Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Halden fallen alle in gleicher rascher Senkung ins Thal herab und lassen wenig oder keine Fläche. Bis zur halben Höhe sind Wiesen, oben ist Wald. Hie und da reicht der Forst auch an den Steig herab. Etwas unterhalb Galthür beginnen wieder die Gerstenfelder. Der Pfad klettert links vom Bache auf und nieder und führt durch einige arme schmutzige Dörfchen. Endlich steigt Ischgl, die Paznauner Capitale, über den Fichten auf, stolz an die Halde hingebaut, mit mächtigen steinernen Häusern und ansehnlichem Dachwerk, aus dem ein gothischer grüner Kirchthurm spitzig in die Luft schießt. Hier habe ich meine leibliche Tröstung beim "Wälschen" gefunden. In Ischgl erlebte ich auch wieder das Vergnügen eine Chronik aufzutreiben. Wer weiß, an wie vielen andern ich seit dem Fund im Mittelberger Bade vorübergegangen war. Daß ich in Galthür eine überlaufen hatte, erhellte mir schon aus der ersten Seite des Ischgler Buches, wo es mit deutlichen Worten zu lesen, daß Thomas Praun, ehedem Richter zu Galthür, auch eine Chronik verfaßt, welche in selbigem Orte bei Joseph Feuerstein zu finden. Es gibt solcher Thalgeschichtsbücher eine ziemliche Anzahl, nur sind sie nicht alle gleich zugänglich; manche bei abgelegenen Leuten verwahrt, manche selbst abgelegen und vergessen. Große Schätze für ältere Geschichte dürften nicht darin zu finden seyn - für diese Epoche beziehen sich die Chronisten gewöhnlich auf gedruckte Bücher - aber aus dem Leben der letzten Jahrhunderte enthalten sie meistentheils viele erquickende Einzelheiten, und was sie gar schätzbar macht, sie berücksichtigen auch die jetzt übel angesehenen Sagen, die alten Mähren, die Niemand mehr erzählen darf, die tausendjährige Volkspoesie, über deren Vernachlässigung wir an einem andern Orte klagen werden. Das Ischgler Manuscript heißt: "Geschichtliche Sammlung" und ist in den Jahren 1840 und 1841 von Johann Christian Zangerl, einem bejahrten Einwohner des Dorfes, der lange Zeit Gemeinderichter gewesen war, zusammengestellt worden. Am Eingange gibt der jetzt dahingegangene Verfasser einen allgemeinen Ueberblick der Geschichte des Paznauner Thales mit Beziehungen auf Tschudi und andre ältere und neuere Historiker, Halden fallen alle in gleicher rascher Senkung ins Thal herab und lassen wenig oder keine Fläche. Bis zur halben Höhe sind Wiesen, oben ist Wald. Hie und da reicht der Forst auch an den Steig herab. Etwas unterhalb Galthür beginnen wieder die Gerstenfelder. Der Pfad klettert links vom Bache auf und nieder und führt durch einige arme schmutzige Dörfchen. Endlich steigt Ischgl, die Paznauner Capitale, über den Fichten auf, stolz an die Halde hingebaut, mit mächtigen steinernen Häusern und ansehnlichem Dachwerk, aus dem ein gothischer grüner Kirchthurm spitzig in die Luft schießt. Hier habe ich meine leibliche Tröstung beim „Wälschen" gefunden. In Ischgl erlebte ich auch wieder das Vergnügen eine Chronik aufzutreiben. Wer weiß, an wie vielen andern ich seit dem Fund im Mittelberger Bade vorübergegangen war. Daß ich in Galthür eine überlaufen hatte, erhellte mir schon aus der ersten Seite des Ischgler Buches, wo es mit deutlichen Worten zu lesen, daß Thomas Praun, ehedem Richter zu Galthür, auch eine Chronik verfaßt, welche in selbigem Orte bei Joseph Feuerstein zu finden. Es gibt solcher Thalgeschichtsbücher eine ziemliche Anzahl, nur sind sie nicht alle gleich zugänglich; manche bei abgelegenen Leuten verwahrt, manche selbst abgelegen und vergessen. Große Schätze für ältere Geschichte dürften nicht darin zu finden seyn – für diese Epoche beziehen sich die Chronisten gewöhnlich auf gedruckte Bücher – aber aus dem Leben der letzten Jahrhunderte enthalten sie meistentheils viele erquickende Einzelheiten, und was sie gar schätzbar macht, sie berücksichtigen auch die jetzt übel angesehenen Sagen, die alten Mähren, die Niemand mehr erzählen darf, die tausendjährige Volkspoesie, über deren Vernachlässigung wir an einem andern Orte klagen werden. Das Ischgler Manuscript heißt: „Geschichtliche Sammlung“ und ist in den Jahren 1840 und 1841 von Johann Christian Zangerl, einem bejahrten Einwohner des Dorfes, der lange Zeit Gemeinderichter gewesen war, zusammengestellt worden. 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Wer weiß, an wie vielen andern ich seit dem Fund im Mittelberger Bade vorübergegangen war. Daß ich in Galthür eine überlaufen hatte, erhellte mir schon aus der ersten Seite des Ischgler Buches, wo es mit deutlichen Worten zu lesen, daß Thomas Praun, ehedem Richter zu Galthür, auch eine Chronik verfaßt, welche in selbigem Orte bei Joseph Feuerstein zu finden. Es gibt solcher Thalgeschichtsbücher eine ziemliche Anzahl, nur sind sie nicht alle gleich zugänglich; manche bei abgelegenen Leuten verwahrt, manche selbst abgelegen und vergessen. Große Schätze für ältere Geschichte dürften nicht darin zu finden seyn – für diese Epoche beziehen sich die Chronisten gewöhnlich auf gedruckte Bücher – aber aus dem Leben der letzten Jahrhunderte enthalten sie meistentheils viele erquickende Einzelheiten, und was sie gar schätzbar macht, sie berücksichtigen auch die jetzt übel angesehenen Sagen, die alten Mähren, die Niemand mehr erzählen darf, die tausendjährige Volkspoesie, über deren Vernachlässigung wir an einem andern Orte klagen werden.</p> <p>Das Ischgler Manuscript heißt: „Geschichtliche Sammlung“ und ist in den Jahren 1840 und 1841 von Johann Christian Zangerl, einem bejahrten Einwohner des Dorfes, der lange Zeit Gemeinderichter gewesen war, zusammengestellt worden. Am Eingange gibt der jetzt dahingegangene Verfasser einen allgemeinen Ueberblick der Geschichte des Paznauner Thales mit Beziehungen auf Tschudi und andre ältere und neuere Historiker, </p> </div> </body> </text> </TEI> [132/0137]
Halden fallen alle in gleicher rascher Senkung ins Thal herab und lassen wenig oder keine Fläche. Bis zur halben Höhe sind Wiesen, oben ist Wald. Hie und da reicht der Forst auch an den Steig herab. Etwas unterhalb Galthür beginnen wieder die Gerstenfelder. Der Pfad klettert links vom Bache auf und nieder und führt durch einige arme schmutzige Dörfchen. Endlich steigt Ischgl, die Paznauner Capitale, über den Fichten auf, stolz an die Halde hingebaut, mit mächtigen steinernen Häusern und ansehnlichem Dachwerk, aus dem ein gothischer grüner Kirchthurm spitzig in die Luft schießt. Hier habe ich meine leibliche Tröstung beim „Wälschen" gefunden.
In Ischgl erlebte ich auch wieder das Vergnügen eine Chronik aufzutreiben. Wer weiß, an wie vielen andern ich seit dem Fund im Mittelberger Bade vorübergegangen war. Daß ich in Galthür eine überlaufen hatte, erhellte mir schon aus der ersten Seite des Ischgler Buches, wo es mit deutlichen Worten zu lesen, daß Thomas Praun, ehedem Richter zu Galthür, auch eine Chronik verfaßt, welche in selbigem Orte bei Joseph Feuerstein zu finden. Es gibt solcher Thalgeschichtsbücher eine ziemliche Anzahl, nur sind sie nicht alle gleich zugänglich; manche bei abgelegenen Leuten verwahrt, manche selbst abgelegen und vergessen. Große Schätze für ältere Geschichte dürften nicht darin zu finden seyn – für diese Epoche beziehen sich die Chronisten gewöhnlich auf gedruckte Bücher – aber aus dem Leben der letzten Jahrhunderte enthalten sie meistentheils viele erquickende Einzelheiten, und was sie gar schätzbar macht, sie berücksichtigen auch die jetzt übel angesehenen Sagen, die alten Mähren, die Niemand mehr erzählen darf, die tausendjährige Volkspoesie, über deren Vernachlässigung wir an einem andern Orte klagen werden.
Das Ischgler Manuscript heißt: „Geschichtliche Sammlung“ und ist in den Jahren 1840 und 1841 von Johann Christian Zangerl, einem bejahrten Einwohner des Dorfes, der lange Zeit Gemeinderichter gewesen war, zusammengestellt worden. Am Eingange gibt der jetzt dahingegangene Verfasser einen allgemeinen Ueberblick der Geschichte des Paznauner Thales mit Beziehungen auf Tschudi und andre ältere und neuere Historiker,
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