von Bitten und Wünschen kann ja nicht die Rede sein da, wo man "ein Organ des Handelns" zu bewegen glaubt, wo man zu arbeiten meint, wie Kind und Hund bei ihrem Schreien sich einbilden. Der Uebergang vom Winseln zum lauten Schreien und Bellen ist Folge des Verdrusses, daß der gewünschte Er- folg noch nicht eingetreten ist; man fängt an, anstrengender, kräftiger zu arbeiten. Hier fehlt durchaus das charakteristische Element der Sprache: theoretische Mittheilung.
Wir glauben im Vorstehenden der thierischen Seele weder zugeschrieben zu haben, was sie nicht hat, noch abgesprochen, was sie besitzt. In beide Fehler verfällt man gar zu leicht. Da wir denn doch immer bloß Wirkungen, thierisches Handeln sehen, so schiebt man dem oft solche Motive unter, wie sie den Menschen beseelen, wenn er dergleichen thut. Man übersieht hierbei ein Doppeltes: erstlich, daß diesen thierischen Wirkun- gen gar nicht nothwendig dieselbe Ursache zu Grunde zu liegen brauche, als der entsprechenden menschlichen; und zweitens, daß die thierische und menschliche Handlungsweise wohl vielfältige Analogien und Aehnlichkeiten bieten, aber keine Gleichheit zei- gen; daß vielmehr bei genauerer Betrachtung bedeutende Un- terschiede hervortreten, die man unbeachtet läßt. Wir haben auf solche Unterschiede aufmerksam gemacht und erkannt, daß die menschliche Anschauung doch noch eine ganz andere ist, als die thierische; wir haben den allgemeinen bezeichnenden Un- terschied darin gefunden, daß nur der menschlichen Anschauung die Kategorie des Dinges zu Grunde liege, nicht der thierischen; daß also diese nur ein Zusammen, jene aber Einheit sei. In diesem Unterschiede liegt aber schon eine Leistung der Sprache. Ehe wir jedoch zeigen können, wie die Sprache dies leiste, fra- gen wir: warum entspringt die Sprache aus den menschlichen Wahrnehmungen und nicht auch aus den thierischen? was zu einer nähern Vergleichung der menschlichen und thierischen Seele führt.
§. 90. Vergleichung der Menschen- und Thierseele.
Man hat die Vergleichung zwischen Thier und Mensch bis- her gewöhnlich in sehr ungehöriger Weise angestellt. Die Sache scheint mir indeß so einleuchtend und gewiß, daß ich glauben muß, hätte man einerseits die Verschiedenheit zwischen Mensch und Thier, die Vorzüge des Menschen vor diesem nicht nur zu sehr übertrieben, sondern auch am völlig unrechten Orte ge-
von Bitten und Wünschen kann ja nicht die Rede sein da, wo man „ein Organ des Handelns“ zu bewegen glaubt, wo man zu arbeiten meint, wie Kind und Hund bei ihrem Schreien sich einbilden. Der Uebergang vom Winseln zum lauten Schreien und Bellen ist Folge des Verdrusses, daß der gewünschte Er- folg noch nicht eingetreten ist; man fängt an, anstrengender, kräftiger zu arbeiten. Hier fehlt durchaus das charakteristische Element der Sprache: theoretische Mittheilung.
Wir glauben im Vorstehenden der thierischen Seele weder zugeschrieben zu haben, was sie nicht hat, noch abgesprochen, was sie besitzt. In beide Fehler verfällt man gar zu leicht. Da wir denn doch immer bloß Wirkungen, thierisches Handeln sehen, so schiebt man dem oft solche Motive unter, wie sie den Menschen beseelen, wenn er dergleichen thut. Man übersieht hierbei ein Doppeltes: erstlich, daß diesen thierischen Wirkun- gen gar nicht nothwendig dieselbe Ursache zu Grunde zu liegen brauche, als der entsprechenden menschlichen; und zweitens, daß die thierische und menschliche Handlungsweise wohl vielfältige Analogien und Aehnlichkeiten bieten, aber keine Gleichheit zei- gen; daß vielmehr bei genauerer Betrachtung bedeutende Un- terschiede hervortreten, die man unbeachtet läßt. Wir haben auf solche Unterschiede aufmerksam gemacht und erkannt, daß die menschliche Anschauung doch noch eine ganz andere ist, als die thierische; wir haben den allgemeinen bezeichnenden Un- terschied darin gefunden, daß nur der menschlichen Anschauung die Kategorie des Dinges zu Grunde liege, nicht der thierischen; daß also diese nur ein Zusammen, jene aber Einheit sei. In diesem Unterschiede liegt aber schon eine Leistung der Sprache. Ehe wir jedoch zeigen können, wie die Sprache dies leiste, fra- gen wir: warum entspringt die Sprache aus den menschlichen Wahrnehmungen und nicht auch aus den thierischen? was zu einer nähern Vergleichung der menschlichen und thierischen Seele führt.
§. 90. Vergleichung der Menschen- und Thierseele.
Man hat die Vergleichung zwischen Thier und Mensch bis- her gewöhnlich in sehr ungehöriger Weise angestellt. Die Sache scheint mir indeß so einleuchtend und gewiß, daß ich glauben muß, hätte man einerseits die Verschiedenheit zwischen Mensch und Thier, die Vorzüge des Menschen vor diesem nicht nur zu sehr übertrieben, sondern auch am völlig unrechten Orte ge-
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von Bitten und Wünschen kann ja nicht die Rede sein da, wo
man „ein Organ des Handelns“ zu bewegen glaubt, wo man zu
arbeiten meint, wie Kind und Hund bei ihrem Schreien sich
einbilden. Der Uebergang vom Winseln zum lauten Schreien
und Bellen ist Folge des Verdrusses, daß der gewünschte Er-
folg noch nicht eingetreten ist; man fängt an, anstrengender,
kräftiger zu arbeiten. Hier fehlt durchaus das charakteristische
Element der Sprache: theoretische Mittheilung.
Wir glauben im Vorstehenden der thierischen Seele weder
zugeschrieben zu haben, was sie nicht hat, noch abgesprochen,
was sie besitzt. In beide Fehler verfällt man gar zu leicht.
Da wir denn doch immer bloß Wirkungen, thierisches Handeln
sehen, so schiebt man dem oft solche Motive unter, wie sie den
Menschen beseelen, wenn er dergleichen thut. Man übersieht
hierbei ein Doppeltes: erstlich, daß diesen thierischen Wirkun-
gen gar nicht nothwendig dieselbe Ursache zu Grunde zu liegen
brauche, als der entsprechenden menschlichen; und zweitens, daß
die thierische und menschliche Handlungsweise wohl vielfältige
Analogien und Aehnlichkeiten bieten, aber keine Gleichheit zei-
gen; daß vielmehr bei genauerer Betrachtung bedeutende Un-
terschiede hervortreten, die man unbeachtet läßt. Wir haben
auf solche Unterschiede aufmerksam gemacht und erkannt, daß
die menschliche Anschauung doch noch eine ganz andere ist,
als die thierische; wir haben den allgemeinen bezeichnenden Un-
terschied darin gefunden, daß nur der menschlichen Anschauung
die Kategorie des Dinges zu Grunde liege, nicht der thierischen;
daß also diese nur ein Zusammen, jene aber Einheit sei. In
diesem Unterschiede liegt aber schon eine Leistung der Sprache.
Ehe wir jedoch zeigen können, wie die Sprache dies leiste, fra-
gen wir: warum entspringt die Sprache aus den menschlichen
Wahrnehmungen und nicht auch aus den thierischen? was zu
einer nähern Vergleichung der menschlichen und thierischen
Seele führt.
§. 90. Vergleichung der Menschen- und Thierseele.
Man hat die Vergleichung zwischen Thier und Mensch bis-
her gewöhnlich in sehr ungehöriger Weise angestellt. Die Sache
scheint mir indeß so einleuchtend und gewiß, daß ich glauben
muß, hätte man einerseits die Verschiedenheit zwischen Mensch
und Thier, die Vorzüge des Menschen vor diesem nicht nur zu
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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