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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Brettchen quer über dem Haupte des Gekreuzigten hin. Auf dem Brettchen standen mehrere fromme Täfelchen, vor dem Feldkreuze aber stand eine fromme Bauersfrau und neben ihr zwei Jungen. Als ich herangekommen, deutete die Bäuerin wehmüthig hinauf zu jener Leiste und machte mich aufmerksam, daß eines von den Bildchen umgefallen sey und auf dem Gesichte liege; ich möchte doch um Gotteswillen das Gemälde wieder aufstellen; die Knaben hättens schon versucht, aber sie seyen nicht groß genug und reichten nicht hinauf. Freundlich angesprochen von ihrem Zutrauen legt' ich Stock und Wanderbündel ab und stieg in das Gehäuse empor, streckte meine Hand nach dem umgefallenen Bildniß aus und richtete es wieder geziemend auf. Und siehe da, als ich näher zusah, war es Filumena, die neue Heilige, deren Ruf vor nicht langen Jahren aufkam und die sich in kurzer Zeit so allgemein beliebt gemacht hat. Keine Capelle, kaum eine Stube, kaum ein Feldkreuz, die nicht mit Filumenen's Bildniß geschmückt wären, ja selbst die Mädchen wenden häufig schon nach ihr getauft. Ich habe nicht versäumt mich zu gelegener Stunde genauer um diese Heilige zu erkundigen und man hat mir zur Aufklärung zwei Druckschriften mitgetheilt, von denen die eine, kleinere Anton Passy, Priester der Versammlung des heiligsten Erlösers, 1334 zu Wien herausgegeben hat, wogegen die größere, aus dem Französischen übersetzte 1836 zu Innsbruck erschienen ist. Beide beruhen auf einem Werke, das einen Priester zu Mugnano im Königreich Neapel, Don Francesco de Lucia, zum Verfasser hat und bereits verschiedene Auflagen erlebte. Wir entnehmen aus diesen Quellen, daß Don Francesco im Jahre 1805 eine Reise nach Rom machte und dort in die Schatzkammer der heiligen Reliquien Eintritt erhielt, weil er den Wunsch ausgesprochen hatte, einen heiligen Leib zu erwerben. Er wählte sich die Gebeine einer Heiligen, die ein Jahr zuvor in den Katakomben ausgegraben worden. Man hatte dabei einen Leichenstein aus den Zeiten des Kaisers Diocletian gefunden mit den Worten: Lumena Pax Te Cum Fi. aus welchen der gelehrte Partenius entnahm, daß der Name der Seligen Filumena seyn müsse, indem

Brettchen quer über dem Haupte des Gekreuzigten hin. Auf dem Brettchen standen mehrere fromme Täfelchen, vor dem Feldkreuze aber stand eine fromme Bauersfrau und neben ihr zwei Jungen. Als ich herangekommen, deutete die Bäuerin wehmüthig hinauf zu jener Leiste und machte mich aufmerksam, daß eines von den Bildchen umgefallen sey und auf dem Gesichte liege; ich möchte doch um Gotteswillen das Gemälde wieder aufstellen; die Knaben hättens schon versucht, aber sie seyen nicht groß genug und reichten nicht hinauf. Freundlich angesprochen von ihrem Zutrauen legt’ ich Stock und Wanderbündel ab und stieg in das Gehäuse empor, streckte meine Hand nach dem umgefallenen Bildniß aus und richtete es wieder geziemend auf. Und siehe da, als ich näher zusah, war es Filumena, die neue Heilige, deren Ruf vor nicht langen Jahren aufkam und die sich in kurzer Zeit so allgemein beliebt gemacht hat. Keine Capelle, kaum eine Stube, kaum ein Feldkreuz, die nicht mit Filumenen’s Bildniß geschmückt wären, ja selbst die Mädchen wenden häufig schon nach ihr getauft. Ich habe nicht versäumt mich zu gelegener Stunde genauer um diese Heilige zu erkundigen und man hat mir zur Aufklärung zwei Druckschriften mitgetheilt, von denen die eine, kleinere Anton Passy, Priester der Versammlung des heiligsten Erlösers, 1334 zu Wien herausgegeben hat, wogegen die größere, aus dem Französischen übersetzte 1836 zu Innsbruck erschienen ist. Beide beruhen auf einem Werke, das einen Priester zu Mugnano im Königreich Neapel, Don Francesco de Lucia, zum Verfasser hat und bereits verschiedene Auflagen erlebte. Wir entnehmen aus diesen Quellen, daß Don Francesco im Jahre 1805 eine Reise nach Rom machte und dort in die Schatzkammer der heiligen Reliquien Eintritt erhielt, weil er den Wunsch ausgesprochen hatte, einen heiligen Leib zu erwerben. Er wählte sich die Gebeine einer Heiligen, die ein Jahr zuvor in den Katakomben ausgegraben worden. Man hatte dabei einen Leichenstein aus den Zeiten des Kaisers Diocletian gefunden mit den Worten: Lumena Pax Te Cum Fi. aus welchen der gelehrte Partenius entnahm, daß der Name der Seligen Filumena seyn müsse, indem

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[138/0143] Brettchen quer über dem Haupte des Gekreuzigten hin. Auf dem Brettchen standen mehrere fromme Täfelchen, vor dem Feldkreuze aber stand eine fromme Bauersfrau und neben ihr zwei Jungen. Als ich herangekommen, deutete die Bäuerin wehmüthig hinauf zu jener Leiste und machte mich aufmerksam, daß eines von den Bildchen umgefallen sey und auf dem Gesichte liege; ich möchte doch um Gotteswillen das Gemälde wieder aufstellen; die Knaben hättens schon versucht, aber sie seyen nicht groß genug und reichten nicht hinauf. Freundlich angesprochen von ihrem Zutrauen legt’ ich Stock und Wanderbündel ab und stieg in das Gehäuse empor, streckte meine Hand nach dem umgefallenen Bildniß aus und richtete es wieder geziemend auf. Und siehe da, als ich näher zusah, war es Filumena, die neue Heilige, deren Ruf vor nicht langen Jahren aufkam und die sich in kurzer Zeit so allgemein beliebt gemacht hat. Keine Capelle, kaum eine Stube, kaum ein Feldkreuz, die nicht mit Filumenen’s Bildniß geschmückt wären, ja selbst die Mädchen wenden häufig schon nach ihr getauft. Ich habe nicht versäumt mich zu gelegener Stunde genauer um diese Heilige zu erkundigen und man hat mir zur Aufklärung zwei Druckschriften mitgetheilt, von denen die eine, kleinere Anton Passy, Priester der Versammlung des heiligsten Erlösers, 1334 zu Wien herausgegeben hat, wogegen die größere, aus dem Französischen übersetzte 1836 zu Innsbruck erschienen ist. Beide beruhen auf einem Werke, das einen Priester zu Mugnano im Königreich Neapel, Don Francesco de Lucia, zum Verfasser hat und bereits verschiedene Auflagen erlebte. Wir entnehmen aus diesen Quellen, daß Don Francesco im Jahre 1805 eine Reise nach Rom machte und dort in die Schatzkammer der heiligen Reliquien Eintritt erhielt, weil er den Wunsch ausgesprochen hatte, einen heiligen Leib zu erwerben. Er wählte sich die Gebeine einer Heiligen, die ein Jahr zuvor in den Katakomben ausgegraben worden. Man hatte dabei einen Leichenstein aus den Zeiten des Kaisers Diocletian gefunden mit den Worten: Lumena Pax Te Cum Fi. aus welchen der gelehrte Partenius entnahm, daß der Name der Seligen Filumena seyn müsse, indem

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/143>, abgerufen am 23.11.2024.