Wenn z. B. ein Hund Hunger hat, so treibt ihn dieses Gefühl zum Bellen, und man giebt ihm zu essen. Diese Reihe von Anschauungen wird ihm bleiben; und wenn er wieder Hunger hat, so wird er wieder bellen, damit man ihm wieder etwas zu essen gebe. Solche Schlüsse, die innerhalb der Anschauung bleiben, mag man den höhern Thieren in weitem Umfange zu- schreiben. Der Hund wird seinen Schluß inductiv erweitern: man hat mir auf mein Bellen zu essen gegeben, man hat also meinen Willen gethan; jetzt will ich wieder etwas, ich werde wieder bellen, und man wird wieder meinen Willen thun. Solche Schlüsse nach Analogie und Induction mögen meist noch durch einen rein physischen Drang unterstützt werden.
Wir können nicht verwundert sein, oder müssen sogar er- warten, bei den Thieren Keime der Sprache zu finden. Denn ist die Sprache eine Reflexionsbewegung, und erfolgen solche reflectirte Bewegungen auf Gefühle und Empfindungen und hö- here Seelenthätigkeiten, so kann die Sprache auch schon bei den Thieren sich finden, nur in einer angemessenen Stufe. Das Gemeingefühl spricht sich lebendig im Geschrei und Gesang der Thiere aus, wie alle besondern Gefühle der Lust und Unlust. Wir nehmen hier das Gemeingefühl in dem oben bestimmten Sinne, als die allgemeine Weise, wie sich die Seele im Körper fühlt. Es ist also das Gefühls-Ich. Aber auch hier tritt ge- rade da, wo wir auf das Einzelnste zu stoßen meinen, ein All- gemeines, Gemeinsames hervor. Der Wettgesang der Vögel ist eine wahre thierische Unterredung und bekundet die gefühlte Einheit der Gattung. Ebenso eine Heerde Schafe, die durch einander blöken, und der Hund, der seinem bellenden Nachbar bellend antwortet.
Hierauf, ich meine auf die tönenden Ausbrüche des Ge- meingefühls, lege ich ein größeres Gewicht, als auf das Win- seln des Hundes, der etwa vor einer geschlossenen Thür liegt und einen vorübergehenden Menschen um Hülfe anzurufen scheint, oder durch Bellen und Kratzen sich bemerklich machend die im Zimmer befindlichen Personen um Eröffnung der Thüre bit- tet. Hier liegt freilich eine sehr vielfache Association von An- schauungen vor: Erwartung, daß wir Mitleid mit ihm haben, d. h. ihn verstehen werden; was zugleich ausdrückt, daß er wisse, wir haben die Kraft, die ihm fehle, die Macht ihm zu helfen. Nur legt man gar zu leicht mehr hinein, als darin lie-
Wenn z. B. ein Hund Hunger hat, so treibt ihn dieses Gefühl zum Bellen, und man giebt ihm zu essen. Diese Reihe von Anschauungen wird ihm bleiben; und wenn er wieder Hunger hat, so wird er wieder bellen, damit man ihm wieder etwas zu essen gebe. Solche Schlüsse, die innerhalb der Anschauung bleiben, mag man den höhern Thieren in weitem Umfange zu- schreiben. Der Hund wird seinen Schluß inductiv erweitern: man hat mir auf mein Bellen zu essen gegeben, man hat also meinen Willen gethan; jetzt will ich wieder etwas, ich werde wieder bellen, und man wird wieder meinen Willen thun. Solche Schlüsse nach Analogie und Induction mögen meist noch durch einen rein physischen Drang unterstützt werden.
Wir können nicht verwundert sein, oder müssen sogar er- warten, bei den Thieren Keime der Sprache zu finden. Denn ist die Sprache eine Reflexionsbewegung, und erfolgen solche reflectirte Bewegungen auf Gefühle und Empfindungen und hö- here Seelenthätigkeiten, so kann die Sprache auch schon bei den Thieren sich finden, nur in einer angemessenen Stufe. Das Gemeingefühl spricht sich lebendig im Geschrei und Gesang der Thiere aus, wie alle besondern Gefühle der Lust und Unlust. Wir nehmen hier das Gemeingefühl in dem oben bestimmten Sinne, als die allgemeine Weise, wie sich die Seele im Körper fühlt. Es ist also das Gefühls-Ich. Aber auch hier tritt ge- rade da, wo wir auf das Einzelnste zu stoßen meinen, ein All- gemeines, Gemeinsames hervor. Der Wettgesang der Vögel ist eine wahre thierische Unterredung und bekundet die gefühlte Einheit der Gattung. Ebenso eine Heerde Schafe, die durch einander blöken, und der Hund, der seinem bellenden Nachbar bellend antwortet.
Hierauf, ich meine auf die tönenden Ausbrüche des Ge- meingefühls, lege ich ein größeres Gewicht, als auf das Win- seln des Hundes, der etwa vor einer geschlossenen Thür liegt und einen vorübergehenden Menschen um Hülfe anzurufen scheint, oder durch Bellen und Kratzen sich bemerklich machend die im Zimmer befindlichen Personen um Eröffnung der Thüre bit- tet. Hier liegt freilich eine sehr vielfache Association von An- schauungen vor: Erwartung, daß wir Mitleid mit ihm haben, d. h. ihn verstehen werden; was zugleich ausdrückt, daß er wisse, wir haben die Kraft, die ihm fehle, die Macht ihm zu helfen. Nur legt man gar zu leicht mehr hinein, als darin lie-
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Wenn z. B. ein Hund Hunger hat, so treibt ihn dieses Gefühl
zum Bellen, und man giebt ihm zu essen. Diese Reihe von
Anschauungen wird ihm bleiben; und wenn er wieder Hunger
hat, so wird er wieder bellen, damit man ihm wieder etwas zu
essen gebe. Solche Schlüsse, die innerhalb der Anschauung
bleiben, mag man den höhern Thieren in weitem Umfange zu-
schreiben. Der Hund wird seinen Schluß inductiv erweitern:
man hat mir auf mein Bellen zu essen gegeben, man hat also
meinen Willen gethan; jetzt will ich wieder etwas, ich werde
wieder bellen, und man wird wieder meinen Willen thun. Solche
Schlüsse nach Analogie und Induction mögen meist noch durch
einen rein physischen Drang unterstützt werden.
Wir können nicht verwundert sein, oder müssen sogar er-
warten, bei den Thieren Keime der Sprache zu finden. Denn
ist die Sprache eine Reflexionsbewegung, und erfolgen solche
reflectirte Bewegungen auf Gefühle und Empfindungen und hö-
here Seelenthätigkeiten, so kann die Sprache auch schon bei
den Thieren sich finden, nur in einer angemessenen Stufe. Das
Gemeingefühl spricht sich lebendig im Geschrei und Gesang der
Thiere aus, wie alle besondern Gefühle der Lust und Unlust.
Wir nehmen hier das Gemeingefühl in dem oben bestimmten
Sinne, als die allgemeine Weise, wie sich die Seele im Körper
fühlt. Es ist also das Gefühls-Ich. Aber auch hier tritt ge-
rade da, wo wir auf das Einzelnste zu stoßen meinen, ein All-
gemeines, Gemeinsames hervor. Der Wettgesang der Vögel ist
eine wahre thierische Unterredung und bekundet die gefühlte
Einheit der Gattung. Ebenso eine Heerde Schafe, die durch
einander blöken, und der Hund, der seinem bellenden Nachbar
bellend antwortet.
Hierauf, ich meine auf die tönenden Ausbrüche des Ge-
meingefühls, lege ich ein größeres Gewicht, als auf das Win-
seln des Hundes, der etwa vor einer geschlossenen Thür liegt
und einen vorübergehenden Menschen um Hülfe anzurufen scheint,
oder durch Bellen und Kratzen sich bemerklich machend die
im Zimmer befindlichen Personen um Eröffnung der Thüre bit-
tet. Hier liegt freilich eine sehr vielfache Association von An-
schauungen vor: Erwartung, daß wir Mitleid mit ihm haben,
d. h. ihn verstehen werden; was zugleich ausdrückt, daß er
wisse, wir haben die Kraft, die ihm fehle, die Macht ihm zu
helfen. Nur legt man gar zu leicht mehr hinein, als darin lie-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/307>, abgerufen am 21.11.2024.
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