ben Letztere Recht -- aber ohne Bewußtsein -- so weit haben Erstere Recht: sie werden instinctiv erworben. Auch die Spra- che ist eine solche angeborene Idee, und nach dem eben Be- merkten kann man beurtheilen, wie weit bei einem ganz ähn- lichen Streite sowohl diejenigen, welche meinten, die Sprache sei dem Menschen angeboren (oder von Gott gegeben), als auch diejenigen, welche meinten, die Sprache sei ein künstliches Er- zeugniß des Nachdenkens, wie weit beide, sage ich, theils irr- ten, theils Recht hatten.
Der Instinct des Thieres ist wesentlich practisch, Kunst- fertigkeit; und dies stimmt zu dem oben angemerkten Charak- terzuge des Thieres, daß es practisch utilistisch ist. Das Theo- retische spielt in den thierischen Instinct nur in so weit hinein, als es die nothwendige Voraussetzung zum practischen Wesen ist, oder als es nothwendig mit der Praxis in Verbindung steht. Der menschliche Instinct ist rein theoretisch, Erkenntnisse ge- winnend, Vorausnahme des Verstandes, und, als Sprache, Vor- bild des Selbstbewußtseins.
In dem Begriffe des instinctiven Verstandes liegt keine Schwie- rigkeit, wenigstens kein Widerspruch; jener ist nämlich der Ver- stand der Anschauung. Hierbei verstehen wir unter Verstand, mit Herbart, die Fähigkeit, unser Denken nach der Beschaffen- heit des Gegenstandes zu richten. Warum sollte nun die An- schauung, rein in ihrem Kreise beharrend, nicht die Kraft haben, nach mehreren Fehlgriffen sich allmählig corrigirend, sich end- lich dem Gegenstande gemäß einzurichten, dessen Anschauung sie ist? Aber im unbewußten Selbstbewußtsein scheint ein Wi- derspruch zu liegen. Suchen wir ihn aufzulösen, indem wir die ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse klarer von einander scheiden.
In der Anschauung erkennt die Seele etwas außer sich. Wir haben aber schon oben bemerkt, daß der thierischen An- schauung -- und die Anschauung des Menschen vor der Spra- che ist nichts besseres -- die Einheit, welche ihr der Mensch später durch die Kategorie des Dinges giebt, noch fehle. Um so weniger dürfen wir annehmen, daß die Seele in jener primi- tiven Anschauung schon klar sich selbst von dem Angeschauten absondere. Vielmehr ist anzunehmen, daß hier noch, wie bei der Empfindung, die Seele zwar das Aeußere als Aeußeres auf- faßt, doch aber noch nicht sich selbst als ein Inneres erkennt,
ben Letztere Recht — aber ohne Bewußtsein — so weit haben Erstere Recht: sie werden instinctiv erworben. Auch die Spra- che ist eine solche angeborene Idee, und nach dem eben Be- merkten kann man beurtheilen, wie weit bei einem ganz ähn- lichen Streite sowohl diejenigen, welche meinten, die Sprache sei dem Menschen angeboren (oder von Gott gegeben), als auch diejenigen, welche meinten, die Sprache sei ein künstliches Er- zeugniß des Nachdenkens, wie weit beide, sage ich, theils irr- ten, theils Recht hatten.
Der Instinct des Thieres ist wesentlich practisch, Kunst- fertigkeit; und dies stimmt zu dem oben angemerkten Charak- terzuge des Thieres, daß es practisch utilistisch ist. Das Theo- retische spielt in den thierischen Instinct nur in so weit hinein, als es die nothwendige Voraussetzung zum practischen Wesen ist, oder als es nothwendig mit der Praxis in Verbindung steht. Der menschliche Instinct ist rein theoretisch, Erkenntnisse ge- winnend, Vorausnahme des Verstandes, und, als Sprache, Vor- bild des Selbstbewußtseins.
In dem Begriffe des instinctiven Verstandes liegt keine Schwie- rigkeit, wenigstens kein Widerspruch; jener ist nämlich der Ver- stand der Anschauung. Hierbei verstehen wir unter Verstand, mit Herbart, die Fähigkeit, unser Denken nach der Beschaffen- heit des Gegenstandes zu richten. Warum sollte nun die An- schauung, rein in ihrem Kreise beharrend, nicht die Kraft haben, nach mehreren Fehlgriffen sich allmählig corrigirend, sich end- lich dem Gegenstande gemäß einzurichten, dessen Anschauung sie ist? Aber im unbewußten Selbstbewußtsein scheint ein Wi- derspruch zu liegen. Suchen wir ihn aufzulösen, indem wir die ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse klarer von einander scheiden.
In der Anschauung erkennt die Seele etwas außer sich. Wir haben aber schon oben bemerkt, daß der thierischen An- schauung — und die Anschauung des Menschen vor der Spra- che ist nichts besseres — die Einheit, welche ihr der Mensch später durch die Kategorie des Dinges giebt, noch fehle. Um so weniger dürfen wir annehmen, daß die Seele in jener primi- tiven Anschauung schon klar sich selbst von dem Angeschauten absondere. Vielmehr ist anzunehmen, daß hier noch, wie bei der Empfindung, die Seele zwar das Aeußere als Aeußeres auf- faßt, doch aber noch nicht sich selbst als ein Inneres erkennt,
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ben Letztere Recht — aber ohne Bewußtsein — so weit haben
Erstere Recht: sie werden instinctiv erworben. Auch die Spra-
che ist eine solche angeborene Idee, und nach dem eben Be-
merkten kann man beurtheilen, wie weit bei einem ganz ähn-
lichen Streite sowohl diejenigen, welche meinten, die Sprache
sei dem Menschen angeboren (oder von Gott gegeben), als auch
diejenigen, welche meinten, die Sprache sei ein künstliches Er-
zeugniß des Nachdenkens, wie weit beide, sage ich, theils irr-
ten, theils Recht hatten.
Der Instinct des Thieres ist wesentlich practisch, Kunst-
fertigkeit; und dies stimmt zu dem oben angemerkten Charak-
terzuge des Thieres, daß es practisch utilistisch ist. Das Theo-
retische spielt in den thierischen Instinct nur in so weit hinein,
als es die nothwendige Voraussetzung zum practischen Wesen
ist, oder als es nothwendig mit der Praxis in Verbindung steht.
Der menschliche Instinct ist rein theoretisch, Erkenntnisse ge-
winnend, Vorausnahme des Verstandes, und, als Sprache, Vor-
bild des Selbstbewußtseins.
In dem Begriffe des instinctiven Verstandes liegt keine Schwie-
rigkeit, wenigstens kein Widerspruch; jener ist nämlich der Ver-
stand der Anschauung. Hierbei verstehen wir unter Verstand,
mit Herbart, die Fähigkeit, unser Denken nach der Beschaffen-
heit des Gegenstandes zu richten. Warum sollte nun die An-
schauung, rein in ihrem Kreise beharrend, nicht die Kraft haben,
nach mehreren Fehlgriffen sich allmählig corrigirend, sich end-
lich dem Gegenstande gemäß einzurichten, dessen Anschauung
sie ist? Aber im unbewußten Selbstbewußtsein scheint ein Wi-
derspruch zu liegen. Suchen wir ihn aufzulösen, indem wir
die ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse klarer von einander
scheiden.
In der Anschauung erkennt die Seele etwas außer sich.
Wir haben aber schon oben bemerkt, daß der thierischen An-
schauung — und die Anschauung des Menschen vor der Spra-
che ist nichts besseres — die Einheit, welche ihr der Mensch
später durch die Kategorie des Dinges giebt, noch fehle. Um
so weniger dürfen wir annehmen, daß die Seele in jener primi-
tiven Anschauung schon klar sich selbst von dem Angeschauten
absondere. Vielmehr ist anzunehmen, daß hier noch, wie bei
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faßt, doch aber noch nicht sich selbst als ein Inneres erkennt,
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/337>, abgerufen am 24.11.2024.
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