Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

als je parle. So wenig also je parle weniger vollkommene und
reine Form ist, als j'aime: so wenig würde auch ein mongoli-
sches, tibetisches u. s. w. eg-amans mehr Form sein, als ego
amans.

Nicht der Laut, sondern die innere Sprachform ist das Ent-
scheidende; denn sie ist es, die dem Laute seinen Werth, seine
Geltung und Bedeutung giebt: der Laut ist bloß Zeichen der
innern Sprachform. Der innere Unterschied aber zwischen ego
amans und amo besteht darin, daß uns dort ein Pronomen als
Subject neben einem Merkmalsworte, also zwei Stoffwörter ohne
formales Element gegeben sind; hier aber, in amo, ein Merkmal,
eine Thätigkeit, ausgedrückt durch ein Stoffwort, welches durch
seine Form in Beziehung zu einer Person gesetzt ist. Zwischen
Pronomen und Personalendung herrscht der Unterschied, daß
jenes eine wirkliche Person als ein materiales Wesen bedeutet:
ich heißt der hier jetzt sprechende Mensch, du heißt der hier
jetzt angeredete Mensch, er, sie, es das jetzt hier besprochene
Wesen; sind das nicht lauter Stoffelemente? Im Pronomen wird
also ein Stoff*), eine Person angeschaut, und zwar als redende,
angeredete oder besprochene unterschieden. Das Pronomen ist
ein abstractes Wort, ohne Zweifel. Ist aber Person, Rede,
Schönheit, Scharfsinn weniger abstract? Es sind abstracte Stoffe.
Das Pronomen hat zum Inhalt die Person und bezeichnet die-
selbe nach ihrem dreifach möglichen Bezuge zum Inhalt der Rede.
Die Personalendung aber bezeichnet nur diesen Bezug, und nicht
die Person, den Stoff selbst. Sie bezeichnet die Beziehung der
Thätigkeit auf die Persönlichkeit, oder sie drückt die persönli-
che Beziehung der Thätigkeit aus.

Für das instinctive Selbstbewußtsein ist jede Thätigkeit an
eine Person geknüpft, selbst wenn es diese Person nicht kennt,
wie in: es blitzt. Die Persönlichkeit, oder die Verknüpfung der
Thätigkeit mit derselben, ist also eine Form, die jeder Thätig-
keit, welche als wirklich gedacht wird, nothwendig zukommt;
eine Kategorie derselben, so nothwendig wie die Zeit. Und
diese Kategorie ist dreifach: erste, zweite und dritte Person.

Liegt in amo, amat ein Subject? Nein! denn es liegt nur
die Thätigkeit und ihre Beziehung auf ein Subject vor. Der

*) Sollte es nöthig sein ausdrücklich zu versichern, daß ich nicht glaube,
daß die Pronomina von Verbalwurzeln abgeleitet sind?

als je parle. So wenig also je parle weniger vollkommene und
reine Form ist, als j’aime: so wenig würde auch ein mongoli-
sches, tibetisches u. s. w. eg⁀amans mehr Form sein, als ego
amans.

Nicht der Laut, sondern die innere Sprachform ist das Ent-
scheidende; denn sie ist es, die dem Laute seinen Werth, seine
Geltung und Bedeutung giebt: der Laut ist bloß Zeichen der
innern Sprachform. Der innere Unterschied aber zwischen ego
amans und amo besteht darin, daß uns dort ein Pronomen als
Subject neben einem Merkmalsworte, also zwei Stoffwörter ohne
formales Element gegeben sind; hier aber, in amo, ein Merkmal,
eine Thätigkeit, ausgedrückt durch ein Stoffwort, welches durch
seine Form in Beziehung zu einer Person gesetzt ist. Zwischen
Pronomen und Personalendung herrscht der Unterschied, daß
jenes eine wirkliche Person als ein materiales Wesen bedeutet:
ich heißt der hier jetzt sprechende Mensch, du heißt der hier
jetzt angeredete Mensch, er, sie, es das jetzt hier besprochene
Wesen; sind das nicht lauter Stoffelemente? Im Pronomen wird
also ein Stoff*), eine Person angeschaut, und zwar als redende,
angeredete oder besprochene unterschieden. Das Pronomen ist
ein abstractes Wort, ohne Zweifel. Ist aber Person, Rede,
Schönheit, Scharfsinn weniger abstract? Es sind abstracte Stoffe.
Das Pronomen hat zum Inhalt die Person und bezeichnet die-
selbe nach ihrem dreifach möglichen Bezuge zum Inhalt der Rede.
Die Personalendung aber bezeichnet nur diesen Bezug, und nicht
die Person, den Stoff selbst. Sie bezeichnet die Beziehung der
Thätigkeit auf die Persönlichkeit, oder sie drückt die persönli-
che Beziehung der Thätigkeit aus.

Für das instinctive Selbstbewußtsein ist jede Thätigkeit an
eine Person geknüpft, selbst wenn es diese Person nicht kennt,
wie in: es blitzt. Die Persönlichkeit, oder die Verknüpfung der
Thätigkeit mit derselben, ist also eine Form, die jeder Thätig-
keit, welche als wirklich gedacht wird, nothwendig zukommt;
eine Kategorie derselben, so nothwendig wie die Zeit. Und
diese Kategorie ist dreifach: erste, zweite und dritte Person.

Liegt in amo, amat ein Subject? Nein! denn es liegt nur
die Thätigkeit und ihre Beziehung auf ein Subject vor. Der

*) Sollte es nöthig sein ausdrücklich zu versichern, daß ich nicht glaube,
daß die Pronomina von Verbalwurzeln abgeleitet sind?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0402" n="364"/>
als je parle. So wenig also je parle weniger vollkommene und<lb/>
reine Form ist, als j&#x2019;aime: so wenig würde auch ein mongoli-<lb/>
sches, tibetisches u. s. w. eg&#x2040;amans mehr Form sein, als ego<lb/>
amans.</p><lb/>
                  <p>Nicht der Laut, sondern die innere Sprachform ist das Ent-<lb/>
scheidende; denn sie ist es, die dem Laute seinen Werth, seine<lb/>
Geltung und Bedeutung giebt: der Laut ist bloß Zeichen der<lb/>
innern Sprachform. Der innere Unterschied aber zwischen ego<lb/>
amans und amo besteht darin, daß uns dort ein Pronomen als<lb/>
Subject neben einem Merkmalsworte, also zwei Stoffwörter ohne<lb/>
formales Element gegeben sind; hier aber, in amo, ein Merkmal,<lb/>
eine Thätigkeit, ausgedrückt durch ein Stoffwort, welches durch<lb/>
seine Form in Beziehung zu einer Person gesetzt ist. Zwischen<lb/>
Pronomen und Personalendung herrscht der Unterschied, daß<lb/>
jenes eine wirkliche Person als ein materiales Wesen bedeutet:<lb/><hi rendition="#g">ich</hi> heißt der hier jetzt sprechende Mensch, <hi rendition="#g">du</hi> heißt der hier<lb/>
jetzt angeredete Mensch, <hi rendition="#g">er, sie, es</hi> das jetzt hier besprochene<lb/>
Wesen; sind das nicht lauter Stoffelemente? Im Pronomen wird<lb/>
also ein Stoff<note place="foot" n="*)">Sollte es nöthig sein ausdrücklich zu versichern, daß ich <hi rendition="#g">nicht</hi> glaube,<lb/>
daß die Pronomina von Verbalwurzeln abgeleitet sind?</note>, eine Person angeschaut, und zwar als redende,<lb/>
angeredete oder besprochene unterschieden. Das Pronomen ist<lb/>
ein abstractes Wort, ohne Zweifel. Ist aber Person, Rede,<lb/>
Schönheit, Scharfsinn weniger abstract? Es sind abstracte Stoffe.<lb/>
Das Pronomen hat zum Inhalt die Person und bezeichnet die-<lb/>
selbe nach ihrem dreifach möglichen Bezuge zum Inhalt der Rede.<lb/>
Die Personalendung aber bezeichnet nur diesen Bezug, und nicht<lb/>
die Person, den Stoff selbst. Sie bezeichnet die Beziehung der<lb/>
Thätigkeit auf die Persönlichkeit, oder sie drückt die persönli-<lb/>
che Beziehung der Thätigkeit aus.</p><lb/>
                  <p>Für das instinctive Selbstbewußtsein ist jede Thätigkeit an<lb/>
eine Person geknüpft, selbst wenn es diese Person nicht kennt,<lb/>
wie in: <hi rendition="#i">es blitzt</hi>. Die Persönlichkeit, oder die Verknüpfung der<lb/>
Thätigkeit mit derselben, ist also eine Form, die jeder Thätig-<lb/>
keit, welche als wirklich gedacht wird, nothwendig zukommt;<lb/>
eine Kategorie derselben, so nothwendig wie die Zeit. Und<lb/>
diese Kategorie ist dreifach: erste, zweite und dritte Person.</p><lb/>
                  <p>Liegt in <hi rendition="#g">amo, amat</hi> ein Subject? Nein! denn es liegt nur<lb/>
die Thätigkeit und ihre Beziehung auf ein Subject vor. Der<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0402] als je parle. So wenig also je parle weniger vollkommene und reine Form ist, als j’aime: so wenig würde auch ein mongoli- sches, tibetisches u. s. w. eg⁀amans mehr Form sein, als ego amans. Nicht der Laut, sondern die innere Sprachform ist das Ent- scheidende; denn sie ist es, die dem Laute seinen Werth, seine Geltung und Bedeutung giebt: der Laut ist bloß Zeichen der innern Sprachform. Der innere Unterschied aber zwischen ego amans und amo besteht darin, daß uns dort ein Pronomen als Subject neben einem Merkmalsworte, also zwei Stoffwörter ohne formales Element gegeben sind; hier aber, in amo, ein Merkmal, eine Thätigkeit, ausgedrückt durch ein Stoffwort, welches durch seine Form in Beziehung zu einer Person gesetzt ist. Zwischen Pronomen und Personalendung herrscht der Unterschied, daß jenes eine wirkliche Person als ein materiales Wesen bedeutet: ich heißt der hier jetzt sprechende Mensch, du heißt der hier jetzt angeredete Mensch, er, sie, es das jetzt hier besprochene Wesen; sind das nicht lauter Stoffelemente? Im Pronomen wird also ein Stoff *), eine Person angeschaut, und zwar als redende, angeredete oder besprochene unterschieden. Das Pronomen ist ein abstractes Wort, ohne Zweifel. Ist aber Person, Rede, Schönheit, Scharfsinn weniger abstract? Es sind abstracte Stoffe. Das Pronomen hat zum Inhalt die Person und bezeichnet die- selbe nach ihrem dreifach möglichen Bezuge zum Inhalt der Rede. Die Personalendung aber bezeichnet nur diesen Bezug, und nicht die Person, den Stoff selbst. Sie bezeichnet die Beziehung der Thätigkeit auf die Persönlichkeit, oder sie drückt die persönli- che Beziehung der Thätigkeit aus. Für das instinctive Selbstbewußtsein ist jede Thätigkeit an eine Person geknüpft, selbst wenn es diese Person nicht kennt, wie in: es blitzt. Die Persönlichkeit, oder die Verknüpfung der Thätigkeit mit derselben, ist also eine Form, die jeder Thätig- keit, welche als wirklich gedacht wird, nothwendig zukommt; eine Kategorie derselben, so nothwendig wie die Zeit. Und diese Kategorie ist dreifach: erste, zweite und dritte Person. Liegt in amo, amat ein Subject? Nein! denn es liegt nur die Thätigkeit und ihre Beziehung auf ein Subject vor. Der *) Sollte es nöthig sein ausdrücklich zu versichern, daß ich nicht glaube, daß die Pronomina von Verbalwurzeln abgeleitet sind?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/402
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/402>, abgerufen am 18.12.2024.