Keim des Geistes nun, der nicht mehr bloßer Keim, sondern schon befruchtet und reifend ist, ist Sprache oder instinctives Selbstbewußtsein. Der Sprachlaut ist der Blütenstaub, der Sa- men, der in die Seele dringt und sie befruchtet, daß sie den Geist gebäre.
§. 95. Verknüpfung der Anschauung mit dem Laute.
Woher nimmt die Seele den Laut? wie kommt sie darauf, ihn zu ihrer Stütze für die weitere geistige Entwickelung zu wählen? -- Sie wählt ihn nicht, ist die Antwort; sie nimmt ihn sich nicht. Er ist ihr gegeben, und sie ergreift ihn mit Nothwendigkeit, instinctiv, absichtslos.
Die Seelenthätigkeit bedarf materieller Stützen. Sie ist ursprünglich an die Sinnlichkeit gebunden, und selbst in ihre höchsten, freiesten Abstractionen mischen sich sinnliche Bilder. Indem also die Seele die Anschauung ihrer Anschauung hildet, knüpft sie dieselbe an den Laut. Wie sollte sie bei dem er- sten Blicke, den sie in sich thut, schon die Kraft haben, ohne materielle, sinnliche Stütze zu wirken? Indem sie zum ersten Male ein ihr eigenes Erzeugniß, eine Anschauung, betrachtet, stützt sie dieselbe körperlich durch den Laut, um sie gegen- ständlicher zu machen. Der Laut ist ein Aeußeres, aber ein Aeußeres, welches aus dem Innern stammt, ein Körperliches, welches die Seele selbst geschaffen, ihrem Körper abgerungen hat. Es theilt also die Natur des Aeußern und des Innern und ist insofern höchst geeignet, sich einem Innern, der Anschauung, anzuschließen, dieselbe mit sich selbst vereinigt von der Seele abzuziehen und dem Seelenauge fester und sicherer vorzuhalten, damit sie nicht mehr an der Seele haftend, sondern ihr als Ob- ject gegenüberstehend, ruhig ihrem Blicke Stand halte. Dazu bedarf aber für immer der Geist körperlicher Zeichen, sinnlicher Anhaltepunkte, um, wie das leibliche Auge alles, was es sehen soll, in einer gewissen Entfernung von sich haben muß, so auch dem geistigen Auge das Object seiner Betrachtung in einer ge- wissen Aeußerlichkeit und Ferne vorzustellen. Das kann nur erreicht werden, wenn der innere Gegenstand an einen äußern, der nur als Zeichen dient, angeknüpft wird, durch welches Ver- fahren mit dem äußerlichen Zeichen zugleich der innere Gegen- stand, den es bezeichnet, dem Geiste wie ein äußerer Gegen- stand vorgehalten werden kann. Diese Weise des Geistes, sei- nen Inhalt in Zeichen zu legen und sich dadurch äußerlich vor-
Keim des Geistes nun, der nicht mehr bloßer Keim, sondern schon befruchtet und reifend ist, ist Sprache oder instinctives Selbstbewußtsein. Der Sprachlaut ist der Blütenstaub, der Sa- men, der in die Seele dringt und sie befruchtet, daß sie den Geist gebäre.
§. 95. Verknüpfung der Anschauung mit dem Laute.
Woher nimmt die Seele den Laut? wie kommt sie darauf, ihn zu ihrer Stütze für die weitere geistige Entwickelung zu wählen? — Sie wählt ihn nicht, ist die Antwort; sie nimmt ihn sich nicht. Er ist ihr gegeben, und sie ergreift ihn mit Nothwendigkeit, instinctiv, absichtslos.
Die Seelenthätigkeit bedarf materieller Stützen. Sie ist ursprünglich an die Sinnlichkeit gebunden, und selbst in ihre höchsten, freiesten Abstractionen mischen sich sinnliche Bilder. Indem also die Seele die Anschauung ihrer Anschauung hildet, knüpft sie dieselbe an den Laut. Wie sollte sie bei dem er- sten Blicke, den sie in sich thut, schon die Kraft haben, ohne materielle, sinnliche Stütze zu wirken? Indem sie zum ersten Male ein ihr eigenes Erzeugniß, eine Anschauung, betrachtet, stützt sie dieselbe körperlich durch den Laut, um sie gegen- ständlicher zu machen. Der Laut ist ein Aeußeres, aber ein Aeußeres, welches aus dem Innern stammt, ein Körperliches, welches die Seele selbst geschaffen, ihrem Körper abgerungen hat. Es theilt also die Natur des Aeußern und des Innern und ist insofern höchst geeignet, sich einem Innern, der Anschauung, anzuschließen, dieselbe mit sich selbst vereinigt von der Seele abzuziehen und dem Seelenauge fester und sicherer vorzuhalten, damit sie nicht mehr an der Seele haftend, sondern ihr als Ob- ject gegenüberstehend, ruhig ihrem Blicke Stand halte. Dazu bedarf aber für immer der Geist körperlicher Zeichen, sinnlicher Anhaltepunkte, um, wie das leibliche Auge alles, was es sehen soll, in einer gewissen Entfernung von sich haben muß, so auch dem geistigen Auge das Object seiner Betrachtung in einer ge- wissen Aeußerlichkeit und Ferne vorzustellen. Das kann nur erreicht werden, wenn der innere Gegenstand an einen äußern, der nur als Zeichen dient, angeknüpft wird, durch welches Ver- fahren mit dem äußerlichen Zeichen zugleich der innere Gegen- stand, den es bezeichnet, dem Geiste wie ein äußerer Gegen- stand vorgehalten werden kann. Diese Weise des Geistes, sei- nen Inhalt in Zeichen zu legen und sich dadurch äußerlich vor-
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Keim des Geistes nun, der nicht mehr bloßer Keim, sondern
schon befruchtet und reifend ist, ist Sprache oder instinctives
Selbstbewußtsein. Der Sprachlaut ist der Blütenstaub, der Sa-
men, der in die Seele dringt und sie befruchtet, daß sie den
Geist gebäre.
§. 95. Verknüpfung der Anschauung mit dem Laute.
Woher nimmt die Seele den Laut? wie kommt sie darauf,
ihn zu ihrer Stütze für die weitere geistige Entwickelung zu
wählen? — Sie wählt ihn nicht, ist die Antwort; sie nimmt
ihn sich nicht. Er ist ihr gegeben, und sie ergreift ihn mit
Nothwendigkeit, instinctiv, absichtslos.
Die Seelenthätigkeit bedarf materieller Stützen. Sie ist
ursprünglich an die Sinnlichkeit gebunden, und selbst in ihre
höchsten, freiesten Abstractionen mischen sich sinnliche Bilder.
Indem also die Seele die Anschauung ihrer Anschauung hildet,
knüpft sie dieselbe an den Laut. Wie sollte sie bei dem er-
sten Blicke, den sie in sich thut, schon die Kraft haben, ohne
materielle, sinnliche Stütze zu wirken? Indem sie zum ersten
Male ein ihr eigenes Erzeugniß, eine Anschauung, betrachtet,
stützt sie dieselbe körperlich durch den Laut, um sie gegen-
ständlicher zu machen. Der Laut ist ein Aeußeres, aber ein
Aeußeres, welches aus dem Innern stammt, ein Körperliches,
welches die Seele selbst geschaffen, ihrem Körper abgerungen
hat. Es theilt also die Natur des Aeußern und des Innern und
ist insofern höchst geeignet, sich einem Innern, der Anschauung,
anzuschließen, dieselbe mit sich selbst vereinigt von der Seele
abzuziehen und dem Seelenauge fester und sicherer vorzuhalten,
damit sie nicht mehr an der Seele haftend, sondern ihr als Ob-
ject gegenüberstehend, ruhig ihrem Blicke Stand halte. Dazu
bedarf aber für immer der Geist körperlicher Zeichen, sinnlicher
Anhaltepunkte, um, wie das leibliche Auge alles, was es sehen
soll, in einer gewissen Entfernung von sich haben muß, so auch
dem geistigen Auge das Object seiner Betrachtung in einer ge-
wissen Aeußerlichkeit und Ferne vorzustellen. Das kann nur
erreicht werden, wenn der innere Gegenstand an einen äußern,
der nur als Zeichen dient, angeknüpft wird, durch welches Ver-
fahren mit dem äußerlichen Zeichen zugleich der innere Gegen-
stand, den es bezeichnet, dem Geiste wie ein äußerer Gegen-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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