so entwickelt und fein, daß er bestimmte Empfindungserkennt- nisse geben kann. Diese Localisirung zeigt sich auch darin, daß die Einwirkung auf einen als Sinnesnerven localisirten Ner- ven auf denselben beschränkt bleibt, während ein in einem Ge- fühlsnerven erregtes Gefühl weit über den Leib ausstrahlt. Ist irgend ein Punkt des Leibes verletzt, so dehnt sich das schmerz- hafte Gefühl weit über die verletzte Stelle aus; die schmerzende Gegend ist ungleich größer, als die Wunde. Der Sehnerv aber z. B. theilt seine Lichterregung keinem andern Nerven mit; und betasten wir mit der Fingerspitze die beiden Spitzen eines Zir- kels, so können diese letztern sehr nahe an einander stehen, und die Empfindung wird sie doch als zwei Spitzen von einander unterscheiden, weil jede Spitze besonders von einem Tastorgan empfunden wird, und die Empfindung des einen Organs nicht auf das andere ausstrahlt und übergeht, sondern die Empfindung jedes kleinen Organs auf sich beschränkt bleibt.
Mit dieser räumlichen, physiologischen Begrenzung der Em- pfindung ist nun die innere Begrenzung des seelischen Empfin- dungsinhaltes gegeben. Auf eine so bestimmt begrenzte Einwir- kung von außen auf die Seele, wie sie in der Sinnesempfindung vorliegt, antwortet die Seele in einer eben so begrenzten und bestimmten Weise, und das liefert den specifischen Inhalt der Empfindung, eine Farbe, einen Geschmack u. s. w. Die Seele setzt nicht mehr, wie im Gefühle, dem Eindrucke von außen ihr ganzes ungetheiltes Dasein entgegen, sondern nur eine be- stimmte Seite desselben, eine bestimmte Weise ihrer reagiren- den Thätigkeit. Es ist ein ganz isolirter Punkt des Leibes, von dem aus sie erregt wird: also antwortet sie auch mit einem ganz isolirten seelischen Erzeugnisse. Auf die Dumpfheit und Verworrenheit des äußern Andranges im Gefühl konnte sie nur eben so dumpf und verworren erwidern.
Jedoch die bloße Localisirung und Isolirung des äußern Eindruckes genügt noch nicht, um die volle Bestimmtheit einer Empfindung zu erklären. Es tritt noch etwas hinzu, was schon angedeutet ist, die bestimmte Form des Sinnesorgans. Die volle Scheidung verlangt, um nicht rein negativ, bloße Ab- sonderung zu bleiben, noch ein positives Princip, die Formung. Die eigenthümliche Form jedes Sinnesorgans leiht seiner Em- pfindung einen besondern Inhalt, und diese Form ist es erst, welche diesen bestimmten Empfindungsinhalt aus der unbestimm-
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so entwickelt und fein, daß er bestimmte Empfindungserkennt- nisse geben kann. Diese Localisirung zeigt sich auch darin, daß die Einwirkung auf einen als Sinnesnerven localisirten Ner- ven auf denselben beschränkt bleibt, während ein in einem Ge- fühlsnerven erregtes Gefühl weit über den Leib ausstrahlt. Ist irgend ein Punkt des Leibes verletzt, so dehnt sich das schmerz- hafte Gefühl weit über die verletzte Stelle aus; die schmerzende Gegend ist ungleich größer, als die Wunde. Der Sehnerv aber z. B. theilt seine Lichterregung keinem andern Nerven mit; und betasten wir mit der Fingerspitze die beiden Spitzen eines Zir- kels, so können diese letztern sehr nahe an einander stehen, und die Empfindung wird sie doch als zwei Spitzen von einander unterscheiden, weil jede Spitze besonders von einem Tastorgan empfunden wird, und die Empfindung des einen Organs nicht auf das andere ausstrahlt und übergeht, sondern die Empfindung jedes kleinen Organs auf sich beschränkt bleibt.
Mit dieser räumlichen, physiologischen Begrenzung der Em- pfindung ist nun die innere Begrenzung des seelischen Empfin- dungsinhaltes gegeben. Auf eine so bestimmt begrenzte Einwir- kung von außen auf die Seele, wie sie in der Sinnesempfindung vorliegt, antwortet die Seele in einer eben so begrenzten und bestimmten Weise, und das liefert den specifischen Inhalt der Empfindung, eine Farbe, einen Geschmack u. s. w. Die Seele setzt nicht mehr, wie im Gefühle, dem Eindrucke von außen ihr ganzes ungetheiltes Dasein entgegen, sondern nur eine be- stimmte Seite desselben, eine bestimmte Weise ihrer reagiren- den Thätigkeit. Es ist ein ganz isolirter Punkt des Leibes, von dem aus sie erregt wird: also antwortet sie auch mit einem ganz isolirten seelischen Erzeugnisse. Auf die Dumpfheit und Verworrenheit des äußern Andranges im Gefühl konnte sie nur eben so dumpf und verworren erwidern.
Jedoch die bloße Localisirung und Isolirung des äußern Eindruckes genügt noch nicht, um die volle Bestimmtheit einer Empfindung zu erklären. Es tritt noch etwas hinzu, was schon angedeutet ist, die bestimmte Form des Sinnesorgans. Die volle Scheidung verlangt, um nicht rein negativ, bloße Ab- sonderung zu bleiben, noch ein positives Princip, die Formung. Die eigenthümliche Form jedes Sinnesorgans leiht seiner Em- pfindung einen besondern Inhalt, und diese Form ist es erst, welche diesen bestimmten Empfindungsinhalt aus der unbestimm-
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so entwickelt und fein, daß er bestimmte Empfindungserkennt-
nisse geben kann. Diese Localisirung zeigt sich auch darin,
daß die Einwirkung auf einen als Sinnesnerven localisirten Ner-
ven auf denselben beschränkt bleibt, während ein in einem Ge-
fühlsnerven erregtes Gefühl weit über den Leib ausstrahlt. Ist
irgend ein Punkt des Leibes verletzt, so dehnt sich das schmerz-
hafte Gefühl weit über die verletzte Stelle aus; die schmerzende
Gegend ist ungleich größer, als die Wunde. Der Sehnerv aber
z. B. theilt seine Lichterregung keinem andern Nerven mit; und
betasten wir mit der Fingerspitze die beiden Spitzen eines Zir-
kels, so können diese letztern sehr nahe an einander stehen, und
die Empfindung wird sie doch als zwei Spitzen von einander
unterscheiden, weil jede Spitze besonders von einem Tastorgan
empfunden wird, und die Empfindung des einen Organs nicht
auf das andere ausstrahlt und übergeht, sondern die Empfindung
jedes kleinen Organs auf sich beschränkt bleibt.
Mit dieser räumlichen, physiologischen Begrenzung der Em-
pfindung ist nun die innere Begrenzung des seelischen Empfin-
dungsinhaltes gegeben. Auf eine so bestimmt begrenzte Einwir-
kung von außen auf die Seele, wie sie in der Sinnesempfindung
vorliegt, antwortet die Seele in einer eben so begrenzten und
bestimmten Weise, und das liefert den specifischen Inhalt der
Empfindung, eine Farbe, einen Geschmack u. s. w. Die Seele
setzt nicht mehr, wie im Gefühle, dem Eindrucke von außen
ihr ganzes ungetheiltes Dasein entgegen, sondern nur eine be-
stimmte Seite desselben, eine bestimmte Weise ihrer reagiren-
den Thätigkeit. Es ist ein ganz isolirter Punkt des Leibes, von
dem aus sie erregt wird: also antwortet sie auch mit einem
ganz isolirten seelischen Erzeugnisse. Auf die Dumpfheit und
Verworrenheit des äußern Andranges im Gefühl konnte sie nur
eben so dumpf und verworren erwidern.
Jedoch die bloße Localisirung und Isolirung des äußern
Eindruckes genügt noch nicht, um die volle Bestimmtheit einer
Empfindung zu erklären. Es tritt noch etwas hinzu, was schon
angedeutet ist, die bestimmte Form des Sinnesorgans.
Die volle Scheidung verlangt, um nicht rein negativ, bloße Ab-
sonderung zu bleiben, noch ein positives Princip, die Formung.
Die eigenthümliche Form jedes Sinnesorgans leiht seiner Em-
pfindung einen besondern Inhalt, und diese Form ist es erst,
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/279>, abgerufen am 21.11.2024.
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