erfüllen, welche sich aus demselben nothwendig ergeben. Diese Forderungen nun sollen eine Grundlage bilden, auf welcher alle Sprachen, auch die verschiedensten, mit einander verglichen wer- den können, indem man bei jeder einzelnen untersuche, in wel- cher Weise sie den Forderungen nachzukommen strebe. Die Gesammtheit derselben würde also einen festen Ausgangspunkt für die Erforschung der Verschiedenheiten gewähren und einen sichern Maßstab darbieten, um danach die Höhe der Organisa- tionsstufe zu bestimmen.
Ferner sagt man: die logischen und metaphysischen For- men des Gedankens sind gegeben und stehen ein für alle Mal fest. Sie werden aber in der Sprache irgendwie ausgedrückt, wenn auch mehr oder weniger rein und vollständig. Sie bilden also das einende Band aller Sprachen, und es muß mithin im- mer möglich sein, zu fragen: "wie wird diese oder jene logische Form in den verschiedenen Sprachen dargestellt?"
Eben so, sagt man, verhalte es sich mit dem Thierreiche. Die Thiere mögen noch so verschieden sein: man kann sie doch mit einander vergleichen, z. B. selbst die Mücke mit dem Ele- phanten, wenn auch nicht in der Weise, wie letztern mit dem Pferde. Der Begriff des Thieres nämlich schließt gewisse For- derungen in sich, denen jedes Wesen, welches ein Thier sein soll, entsprechen muß, als z. B. Athmen, Verdauen. Diese For- derungen des Begriffs bilden die Einheit aller Thiere, und nun wird erst ihre Verschiedenheit recht klar, wenn man bei jeder Art danach fragt, wie sie die allgemeinen Forderungen des Be- griffs erfülle. Ganz ebenso verhalte es sich mit den Sprachen, welche gewisse Punkte gemein haben müßten, wären diese auch an sich ganz abstract, weil sie vom Begriffe der Sprache un- ausweichlich gefordert würden.
Diese Anschauungsweise aber, entgegnen wir, ist falsch. Solche allgemeine Forderungen seitens der Logik oder eines andern Systems existiren für die Sprache nicht; denn die Spra- che ist vor der Logik und vor dem verständigen Denken. Man vergegenwärtige sich unsere obige Darstellung, und man wird begreifen, wie völlig unangemessen jede Forderung ist, die an die Sprache, d. h. an die Gestaltung der innern Sprachform, ge- stellt wird. Wir sahen zunächst die Anschauung: sie ist form- los, d. h. hat keine Gedankenform. Die erste Form, die der Geist während seiner Denkthätigkeit aus sich bildet, ist dieje-
erfüllen, welche sich aus demselben nothwendig ergeben. Diese Forderungen nun sollen eine Grundlage bilden, auf welcher alle Sprachen, auch die verschiedensten, mit einander verglichen wer- den können, indem man bei jeder einzelnen untersuche, in wel- cher Weise sie den Forderungen nachzukommen strebe. Die Gesammtheit derselben würde also einen festen Ausgangspunkt für die Erforschung der Verschiedenheiten gewähren und einen sichern Maßstab darbieten, um danach die Höhe der Organisa- tionsstufe zu bestimmen.
Ferner sagt man: die logischen und metaphysischen For- men des Gedankens sind gegeben und stehen ein für alle Mal fest. Sie werden aber in der Sprache irgendwie ausgedrückt, wenn auch mehr oder weniger rein und vollständig. Sie bilden also das einende Band aller Sprachen, und es muß mithin im- mer möglich sein, zu fragen: „wie wird diese oder jene logische Form in den verschiedenen Sprachen dargestellt?“
Eben so, sagt man, verhalte es sich mit dem Thierreiche. Die Thiere mögen noch so verschieden sein: man kann sie doch mit einander vergleichen, z. B. selbst die Mücke mit dem Ele- phanten, wenn auch nicht in der Weise, wie letztern mit dem Pferde. Der Begriff des Thieres nämlich schließt gewisse For- derungen in sich, denen jedes Wesen, welches ein Thier sein soll, entsprechen muß, als z. B. Athmen, Verdauen. Diese For- derungen des Begriffs bilden die Einheit aller Thiere, und nun wird erst ihre Verschiedenheit recht klar, wenn man bei jeder Art danach fragt, wie sie die allgemeinen Forderungen des Be- griffs erfülle. Ganz ebenso verhalte es sich mit den Sprachen, welche gewisse Punkte gemein haben müßten, wären diese auch an sich ganz abstract, weil sie vom Begriffe der Sprache un- ausweichlich gefordert würden.
Diese Anschauungsweise aber, entgegnen wir, ist falsch. Solche allgemeine Forderungen seitens der Logik oder eines andern Systems existiren für die Sprache nicht; denn die Spra- che ist vor der Logik und vor dem verständigen Denken. Man vergegenwärtige sich unsere obige Darstellung, und man wird begreifen, wie völlig unangemessen jede Forderung ist, die an die Sprache, d. h. an die Gestaltung der innern Sprachform, ge- stellt wird. Wir sahen zunächst die Anschauung: sie ist form- los, d. h. hat keine Gedankenform. Die erste Form, die der Geist während seiner Denkthätigkeit aus sich bildet, ist dieje-
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erfüllen, welche sich aus demselben nothwendig ergeben. Diese
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den können, indem man bei jeder einzelnen untersuche, in wel-
cher Weise sie den Forderungen nachzukommen strebe. Die
Gesammtheit derselben würde also einen festen Ausgangspunkt
für die Erforschung der Verschiedenheiten gewähren und einen
sichern Maßstab darbieten, um danach die Höhe der Organisa-
tionsstufe zu bestimmen.
Ferner sagt man: die logischen und metaphysischen For-
men des Gedankens sind gegeben und stehen ein für alle Mal
fest. Sie werden aber in der Sprache irgendwie ausgedrückt,
wenn auch mehr oder weniger rein und vollständig. Sie bilden
also das einende Band aller Sprachen, und es muß mithin im-
mer möglich sein, zu fragen: „wie wird diese oder jene logische
Form in den verschiedenen Sprachen dargestellt?“
Eben so, sagt man, verhalte es sich mit dem Thierreiche.
Die Thiere mögen noch so verschieden sein: man kann sie doch
mit einander vergleichen, z. B. selbst die Mücke mit dem Ele-
phanten, wenn auch nicht in der Weise, wie letztern mit dem
Pferde. Der Begriff des Thieres nämlich schließt gewisse For-
derungen in sich, denen jedes Wesen, welches ein Thier sein
soll, entsprechen muß, als z. B. Athmen, Verdauen. Diese For-
derungen des Begriffs bilden die Einheit aller Thiere, und nun
wird erst ihre Verschiedenheit recht klar, wenn man bei jeder
Art danach fragt, wie sie die allgemeinen Forderungen des Be-
griffs erfülle. Ganz ebenso verhalte es sich mit den Sprachen,
welche gewisse Punkte gemein haben müßten, wären diese auch
an sich ganz abstract, weil sie vom Begriffe der Sprache un-
ausweichlich gefordert würden.
Diese Anschauungsweise aber, entgegnen wir, ist falsch.
Solche allgemeine Forderungen seitens der Logik oder eines
andern Systems existiren für die Sprache nicht; denn die Spra-
che ist vor der Logik und vor dem verständigen Denken. Man
vergegenwärtige sich unsere obige Darstellung, und man wird
begreifen, wie völlig unangemessen jede Forderung ist, die an
die Sprache, d. h. an die Gestaltung der innern Sprachform, ge-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/421>, abgerufen am 18.07.2024.
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