wissen- schaft liegt, so fragt auch der Sprachforscher nicht, wie die Sprache als einmalige Begebenheit geschaffen worden sei. Nur die Schöpfung, wie sie als das ewige Leben der Natur sich auch heute noch offenbart und zu allen Zeiten offenbart hat, gehört der Erforschung der Wissenschaft: und eben so bedeutet auch der Sprachwissenschaft der Ursprung der Sprache bloß, wie sie sich im Munde des Säuglings und im Munde des Re- denden im Augenblicke des Sprechens erzeugt.
Sprache noch eine verschleierte Göttinn; die Blicke, die Hum- boldt durch den Schleier hat dringen lassen, sind nicht klar genug und haben auf seine Mit- und Nachwelt wenig Einfluß gewonnen. Wir haben gesehen, wie uns eine über ganz Deutsch- land verbreitete Richtung der Sprachwissenschaft, eine mecha- nische Mengung von naturphilosophischen Phrasen und ab- stract-logischen Kategorien, als eine den Manen Humboldts ge- widmete Sprachlehre dargeboten wird; sie soll mit seinen Ideen übereinstimmend gebildet sein, sie, die in jeder Einzelheit, wie nach ihrem allgemeinen Geiste Humboldt widerspricht.
Mit den Sprachhistorikern aber rechten wir nicht. Sie ha- ben ihn nie anders als dem Namen nach gekannt, und da wir anfangen, es ernstlich mit Humboldt zu nehmen, mit seiner Ver- ehrung und seinen Ideen: so wird er ihnen auch schon lästig. Indem man noch aus Gewohnheit oder Heuchelei die Phrase im Munde hat, „daß man ihn nie genug rühmen könne“: be- klagt man sich doch, daß er wie eine Gottheit verehrt werde, uns als ein Buddha gelte — er, der doch nicht einmal habe geläufig sanskritisch conjugiren können! O, ihr ewigen Sextaner!
Wir haben hier nicht die Aufgabe, alle die so eben ange- deuteten Punkte über das wundervolle Wesen der Sprache dar- zulegen und zu erläutern, ihre Bezüge zu entwickeln zur Meta- physik, zur Ethik, zu allen höchsten Ideen, zu allem was uns lieb und heilig ist. Wir beschränken uns hier auf das, was unser nächster Zweck erfordert, die trockne Entwicklung des Ursprungs der Sprache, und wollen froh sein, wenn es uns ge- lingt, hier einiges Licht zu gewinnen.
Wir lassen mit Humboldt die zeitliche Thatsache der Schö- pfung der ersten Menschen, wie der ersten Sprache, als uner- forschlich bei Seite. Wie der Naturforscher die Frage, wie die Thierarten und der Mensch entstanden seien, gar nicht aufwirft, als eine Frage, die außer dem Bereiche menschlicher Wissen- schaft liegt, so fragt auch der Sprachforscher nicht, wie die Sprache als einmalige Begebenheit geschaffen worden sei. Nur die Schöpfung, wie sie als das ewige Leben der Natur sich auch heute noch offenbart und zu allen Zeiten offenbart hat, gehört der Erforschung der Wissenschaft: und eben so bedeutet auch der Sprachwissenschaft der Ursprung der Sprache bloß, wie sie sich im Munde des Säuglings und im Munde des Re- denden im Augenblicke des Sprechens erzeugt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0269"n="231"/>
Sprache noch eine verschleierte Göttinn; die Blicke, die Hum-<lb/>
boldt durch den Schleier hat dringen lassen, sind nicht klar<lb/>
genug und haben auf seine Mit- und Nachwelt wenig Einfluß<lb/>
gewonnen. Wir haben gesehen, wie uns eine über ganz Deutsch-<lb/>
land verbreitete Richtung der Sprachwissenschaft, eine mecha-<lb/>
nische Mengung von naturphilosophischen Phrasen und ab-<lb/>
stract-logischen Kategorien, als eine den Manen Humboldts ge-<lb/>
widmete Sprachlehre dargeboten wird; sie soll mit seinen Ideen<lb/>
übereinstimmend gebildet sein, sie, die in jeder Einzelheit, wie<lb/>
nach ihrem allgemeinen Geiste Humboldt widerspricht.</p><lb/><p>Mit den Sprachhistorikern aber rechten wir nicht. Sie ha-<lb/>
ben ihn nie anders als dem Namen nach gekannt, und da wir<lb/>
anfangen, es ernstlich mit Humboldt zu nehmen, mit seiner Ver-<lb/>
ehrung und seinen Ideen: so wird er ihnen auch schon lästig.<lb/>
Indem man noch aus Gewohnheit oder Heuchelei die Phrase<lb/>
im Munde hat, „daß man ihn nie genug rühmen könne“: be-<lb/>
klagt man sich doch, daß er wie eine Gottheit verehrt werde,<lb/>
uns als ein Buddha gelte — er, der doch nicht einmal habe<lb/>
geläufig sanskritisch conjugiren können! O, ihr ewigen Sextaner!</p><lb/><p>Wir haben hier nicht die Aufgabe, alle die so eben ange-<lb/>
deuteten Punkte über das wundervolle Wesen der Sprache dar-<lb/>
zulegen und zu erläutern, ihre Bezüge zu entwickeln zur Meta-<lb/>
physik, zur Ethik, zu allen höchsten Ideen, zu allem was uns<lb/>
lieb und heilig ist. Wir beschränken uns hier auf das, was<lb/>
unser nächster Zweck erfordert, die trockne Entwicklung des<lb/>
Ursprungs der Sprache, und wollen froh sein, wenn es uns ge-<lb/>
lingt, hier einiges Licht zu gewinnen.</p><lb/><p>Wir lassen mit Humboldt die zeitliche Thatsache der Schö-<lb/>
pfung der ersten Menschen, wie der ersten Sprache, als uner-<lb/>
forschlich bei Seite. Wie der Naturforscher die Frage, wie die<lb/>
Thierarten und der Mensch entstanden seien, gar nicht aufwirft,<lb/>
als eine Frage, die außer dem Bereiche menschlicher Wissen-<lb/>
schaft liegt, so fragt auch der Sprachforscher nicht, wie die<lb/>
Sprache als einmalige Begebenheit geschaffen worden sei. Nur<lb/>
die Schöpfung, wie sie als das ewige Leben der Natur sich<lb/>
auch heute noch offenbart und zu allen Zeiten offenbart hat,<lb/>
gehört der Erforschung der Wissenschaft: und eben so bedeutet<lb/>
auch der Sprachwissenschaft der Ursprung der Sprache bloß,<lb/>
wie sie sich im Munde des Säuglings und im Munde des Re-<lb/>
denden im Augenblicke des Sprechens erzeugt.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[231/0269]
Sprache noch eine verschleierte Göttinn; die Blicke, die Hum-
boldt durch den Schleier hat dringen lassen, sind nicht klar
genug und haben auf seine Mit- und Nachwelt wenig Einfluß
gewonnen. Wir haben gesehen, wie uns eine über ganz Deutsch-
land verbreitete Richtung der Sprachwissenschaft, eine mecha-
nische Mengung von naturphilosophischen Phrasen und ab-
stract-logischen Kategorien, als eine den Manen Humboldts ge-
widmete Sprachlehre dargeboten wird; sie soll mit seinen Ideen
übereinstimmend gebildet sein, sie, die in jeder Einzelheit, wie
nach ihrem allgemeinen Geiste Humboldt widerspricht.
Mit den Sprachhistorikern aber rechten wir nicht. Sie ha-
ben ihn nie anders als dem Namen nach gekannt, und da wir
anfangen, es ernstlich mit Humboldt zu nehmen, mit seiner Ver-
ehrung und seinen Ideen: so wird er ihnen auch schon lästig.
Indem man noch aus Gewohnheit oder Heuchelei die Phrase
im Munde hat, „daß man ihn nie genug rühmen könne“: be-
klagt man sich doch, daß er wie eine Gottheit verehrt werde,
uns als ein Buddha gelte — er, der doch nicht einmal habe
geläufig sanskritisch conjugiren können! O, ihr ewigen Sextaner!
Wir haben hier nicht die Aufgabe, alle die so eben ange-
deuteten Punkte über das wundervolle Wesen der Sprache dar-
zulegen und zu erläutern, ihre Bezüge zu entwickeln zur Meta-
physik, zur Ethik, zu allen höchsten Ideen, zu allem was uns
lieb und heilig ist. Wir beschränken uns hier auf das, was
unser nächster Zweck erfordert, die trockne Entwicklung des
Ursprungs der Sprache, und wollen froh sein, wenn es uns ge-
lingt, hier einiges Licht zu gewinnen.
Wir lassen mit Humboldt die zeitliche Thatsache der Schö-
pfung der ersten Menschen, wie der ersten Sprache, als uner-
forschlich bei Seite. Wie der Naturforscher die Frage, wie die
Thierarten und der Mensch entstanden seien, gar nicht aufwirft,
als eine Frage, die außer dem Bereiche menschlicher Wissen-
schaft liegt, so fragt auch der Sprachforscher nicht, wie die
Sprache als einmalige Begebenheit geschaffen worden sei. Nur
die Schöpfung, wie sie als das ewige Leben der Natur sich
auch heute noch offenbart und zu allen Zeiten offenbart hat,
gehört der Erforschung der Wissenschaft: und eben so bedeutet
auch der Sprachwissenschaft der Ursprung der Sprache bloß,
wie sie sich im Munde des Säuglings und im Munde des Re-
denden im Augenblicke des Sprechens erzeugt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/269>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.