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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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schon anderweitig erkannter Gesetze; als auch wie die Luft
nicht anders kann, als jene zu reizen. Becker aber zeigt nicht,
wie der Gedanke für die Thätigkeit der Sprachwerkzeuge ein
Reiz sein könne, ihre Bewegungen zu beginnen, und wie diese
geeignet seien, jenen Reiz von den Gedanken aus aufzunehmen,
um dadurch in eine so bestimmte Richtung ihrer Bewegungen
zu gelangen. Man verlangt also, daß wie der Physiolog uns
zeigt, inwiefern der Bau der Lungen und des Brustkastens, die
physikalische und chemische Beschaffenheit der Luft und des
Blutes den Athmungsproceß erzeugt, ebenso Becker zeigen
solle, wie vermöge ihrer eigenthümlichen Natur und Construc-
tion der Gedanke und die Sprachwerkzeuge zur Erzeugung der
Sprache zusammenwirken müssen. In einem Nebensatze behaup-
ten, die Wirkung dieses Reizes und die Empfänglichkeit dafür
sei "mit der Einheit des geistigen und leiblichen Lebens gege-
ben", und tausendmal wiederholen: "der Geist erscheint orga-
nisch im Laute," das heißt eben nur die Sache in einer Phrase
aussprechen, aber nicht eine Erklärung derselben geben; höch-
stens wird dadurch der Anfang zur Lösung gemacht, der Weg
dazu gezeigt, nicht betreten. Wir verkennen Beckers Ver-
dienst nicht: wenn man früher fragte, wie sind diese beiden
Dinge, Gedanke und Laut, zusammengekommen? -- eine unbe-
antwortbare, weil falsch gestellte Frage -- so hat Becker eben
diese Falschheit erkannt und hat ausgesprochen: diese Dinge sind
nicht erst zusammengekommen, nachdem sie getrennt vorhan-
den waren; sondern sie sind eben nur zusammen. Das Ver-
dienst, die Frage so zurecht gerückt zu haben, ist bedeutend;
es ist aber nur der Anfang zur Lösung der Aufgabe; denn man
will wissen, inwiefern folgt es aus dem Wesen des Gedankens,
daß er nur mit dem Laute verbunden wirklich ist? Becker ant-
wortet: "Es ist ein allgemeines Gesetz, daß u. s. w." Wenn
ein solcher allgemeiner Satz das Besondere erklären soll, so ist
er eine sophistische Phrase.

Betrachten wir nun die Analogie zwischen Athmen und
Sprechen näher, so sehen wir, daß sie zu unvollkommen ist, als
daß eine genügende Durchführung möglich wäre. Denn erst-
lich: während beim Athmen die Werkzeuge und die reizende
Luft in demselben Bereiche physischer Kräfte liegen, liegt bei
der Sprache der Gedanke, welcher reizen soll, auf einem ganz
anderen Gebiete als die Werkzeuge, die gereizt werden sollen.

schon anderweitig erkannter Gesetze; als auch wie die Luft
nicht anders kann, als jene zu reizen. Becker aber zeigt nicht,
wie der Gedanke für die Thätigkeit der Sprachwerkzeuge ein
Reiz sein könne, ihre Bewegungen zu beginnen, und wie diese
geeignet seien, jenen Reiz von den Gedanken aus aufzunehmen,
um dadurch in eine so bestimmte Richtung ihrer Bewegungen
zu gelangen. Man verlangt also, daß wie der Physiolog uns
zeigt, inwiefern der Bau der Lungen und des Brustkastens, die
physikalische und chemische Beschaffenheit der Luft und des
Blutes den Athmungsproceß erzeugt, ebenso Becker zeigen
solle, wie vermöge ihrer eigenthümlichen Natur und Construc-
tion der Gedanke und die Sprachwerkzeuge zur Erzeugung der
Sprache zusammenwirken müssen. In einem Nebensatze behaup-
ten, die Wirkung dieses Reizes und die Empfänglichkeit dafür
sei „mit der Einheit des geistigen und leiblichen Lebens gege-
ben“, und tausendmal wiederholen: „der Geist erscheint orga-
nisch im Laute,“ das heißt eben nur die Sache in einer Phrase
aussprechen, aber nicht eine Erklärung derselben geben; höch-
stens wird dadurch der Anfang zur Lösung gemacht, der Weg
dazu gezeigt, nicht betreten. Wir verkennen Beckers Ver-
dienst nicht: wenn man früher fragte, wie sind diese beiden
Dinge, Gedanke und Laut, zusammengekommen? — eine unbe-
antwortbare, weil falsch gestellte Frage — so hat Becker eben
diese Falschheit erkannt und hat ausgesprochen: diese Dinge sind
nicht erst zusammengekommen, nachdem sie getrennt vorhan-
den waren; sondern sie sind eben nur zusammen. Das Ver-
dienst, die Frage so zurecht gerückt zu haben, ist bedeutend;
es ist aber nur der Anfang zur Lösung der Aufgabe; denn man
will wissen, inwiefern folgt es aus dem Wesen des Gedankens,
daß er nur mit dem Laute verbunden wirklich ist? Becker ant-
wortet: „Es ist ein allgemeines Gesetz, daß u. s. w.“ Wenn
ein solcher allgemeiner Satz das Besondere erklären soll, so ist
er eine sophistische Phrase.

Betrachten wir nun die Analogie zwischen Athmen und
Sprechen näher, so sehen wir, daß sie zu unvollkommen ist, als
daß eine genügende Durchführung möglich wäre. Denn erst-
lich: während beim Athmen die Werkzeuge und die reizende
Luft in demselben Bereiche physischer Kräfte liegen, liegt bei
der Sprache der Gedanke, welcher reizen soll, auf einem ganz
anderen Gebiete als die Werkzeuge, die gereizt werden sollen.

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[38/0076] schon anderweitig erkannter Gesetze; als auch wie die Luft nicht anders kann, als jene zu reizen. Becker aber zeigt nicht, wie der Gedanke für die Thätigkeit der Sprachwerkzeuge ein Reiz sein könne, ihre Bewegungen zu beginnen, und wie diese geeignet seien, jenen Reiz von den Gedanken aus aufzunehmen, um dadurch in eine so bestimmte Richtung ihrer Bewegungen zu gelangen. Man verlangt also, daß wie der Physiolog uns zeigt, inwiefern der Bau der Lungen und des Brustkastens, die physikalische und chemische Beschaffenheit der Luft und des Blutes den Athmungsproceß erzeugt, ebenso Becker zeigen solle, wie vermöge ihrer eigenthümlichen Natur und Construc- tion der Gedanke und die Sprachwerkzeuge zur Erzeugung der Sprache zusammenwirken müssen. In einem Nebensatze behaup- ten, die Wirkung dieses Reizes und die Empfänglichkeit dafür sei „mit der Einheit des geistigen und leiblichen Lebens gege- ben“, und tausendmal wiederholen: „der Geist erscheint orga- nisch im Laute,“ das heißt eben nur die Sache in einer Phrase aussprechen, aber nicht eine Erklärung derselben geben; höch- stens wird dadurch der Anfang zur Lösung gemacht, der Weg dazu gezeigt, nicht betreten. Wir verkennen Beckers Ver- dienst nicht: wenn man früher fragte, wie sind diese beiden Dinge, Gedanke und Laut, zusammengekommen? — eine unbe- antwortbare, weil falsch gestellte Frage — so hat Becker eben diese Falschheit erkannt und hat ausgesprochen: diese Dinge sind nicht erst zusammengekommen, nachdem sie getrennt vorhan- den waren; sondern sie sind eben nur zusammen. Das Ver- dienst, die Frage so zurecht gerückt zu haben, ist bedeutend; es ist aber nur der Anfang zur Lösung der Aufgabe; denn man will wissen, inwiefern folgt es aus dem Wesen des Gedankens, daß er nur mit dem Laute verbunden wirklich ist? Becker ant- wortet: „Es ist ein allgemeines Gesetz, daß u. s. w.“ Wenn ein solcher allgemeiner Satz das Besondere erklären soll, so ist er eine sophistische Phrase. Betrachten wir nun die Analogie zwischen Athmen und Sprechen näher, so sehen wir, daß sie zu unvollkommen ist, als daß eine genügende Durchführung möglich wäre. Denn erst- lich: während beim Athmen die Werkzeuge und die reizende Luft in demselben Bereiche physischer Kräfte liegen, liegt bei der Sprache der Gedanke, welcher reizen soll, auf einem ganz anderen Gebiete als die Werkzeuge, die gereizt werden sollen.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/76>, abgerufen am 21.11.2024.