Töne aus zum Anlocken und zum Warnen: Ausdruck ihrer An- schauungen. In letzterm Falle ist in einem gewissen Sinne, wie wir oben gesehen haben, schon Absichtlichkeit und zwar Ab- sicht auf Mittheilung vorhanden. Jetzt frage man sich, was sollen denn die Thiere noch sprechen können? was haben sie noch zu sagen? Soll das Thier urtheilen in der Form einer Ver- bindung von Subject und Prädicat? soll es in gleicher Form seine Chronik erzählen? -- Das Thier, von dem Herbart zuge- steht (a. a. O. S. 211), daß es nur eine kurze Vergangenheit und "etwas" Zukunft hat, nämlich so viel als zwischen der Begierde und ihrer Befriedigung liegt! Dazwischen liegt nun aber eben wohl kaum auch nur etwas.
Herbart bemerkt sehr richtig (S. 213), "daß man die gro- ßen Unterschiede, die aus dem Mehr und Weniger, in Rück- sicht des Vorraths und der Verbindung der Vorstellungen, ent- stehen müssen, niemals" (vor ihm) "ernstlich genug erwogen habe; und zudem", sagt er, "bin ich völlig überzeugt, daß man viel zu voreilig das Selbstbewußtsein, die sittlichen Gesetze, die Begriffe vom Unendlichen und von der Gottheit, nebst andern ähnlichen, für etwas Ursprüngliches, nicht weiter Abzuleitendes gehalten, und dadurch die Speculation nicht gefördert, sondern beschränkt und gehindert habe, ihr Werk gehörig durchzufüh- ren. Denn es ist reiner Verlust für die Speculation, wenn man das zu Erklärende absolut hinstellt, und es der Frage, warum es also sei, und wie es mit Anderem zusammenhänge, ohne wei- teres durch die Behauptung entzieht, es sei nun einmal so und nicht anders". Hier sieht man klar, wogegen Herbart mit allem Rechte ankämpft. Aber er hat hierbei ein wenig seine Beson- nenheit, die ihn sonst so umsichtig macht, verloren. So heißt es nun weiter auf derselben Seite: "Jene Begriffe vom Ich, vom Unendlichen u. s. w. können nicht die Menschheit allgemein cha- rakterisiren. Das Kind in seiner frühesten Periode hat sie nicht; der Wilde kommt ihnen vielleicht nicht so nahe als manches Thier". -- Ich möchte wohl wissen, wann und wo wir einen wilden Menschenstamm angetroffen hätten, der zu einer so be- trübenden Behauptung auch nur die mindeste Veranlassung hätte geben können. Es giebt keine einzige Sprache, die nicht ein Wort für Ich hätte; und ihren Benennungen der Dinge liegt allemal im Bewußtsein die Kategorie des Dinges zu Grunde. Wer hat jemals beim klügsten Thiere ein Ich und ein Ding aus
Töne aus zum Anlocken und zum Warnen: Ausdruck ihrer An- schauungen. In letzterm Falle ist in einem gewissen Sinne, wie wir oben gesehen haben, schon Absichtlichkeit und zwar Ab- sicht auf Mittheilung vorhanden. Jetzt frage man sich, was sollen denn die Thiere noch sprechen können? was haben sie noch zu sagen? Soll das Thier urtheilen in der Form einer Ver- bindung von Subject und Prädicat? soll es in gleicher Form seine Chronik erzählen? — Das Thier, von dem Herbart zuge- steht (a. a. O. S. 211), daß es nur eine kurze Vergangenheit und „etwas“ Zukunft hat, nämlich so viel als zwischen der Begierde und ihrer Befriedigung liegt! Dazwischen liegt nun aber eben wohl kaum auch nur etwas.
Herbart bemerkt sehr richtig (S. 213), „daß man die gro- ßen Unterschiede, die aus dem Mehr und Weniger, in Rück- sicht des Vorraths und der Verbindung der Vorstellungen, ent- stehen müssen, niemals“ (vor ihm) „ernstlich genug erwogen habe; und zudem“, sagt er, „bin ich völlig überzeugt, daß man viel zu voreilig das Selbstbewußtsein, die sittlichen Gesetze, die Begriffe vom Unendlichen und von der Gottheit, nebst andern ähnlichen, für etwas Ursprüngliches, nicht weiter Abzuleitendes gehalten, und dadurch die Speculation nicht gefördert, sondern beschränkt und gehindert habe, ihr Werk gehörig durchzufüh- ren. Denn es ist reiner Verlust für die Speculation, wenn man das zu Erklärende absolut hinstellt, und es der Frage, warum es also sei, und wie es mit Anderem zusammenhänge, ohne wei- teres durch die Behauptung entzieht, es sei nun einmal so und nicht anders“. Hier sieht man klar, wogegen Herbart mit allem Rechte ankämpft. Aber er hat hierbei ein wenig seine Beson- nenheit, die ihn sonst so umsichtig macht, verloren. So heißt es nun weiter auf derselben Seite: „Jene Begriffe vom Ich, vom Unendlichen u. s. w. können nicht die Menschheit allgemein cha- rakterisiren. Das Kind in seiner frühesten Periode hat sie nicht; der Wilde kommt ihnen vielleicht nicht so nahe als manches Thier“. — Ich möchte wohl wissen, wann und wo wir einen wilden Menschenstamm angetroffen hätten, der zu einer so be- trübenden Behauptung auch nur die mindeste Veranlassung hätte geben können. Es giebt keine einzige Sprache, die nicht ein Wort für Ich hätte; und ihren Benennungen der Dinge liegt allemal im Bewußtsein die Kategorie des Dinges zu Grunde. Wer hat jemals beim klügsten Thiere ein Ich und ein Ding aus
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Töne aus zum Anlocken und zum Warnen: Ausdruck ihrer An-
schauungen. In letzterm Falle ist in einem gewissen Sinne, wie
wir oben gesehen haben, schon Absichtlichkeit und zwar Ab-
sicht auf Mittheilung vorhanden. Jetzt frage man sich, was
sollen denn die Thiere noch sprechen können? was haben sie
noch zu sagen? Soll das Thier urtheilen in der Form einer Ver-
bindung von Subject und Prädicat? soll es in gleicher Form
seine Chronik erzählen? — Das Thier, von dem Herbart zuge-
steht (a. a. O. S. 211), daß es nur eine kurze Vergangenheit und
„etwas“ Zukunft hat, nämlich so viel als zwischen der Begierde
und ihrer Befriedigung liegt! Dazwischen liegt nun aber eben
wohl kaum auch nur etwas.
Herbart bemerkt sehr richtig (S. 213), „daß man die gro-
ßen Unterschiede, die aus dem Mehr und Weniger, in Rück-
sicht des Vorraths und der Verbindung der Vorstellungen, ent-
stehen müssen, niemals“ (vor ihm) „ernstlich genug erwogen
habe; und zudem“, sagt er, „bin ich völlig überzeugt, daß man
viel zu voreilig das Selbstbewußtsein, die sittlichen Gesetze, die
Begriffe vom Unendlichen und von der Gottheit, nebst andern
ähnlichen, für etwas Ursprüngliches, nicht weiter Abzuleitendes
gehalten, und dadurch die Speculation nicht gefördert, sondern
beschränkt und gehindert habe, ihr Werk gehörig durchzufüh-
ren. Denn es ist reiner Verlust für die Speculation, wenn man
das zu Erklärende absolut hinstellt, und es der Frage, warum
es also sei, und wie es mit Anderem zusammenhänge, ohne wei-
teres durch die Behauptung entzieht, es sei nun einmal so und
nicht anders“. Hier sieht man klar, wogegen Herbart mit allem
Rechte ankämpft. Aber er hat hierbei ein wenig seine Beson-
nenheit, die ihn sonst so umsichtig macht, verloren. So heißt
es nun weiter auf derselben Seite: „Jene Begriffe vom Ich, vom
Unendlichen u. s. w. können nicht die Menschheit allgemein cha-
rakterisiren. Das Kind in seiner frühesten Periode hat sie nicht;
der Wilde kommt ihnen vielleicht nicht so nahe als manches
Thier“. — Ich möchte wohl wissen, wann und wo wir einen
wilden Menschenstamm angetroffen hätten, der zu einer so be-
trübenden Behauptung auch nur die mindeste Veranlassung hätte
geben können. Es giebt keine einzige Sprache, die nicht ein
Wort für Ich hätte; und ihren Benennungen der Dinge liegt
allemal im Bewußtsein die Kategorie des Dinges zu Grunde.
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/315>, abgerufen am 22.11.2024.
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