oben im Begriffe des Organismus gefunden haben. Das Ergeb- niß der widersprechenden Begriffsbewegungen ist auch hier wieder die Gleichheit der Begriffe Differenz, Gegensatz und or- ganisch. Ja der Begriff des Zweckes schwindet vollständig aus Beckers Organismus, wie er ja auch nur in der unbestimm- ten Form des sich verleiblichenden Gedankens in denselben ein- geführt war; und der Gegensatz ist es eigentlich, was das We- sen des Organischen ausmacht. So weit Gegensatz, so weit auch Organismus, und umgekehrt; sie sind gleich an Inhalt und Umfang.
Uebrigens scheint der Definition Beckers vom Gegensatze eine sehr bestimmte Anschauung zu Grunde zu liegen. Wir irren schwerlich, wenn wir als Beckers Ansicht vom Gegensatze dies aussprechen: Entgegengesetzt sind zwei Thätigkeiten oder Stoffe, von denen jede ihre Wirksamkeit, ihr Sein darin hat, der andern entgegengesetzt zu sein; so daß keine ohne die andere, jede nur mit der andern sowohl sein, als auch gedacht werden kann. Diese Definition ist aber, wie schon bemerkt, dem unorganischen Auftreten des Gegensatzes im Gebiete der Elektricität und des Magnetismus entlehnt, womit also der Organismus bei Becker nur noch der Phrase nach, dem Wesen nach nur Unorganisches vorhanden ist. Wir haben oben dagegen geltend gemacht, daß im Organismus zwar polarischer Gegensatz herrscht, aber nicht dieser einfache zweigliedrige; sondern hier steht jedes Ding in vielseitigem Gegensatze zu vielen anderen, und das organische Wesen derselben wird nur erkannt, indem die Einheit dieser vielfachen Beziehungen aufgefunden wird, wird aber zerstört, wenn die einzelnen Seiten des vielfachen Gegensatzes aus ein- ander gezogen werden. Wenn a zu b, c, d u. s. w. in wechsel- seitiger Beziehung steht und auch b, c, d u. s. w. unter einander sich im Wechselverhältnisse befinden, welche dürftige Erkennt- niß würde daraus entstehen, wenn man a einseitig als im pola- rischen Gegensatze zu b begriffen auffaßt und darin sein gan- zes Wesen aufgehen läßt! In solcher Weise aber behandelt Becker den Organismus.
Die Beckersche Definition des Gegensatzes ist aber so eng, daß sie auch den gerechtesten Sprachgebrauch des Wortes nicht umfaßt. Der Gegensatz der Farben z. B. ist nach ihr schwer- lich aufzufassen. Den Grund sieht man leicht ein. Während dem Gegensatze der positiven und negativen Elektricität, der
oben im Begriffe des Organismus gefunden haben. Das Ergeb- niß der widersprechenden Begriffsbewegungen ist auch hier wieder die Gleichheit der Begriffe Differenz, Gegensatz und or- ganisch. Ja der Begriff des Zweckes schwindet vollständig aus Beckers Organismus, wie er ja auch nur in der unbestimm- ten Form des sich verleiblichenden Gedankens in denselben ein- geführt war; und der Gegensatz ist es eigentlich, was das We- sen des Organischen ausmacht. So weit Gegensatz, so weit auch Organismus, und umgekehrt; sie sind gleich an Inhalt und Umfang.
Uebrigens scheint der Definition Beckers vom Gegensatze eine sehr bestimmte Anschauung zu Grunde zu liegen. Wir irren schwerlich, wenn wir als Beckers Ansicht vom Gegensatze dies aussprechen: Entgegengesetzt sind zwei Thätigkeiten oder Stoffe, von denen jede ihre Wirksamkeit, ihr Sein darin hat, der andern entgegengesetzt zu sein; so daß keine ohne die andere, jede nur mit der andern sowohl sein, als auch gedacht werden kann. Diese Definition ist aber, wie schon bemerkt, dem unorganischen Auftreten des Gegensatzes im Gebiete der Elektricität und des Magnetismus entlehnt, womit also der Organismus bei Becker nur noch der Phrase nach, dem Wesen nach nur Unorganisches vorhanden ist. Wir haben oben dagegen geltend gemacht, daß im Organismus zwar polarischer Gegensatz herrscht, aber nicht dieser einfache zweigliedrige; sondern hier steht jedes Ding in vielseitigem Gegensatze zu vielen anderen, und das organische Wesen derselben wird nur erkannt, indem die Einheit dieser vielfachen Beziehungen aufgefunden wird, wird aber zerstört, wenn die einzelnen Seiten des vielfachen Gegensatzes aus ein- ander gezogen werden. Wenn a zu b, c, d u. s. w. in wechsel- seitiger Beziehung steht und auch b, c, d u. s. w. unter einander sich im Wechselverhältnisse befinden, welche dürftige Erkennt- niß würde daraus entstehen, wenn man a einseitig als im pola- rischen Gegensatze zu b begriffen auffaßt und darin sein gan- zes Wesen aufgehen läßt! In solcher Weise aber behandelt Becker den Organismus.
Die Beckersche Definition des Gegensatzes ist aber so eng, daß sie auch den gerechtesten Sprachgebrauch des Wortes nicht umfaßt. Der Gegensatz der Farben z. B. ist nach ihr schwer- lich aufzufassen. Den Grund sieht man leicht ein. Während dem Gegensatze der positiven und negativen Elektricität, der
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oben im Begriffe des Organismus gefunden haben. Das Ergeb-
niß der widersprechenden Begriffsbewegungen ist auch hier
wieder die Gleichheit der Begriffe Differenz, Gegensatz und or-
ganisch. Ja der Begriff des Zweckes schwindet vollständig aus
Beckers Organismus, wie er ja auch nur in der unbestimm-
ten Form des sich verleiblichenden Gedankens in denselben ein-
geführt war; und der Gegensatz ist es eigentlich, was das We-
sen des Organischen ausmacht. So weit Gegensatz, so weit
auch Organismus, und umgekehrt; sie sind gleich an Inhalt und
Umfang.
Uebrigens scheint der Definition Beckers vom Gegensatze
eine sehr bestimmte Anschauung zu Grunde zu liegen. Wir irren
schwerlich, wenn wir als Beckers Ansicht vom Gegensatze dies
aussprechen: Entgegengesetzt sind zwei Thätigkeiten oder Stoffe,
von denen jede ihre Wirksamkeit, ihr Sein darin hat, der andern
entgegengesetzt zu sein; so daß keine ohne die andere, jede
nur mit der andern sowohl sein, als auch gedacht werden kann.
Diese Definition ist aber, wie schon bemerkt, dem unorganischen
Auftreten des Gegensatzes im Gebiete der Elektricität und des
Magnetismus entlehnt, womit also der Organismus bei Becker
nur noch der Phrase nach, dem Wesen nach nur Unorganisches
vorhanden ist. Wir haben oben dagegen geltend gemacht, daß
im Organismus zwar polarischer Gegensatz herrscht, aber nicht
dieser einfache zweigliedrige; sondern hier steht jedes Ding in
vielseitigem Gegensatze zu vielen anderen, und das organische
Wesen derselben wird nur erkannt, indem die Einheit dieser
vielfachen Beziehungen aufgefunden wird, wird aber zerstört,
wenn die einzelnen Seiten des vielfachen Gegensatzes aus ein-
ander gezogen werden. Wenn a zu b, c, d u. s. w. in wechsel-
seitiger Beziehung steht und auch b, c, d u. s. w. unter einander
sich im Wechselverhältnisse befinden, welche dürftige Erkennt-
niß würde daraus entstehen, wenn man a einseitig als im pola-
rischen Gegensatze zu b begriffen auffaßt und darin sein gan-
zes Wesen aufgehen läßt! In solcher Weise aber behandelt
Becker den Organismus.
Die Beckersche Definition des Gegensatzes ist aber so eng,
daß sie auch den gerechtesten Sprachgebrauch des Wortes nicht
umfaßt. Der Gegensatz der Farben z. B. ist nach ihr schwer-
lich aufzufassen. Den Grund sieht man leicht ein. Während
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/82>, abgerufen am 18.12.2024.
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