Bridgman *) aber ist Lehrerin einer Blinden-Anstalt geworden, und wir haben von ihr einen schön geschriebenen und mit rei- zender Naivetät abgefaßten Brief an die schwedische Schrift- stellerin Friederike Bremer gesehen. Das macht, weil sie zwar weniger als einen thierischen Leib, aber eine menschliche Seele hat.
Der Unterschied zwischen dem Menschen und dem Thiere ist allerdings ursprünglich klein und an die leibliche höhere Or- ganisation geknüpft; aber er wächst lawinenartig; und diese Fä- higkeit der menschlichen Seele, sich dergestalt zu entwickeln, daß sie durch ihre Wirkungen sich nie verzehrt, sondern an Inhalt und Kraft gewinnt, gehört zu ihrer innersten Natur.
Betrachten wir nun den ursprünglichen, vom Schöpfer ge- gebenen Unterschied etwas näher. Wir können hierbei nicht zu fein, nicht zu haarscharf sein. Es steht zu erwarten, daß wir hier nur auf feine Schattirungsverschiedenheiten stoßen, wel- che aber an Ausdehnung und Werth bald so bedeutend anwach- sen, daß es schwer wird, das endliche Ergebniß auf den ärm- lichen Anfang zurückzuführen.
Was zunächst den physischen Unterschied zwischen dem menschlichen und dem thierischen Leibe betrifft, so ist er, so weit wir heute sehen, sehr gering. Eine Menge Unterschiede, die man ehemals annahm, haben sich durch die Untersuchungen der neuern Anatomie als unhaltbar gezeigt, so daß man sich be- rechtigt fühlt, zu behaupten, daß in allen wesentlichen Verhält- nissen der Geburt und des leiblichen Lebens Mensch und Thier eben nicht mehr verschieden sind, als die Säugethiere unter sich. Am liebsten sähe man einen Vorzug des Menschen rück- sichtlich des Gehirns. Doch nach welcher Richtung man auch die Vergleichung anstellen möge, ob man Gewicht oder Aus- dehnung oder Form vergleiche, absolut oder relativ, das Cen- tralorgan in Verhältniß zu den Nerven oder zum ganzen Kör- per betrachtend -- es ist noch nicht gelungen, einen consequen- ten Maßstab der Werthschätzung aufzufinden. Dazu dürfte es schwerlich genügen, nur ein einfaches Verhältniß zu Rathe zu ziehen; es greifen hier vermuthlich mehrere Punkte mannigfach
*) Vergl. Deutsches Museum 1851 den Aufsatz: Ueber die Sprache der Taubstummen. Der oben erwähnte Brief, der uns nach Abfassung dieses Auf- satzes zu Gesicht gekommen ist, war ein lithographirtes Facsimile.
Bridgman *) aber ist Lehrerin einer Blinden-Anstalt geworden, und wir haben von ihr einen schön geschriebenen und mit rei- zender Naivetät abgefaßten Brief an die schwedische Schrift- stellerin Friederike Bremer gesehen. Das macht, weil sie zwar weniger als einen thierischen Leib, aber eine menschliche Seele hat.
Der Unterschied zwischen dem Menschen und dem Thiere ist allerdings ursprünglich klein und an die leibliche höhere Or- ganisation geknüpft; aber er wächst lawinenartig; und diese Fä- higkeit der menschlichen Seele, sich dergestalt zu entwickeln, daß sie durch ihre Wirkungen sich nie verzehrt, sondern an Inhalt und Kraft gewinnt, gehört zu ihrer innersten Natur.
Betrachten wir nun den ursprünglichen, vom Schöpfer ge- gebenen Unterschied etwas näher. Wir können hierbei nicht zu fein, nicht zu haarscharf sein. Es steht zu erwarten, daß wir hier nur auf feine Schattirungsverschiedenheiten stoßen, wel- che aber an Ausdehnung und Werth bald so bedeutend anwach- sen, daß es schwer wird, das endliche Ergebniß auf den ärm- lichen Anfang zurückzuführen.
Was zunächst den physischen Unterschied zwischen dem menschlichen und dem thierischen Leibe betrifft, so ist er, so weit wir heute sehen, sehr gering. Eine Menge Unterschiede, die man ehemals annahm, haben sich durch die Untersuchungen der neuern Anatomie als unhaltbar gezeigt, so daß man sich be- rechtigt fühlt, zu behaupten, daß in allen wesentlichen Verhält- nissen der Geburt und des leiblichen Lebens Mensch und Thier eben nicht mehr verschieden sind, als die Säugethiere unter sich. Am liebsten sähe man einen Vorzug des Menschen rück- sichtlich des Gehirns. Doch nach welcher Richtung man auch die Vergleichung anstellen möge, ob man Gewicht oder Aus- dehnung oder Form vergleiche, absolut oder relativ, das Cen- tralorgan in Verhältniß zu den Nerven oder zum ganzen Kör- per betrachtend — es ist noch nicht gelungen, einen consequen- ten Maßstab der Werthschätzung aufzufinden. Dazu dürfte es schwerlich genügen, nur ein einfaches Verhältniß zu Rathe zu ziehen; es greifen hier vermuthlich mehrere Punkte mannigfach
*) Vergl. Deutsches Museum 1851 den Aufsatz: Ueber die Sprache der Taubstummen. Der oben erwähnte Brief, der uns nach Abfassung dieses Auf- satzes zu Gesicht gekommen ist, war ein lithographirtes Facsimile.
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Bridgman *) aber ist Lehrerin einer Blinden-Anstalt geworden,
und wir haben von ihr einen schön geschriebenen und mit rei-
zender Naivetät abgefaßten Brief an die schwedische Schrift-
stellerin Friederike Bremer gesehen. Das macht, weil sie zwar
weniger als einen thierischen Leib, aber eine menschliche
Seele hat.
Der Unterschied zwischen dem Menschen und dem Thiere
ist allerdings ursprünglich klein und an die leibliche höhere Or-
ganisation geknüpft; aber er wächst lawinenartig; und diese Fä-
higkeit der menschlichen Seele, sich dergestalt zu entwickeln,
daß sie durch ihre Wirkungen sich nie verzehrt, sondern an
Inhalt und Kraft gewinnt, gehört zu ihrer innersten Natur.
Betrachten wir nun den ursprünglichen, vom Schöpfer ge-
gebenen Unterschied etwas näher. Wir können hierbei nicht
zu fein, nicht zu haarscharf sein. Es steht zu erwarten, daß
wir hier nur auf feine Schattirungsverschiedenheiten stoßen, wel-
che aber an Ausdehnung und Werth bald so bedeutend anwach-
sen, daß es schwer wird, das endliche Ergebniß auf den ärm-
lichen Anfang zurückzuführen.
Was zunächst den physischen Unterschied zwischen dem
menschlichen und dem thierischen Leibe betrifft, so ist er, so weit
wir heute sehen, sehr gering. Eine Menge Unterschiede, die
man ehemals annahm, haben sich durch die Untersuchungen der
neuern Anatomie als unhaltbar gezeigt, so daß man sich be-
rechtigt fühlt, zu behaupten, daß in allen wesentlichen Verhält-
nissen der Geburt und des leiblichen Lebens Mensch und Thier
eben nicht mehr verschieden sind, als die Säugethiere unter
sich. Am liebsten sähe man einen Vorzug des Menschen rück-
sichtlich des Gehirns. Doch nach welcher Richtung man auch
die Vergleichung anstellen möge, ob man Gewicht oder Aus-
dehnung oder Form vergleiche, absolut oder relativ, das Cen-
tralorgan in Verhältniß zu den Nerven oder zum ganzen Kör-
per betrachtend — es ist noch nicht gelungen, einen consequen-
ten Maßstab der Werthschätzung aufzufinden. Dazu dürfte es
schwerlich genügen, nur ein einfaches Verhältniß zu Rathe zu
ziehen; es greifen hier vermuthlich mehrere Punkte mannigfach
*) Vergl. Deutsches Museum 1851 den Aufsatz: Ueber die Sprache der
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/317>, abgerufen am 22.11.2024.
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