Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

eine andere äußere oder innere Beziehung zeigen), durch seine
Reproduction bewirkt, daß auch das andere zugleich mit repro-
ducirt wird; oder daß eine Bewegung zugleich noch eine an-
dere erzeugt, sei es aus Ungeschicklichkeit oder Gewohnheit;
oder daß ein Gedachtes und eine Bewegung sich gegenseitig
hervorrufen, und zwar ohne Willen und bewußte Absicht. Un-
ter Reflexion versteht man die Erscheinung, daß eine Ner-
venerregung, die zum Gehirn oder Rückenmark geleitet worden
ist, daselbst nicht endet, sondern von da aus auf andere Nerven
übergeht. Reflexion ist also z. B. die Uebertragung der Erre-
gung eines Empfindungsnerven vermittelst des Gehirns auf ei-
nen Bewegungsnerven. Sie thut sich dadurch kund, daß auf
gewisse Empfindungen oder Bewegungen nach dem Gesetze der
Nervenmechanik unausbleiblich noch eine andere Bewegung er-
folgt. Diese Uebertragung geschieht allemal ohne Absicht, oft
gegen die Absicht, nach bloßen Naturgesetzen. Die Associa-
tion der Bewegung sowohl mit andern Bewegungen, als mit Vor-
stellungen mag von der Uebertragung nicht immer bestimmt zu
unterscheiden sein. Im Allgemeinen aber wird es genügen zu
bemerken, daß die Association ursprünglich zwar ebenfalls be-
wußtlos geschieht, aber durch Absicht eben so wohl entwickelt,
als auch aufgehoben werden kann; daß sie nicht unvermeidlich
ist, sondern durch Zufall und Absicht erzeugt und gestört wer-
den kann. Associationen sind oft nur übele Angewohnheiten,
welche bei höherer Bildung nicht vorkommen. Leute, deren
Hand leichter den Pflug und ein Gespann, als die Feder regiert,
verzerren beim Schreiben das Gesicht gar wunderlich. Ueber-
haupt bewegt der Ungebildete immer Massen von Nerven oder
Gliedern, während der Gebildete gelernt hat, nur das jedesmal
nothwendige Glied zu bewegen. Die Associationen sind theils
nützlich und zweckmäßig, theils unnütz und zweckwidrig; er-
stere hat man sich anzueignen, von letztern sich loszumachen.
Das Klavierspiel und jedes geschickt geübte Handwerk liefert
Beispiele von abgewöhnter und angelernter Association, von iso-
lirter und combinirter Seelenerregung, die zur zweiten Natur
geworden sind. Die Uebertragung dagegen, die weder gelernt,
noch abgewöhnt wird, scheint auch immer zweckmäßig zu sein,
selbst in den Fällen, wo sie unnütz erscheint, weil eine zu große
fremde Gewalt den Zweck nicht erreichen läßt. Soviel im All-
gemeinen. Nun einiges Nähere, wobei uns besonders die Ver-

eine andere äußere oder innere Beziehung zeigen), durch seine
Reproduction bewirkt, daß auch das andere zugleich mit repro-
ducirt wird; oder daß eine Bewegung zugleich noch eine an-
dere erzeugt, sei es aus Ungeschicklichkeit oder Gewohnheit;
oder daß ein Gedachtes und eine Bewegung sich gegenseitig
hervorrufen, und zwar ohne Willen und bewußte Absicht. Un-
ter Reflexion versteht man die Erscheinung, daß eine Ner-
venerregung, die zum Gehirn oder Rückenmark geleitet worden
ist, daselbst nicht endet, sondern von da aus auf andere Nerven
übergeht. Reflexion ist also z. B. die Uebertragung der Erre-
gung eines Empfindungsnerven vermittelst des Gehirns auf ei-
nen Bewegungsnerven. Sie thut sich dadurch kund, daß auf
gewisse Empfindungen oder Bewegungen nach dem Gesetze der
Nervenmechanik unausbleiblich noch eine andere Bewegung er-
folgt. Diese Uebertragung geschieht allemal ohne Absicht, oft
gegen die Absicht, nach bloßen Naturgesetzen. Die Associa-
tion der Bewegung sowohl mit andern Bewegungen, als mit Vor-
stellungen mag von der Uebertragung nicht immer bestimmt zu
unterscheiden sein. Im Allgemeinen aber wird es genügen zu
bemerken, daß die Association ursprünglich zwar ebenfalls be-
wußtlos geschieht, aber durch Absicht eben so wohl entwickelt,
als auch aufgehoben werden kann; daß sie nicht unvermeidlich
ist, sondern durch Zufall und Absicht erzeugt und gestört wer-
den kann. Associationen sind oft nur übele Angewohnheiten,
welche bei höherer Bildung nicht vorkommen. Leute, deren
Hand leichter den Pflug und ein Gespann, als die Feder regiert,
verzerren beim Schreiben das Gesicht gar wunderlich. Ueber-
haupt bewegt der Ungebildete immer Massen von Nerven oder
Gliedern, während der Gebildete gelernt hat, nur das jedesmal
nothwendige Glied zu bewegen. Die Associationen sind theils
nützlich und zweckmäßig, theils unnütz und zweckwidrig; er-
stere hat man sich anzueignen, von letztern sich loszumachen.
Das Klavierspiel und jedes geschickt geübte Handwerk liefert
Beispiele von abgewöhnter und angelernter Association, von iso-
lirter und combinirter Seelenerregung, die zur zweiten Natur
geworden sind. Die Uebertragung dagegen, die weder gelernt,
noch abgewöhnt wird, scheint auch immer zweckmäßig zu sein,
selbst in den Fällen, wo sie unnütz erscheint, weil eine zu große
fremde Gewalt den Zweck nicht erreichen läßt. Soviel im All-
gemeinen. Nun einiges Nähere, wobei uns besonders die Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0285" n="247"/>
eine andere äußere oder innere Beziehung zeigen), durch seine<lb/>
Reproduction bewirkt, daß auch das andere zugleich mit repro-<lb/>
ducirt wird; oder daß eine Bewegung zugleich noch eine an-<lb/>
dere erzeugt, sei es aus Ungeschicklichkeit oder Gewohnheit;<lb/>
oder daß ein Gedachtes und eine Bewegung sich gegenseitig<lb/>
hervorrufen, und zwar ohne Willen und bewußte Absicht. Un-<lb/>
ter <hi rendition="#g">Reflexion</hi> versteht man die Erscheinung, daß eine Ner-<lb/>
venerregung, die zum Gehirn oder Rückenmark geleitet worden<lb/>
ist, daselbst nicht endet, sondern von da aus auf andere Nerven<lb/>
übergeht. Reflexion ist also z. B. die Uebertragung der Erre-<lb/>
gung eines Empfindungsnerven vermittelst des Gehirns auf ei-<lb/>
nen Bewegungsnerven. Sie thut sich dadurch kund, daß auf<lb/>
gewisse Empfindungen oder Bewegungen nach dem Gesetze der<lb/>
Nervenmechanik unausbleiblich noch eine andere Bewegung er-<lb/>
folgt. Diese Uebertragung geschieht allemal ohne Absicht, oft<lb/>
gegen die Absicht, nach bloßen Naturgesetzen. Die Associa-<lb/>
tion der Bewegung sowohl mit andern Bewegungen, als mit Vor-<lb/>
stellungen mag von der Uebertragung nicht immer bestimmt zu<lb/>
unterscheiden sein. Im Allgemeinen aber wird es genügen zu<lb/>
bemerken, daß die Association ursprünglich zwar ebenfalls be-<lb/>
wußtlos geschieht, aber durch Absicht eben so wohl entwickelt,<lb/>
als auch aufgehoben werden kann; daß sie nicht unvermeidlich<lb/>
ist, sondern durch Zufall und Absicht erzeugt und gestört wer-<lb/>
den kann. Associationen sind oft nur übele Angewohnheiten,<lb/>
welche bei höherer Bildung nicht vorkommen. Leute, deren<lb/>
Hand leichter den Pflug und ein Gespann, als die Feder regiert,<lb/>
verzerren beim Schreiben das Gesicht gar wunderlich. Ueber-<lb/>
haupt bewegt der Ungebildete immer Massen von Nerven oder<lb/>
Gliedern, während der Gebildete gelernt hat, nur das jedesmal<lb/>
nothwendige Glied zu bewegen. Die Associationen sind theils<lb/>
nützlich und zweckmäßig, theils unnütz und zweckwidrig; er-<lb/>
stere hat man sich anzueignen, von letztern sich loszumachen.<lb/>
Das Klavierspiel und jedes geschickt geübte Handwerk liefert<lb/>
Beispiele von abgewöhnter und angelernter Association, von iso-<lb/>
lirter und combinirter Seelenerregung, die zur zweiten Natur<lb/>
geworden sind. Die Uebertragung dagegen, die weder gelernt,<lb/>
noch abgewöhnt wird, scheint auch immer zweckmäßig zu sein,<lb/>
selbst in den Fällen, wo sie unnütz erscheint, weil eine zu große<lb/>
fremde Gewalt den Zweck nicht erreichen läßt. Soviel im All-<lb/>
gemeinen. Nun einiges Nähere, wobei uns besonders die Ver-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0285] eine andere äußere oder innere Beziehung zeigen), durch seine Reproduction bewirkt, daß auch das andere zugleich mit repro- ducirt wird; oder daß eine Bewegung zugleich noch eine an- dere erzeugt, sei es aus Ungeschicklichkeit oder Gewohnheit; oder daß ein Gedachtes und eine Bewegung sich gegenseitig hervorrufen, und zwar ohne Willen und bewußte Absicht. Un- ter Reflexion versteht man die Erscheinung, daß eine Ner- venerregung, die zum Gehirn oder Rückenmark geleitet worden ist, daselbst nicht endet, sondern von da aus auf andere Nerven übergeht. Reflexion ist also z. B. die Uebertragung der Erre- gung eines Empfindungsnerven vermittelst des Gehirns auf ei- nen Bewegungsnerven. Sie thut sich dadurch kund, daß auf gewisse Empfindungen oder Bewegungen nach dem Gesetze der Nervenmechanik unausbleiblich noch eine andere Bewegung er- folgt. Diese Uebertragung geschieht allemal ohne Absicht, oft gegen die Absicht, nach bloßen Naturgesetzen. Die Associa- tion der Bewegung sowohl mit andern Bewegungen, als mit Vor- stellungen mag von der Uebertragung nicht immer bestimmt zu unterscheiden sein. Im Allgemeinen aber wird es genügen zu bemerken, daß die Association ursprünglich zwar ebenfalls be- wußtlos geschieht, aber durch Absicht eben so wohl entwickelt, als auch aufgehoben werden kann; daß sie nicht unvermeidlich ist, sondern durch Zufall und Absicht erzeugt und gestört wer- den kann. Associationen sind oft nur übele Angewohnheiten, welche bei höherer Bildung nicht vorkommen. Leute, deren Hand leichter den Pflug und ein Gespann, als die Feder regiert, verzerren beim Schreiben das Gesicht gar wunderlich. Ueber- haupt bewegt der Ungebildete immer Massen von Nerven oder Gliedern, während der Gebildete gelernt hat, nur das jedesmal nothwendige Glied zu bewegen. Die Associationen sind theils nützlich und zweckmäßig, theils unnütz und zweckwidrig; er- stere hat man sich anzueignen, von letztern sich loszumachen. Das Klavierspiel und jedes geschickt geübte Handwerk liefert Beispiele von abgewöhnter und angelernter Association, von iso- lirter und combinirter Seelenerregung, die zur zweiten Natur geworden sind. Die Uebertragung dagegen, die weder gelernt, noch abgewöhnt wird, scheint auch immer zweckmäßig zu sein, selbst in den Fällen, wo sie unnütz erscheint, weil eine zu große fremde Gewalt den Zweck nicht erreichen läßt. Soviel im All- gemeinen. Nun einiges Nähere, wobei uns besonders die Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/285
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/285>, abgerufen am 22.11.2024.