ganzen Complex zu einem Dinge gehörten. Es wird also eine bloß geistige Abstraction sein, welche Weiß und Kalt als Qua- litäten des Schnees sowohl unter sich unterscheidet, als auch von dem Dinge, an welchem sie haften, ablöst. Und dies wird nicht ohne das Wort geschehen können.
Wir nannten diese Stufe der Seelenentwickelung, die Stufe der Wahrnehmung oder sinnlichen Anschauung, die thierische. Wir haben schon einige Andeutungen gefunden, daß sich die weitere Bildung der Seele nicht ohne Sprache werde erzielen lassen, daß die Sprache auf dem Punkte, zu dem unsere Be- trachtung gelangt ist, werde hervorbrechen müssen. So wollen wir denn nun auch hier untersuchen, wie weit die thierische See- lenbildung gelangen mag.
§. 89. Entwickelungsstufe der Thierseele.
Wir sagten, es gebe keine Anschauungen von Gattungen und Arten, überhaupt von Allgemeinem; sondern Gegenstand und Inhalt der anschauenden Seele sei das wirklich daseiende Einzelne. Das Bewußtsein des Thiers würde demnach auf die Kenntniß von Individuen beschränkt sein, ohne diese zu Arten zusammenzufassen und Arten von einander zu unterscheiden. Und ich denke, dem ist so. Der Hund unterscheidet Hunde von einander, Menschen von einander, und unterscheidet einen Hund von einem Menschen und beide von einem Pferde. Aber was beweist das? daß er den Menschen als diese besondere Art von Wesen, daß er das Pferd als diese besondere Thierart auf- faßt, und der Art, zu welcher er selbst gehört, als davon ver- schiedene Arten entgegensetzt? Keineswegs. Der Hund unter- scheidet einen Hund, ein Pferd und einen Menschen als drei verschiedene Individuen, wie er verschiedene Hunde und meh- rere Menschen ebenfalls als besondere Individuen scheidet. Er sieht freilich ganz unfehlbar, daß Mensch und Mensch, Hund und Hund sich ähnlicher sind, als Mensch und Hund. Aber al- les das beweist noch nicht, daß er die Grade der Aehnlichkeit nach Arten bestimmt, daß er die in bestimmten Grenzen be- harrenden Verschiedenheiten als Art zusammenfaßt. Er sieht nur Individuen, mehr oder weniger verschiedene. -- Der Hund unterscheidet den Hund von der Hündinn; unterscheidet er nun in seinem Bewußtsein wohl auch ein männliches und weibliches Geschlecht? Ich kann es nicht glauben. Der Hund unterschei- det auch ohne Zweifel den Mann vom Weibe, den Stier von
ganzen Complex zu einem Dinge gehörten. Es wird also eine bloß geistige Abstraction sein, welche Weiß und Kalt als Qua- litäten des Schnees sowohl unter sich unterscheidet, als auch von dem Dinge, an welchem sie haften, ablöst. Und dies wird nicht ohne das Wort geschehen können.
Wir nannten diese Stufe der Seelenentwickelung, die Stufe der Wahrnehmung oder sinnlichen Anschauung, die thierische. Wir haben schon einige Andeutungen gefunden, daß sich die weitere Bildung der Seele nicht ohne Sprache werde erzielen lassen, daß die Sprache auf dem Punkte, zu dem unsere Be- trachtung gelangt ist, werde hervorbrechen müssen. So wollen wir denn nun auch hier untersuchen, wie weit die thierische See- lenbildung gelangen mag.
§. 89. Entwickelungsstufe der Thierseele.
Wir sagten, es gebe keine Anschauungen von Gattungen und Arten, überhaupt von Allgemeinem; sondern Gegenstand und Inhalt der anschauenden Seele sei das wirklich daseiende Einzelne. Das Bewußtsein des Thiers würde demnach auf die Kenntniß von Individuen beschränkt sein, ohne diese zu Arten zusammenzufassen und Arten von einander zu unterscheiden. Und ich denke, dem ist so. Der Hund unterscheidet Hunde von einander, Menschen von einander, und unterscheidet einen Hund von einem Menschen und beide von einem Pferde. Aber was beweist das? daß er den Menschen als diese besondere Art von Wesen, daß er das Pferd als diese besondere Thierart auf- faßt, und der Art, zu welcher er selbst gehört, als davon ver- schiedene Arten entgegensetzt? Keineswegs. Der Hund unter- scheidet einen Hund, ein Pferd und einen Menschen als drei verschiedene Individuen, wie er verschiedene Hunde und meh- rere Menschen ebenfalls als besondere Individuen scheidet. Er sieht freilich ganz unfehlbar, daß Mensch und Mensch, Hund und Hund sich ähnlicher sind, als Mensch und Hund. Aber al- les das beweist noch nicht, daß er die Grade der Aehnlichkeit nach Arten bestimmt, daß er die in bestimmten Grenzen be- harrenden Verschiedenheiten als Art zusammenfaßt. Er sieht nur Individuen, mehr oder weniger verschiedene. — Der Hund unterscheidet den Hund von der Hündinn; unterscheidet er nun in seinem Bewußtsein wohl auch ein männliches und weibliches Geschlecht? Ich kann es nicht glauben. Der Hund unterschei- det auch ohne Zweifel den Mann vom Weibe, den Stier von
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ganzen Complex zu einem Dinge gehörten. Es wird also eine
bloß geistige Abstraction sein, welche Weiß und Kalt als Qua-
litäten des Schnees sowohl unter sich unterscheidet, als auch
von dem Dinge, an welchem sie haften, ablöst. Und dies wird
nicht ohne das Wort geschehen können.
Wir nannten diese Stufe der Seelenentwickelung, die Stufe
der Wahrnehmung oder sinnlichen Anschauung, die thierische.
Wir haben schon einige Andeutungen gefunden, daß sich die
weitere Bildung der Seele nicht ohne Sprache werde erzielen
lassen, daß die Sprache auf dem Punkte, zu dem unsere Be-
trachtung gelangt ist, werde hervorbrechen müssen. So wollen
wir denn nun auch hier untersuchen, wie weit die thierische See-
lenbildung gelangen mag.
§. 89. Entwickelungsstufe der Thierseele.
Wir sagten, es gebe keine Anschauungen von Gattungen
und Arten, überhaupt von Allgemeinem; sondern Gegenstand
und Inhalt der anschauenden Seele sei das wirklich daseiende
Einzelne. Das Bewußtsein des Thiers würde demnach auf die
Kenntniß von Individuen beschränkt sein, ohne diese zu Arten
zusammenzufassen und Arten von einander zu unterscheiden.
Und ich denke, dem ist so. Der Hund unterscheidet Hunde
von einander, Menschen von einander, und unterscheidet einen
Hund von einem Menschen und beide von einem Pferde. Aber
was beweist das? daß er den Menschen als diese besondere Art
von Wesen, daß er das Pferd als diese besondere Thierart auf-
faßt, und der Art, zu welcher er selbst gehört, als davon ver-
schiedene Arten entgegensetzt? Keineswegs. Der Hund unter-
scheidet einen Hund, ein Pferd und einen Menschen als drei
verschiedene Individuen, wie er verschiedene Hunde und meh-
rere Menschen ebenfalls als besondere Individuen scheidet. Er
sieht freilich ganz unfehlbar, daß Mensch und Mensch, Hund
und Hund sich ähnlicher sind, als Mensch und Hund. Aber al-
les das beweist noch nicht, daß er die Grade der Aehnlichkeit
nach Arten bestimmt, daß er die in bestimmten Grenzen be-
harrenden Verschiedenheiten als Art zusammenfaßt. Er sieht
nur Individuen, mehr oder weniger verschiedene. — Der Hund
unterscheidet den Hund von der Hündinn; unterscheidet er nun
in seinem Bewußtsein wohl auch ein männliches und weibliches
Geschlecht? Ich kann es nicht glauben. Der Hund unterschei-
det auch ohne Zweifel den Mann vom Weibe, den Stier von
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/302>, abgerufen am 22.11.2024.
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