Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.starre Schrofen oder Gerölle und Geschiebe vergangener Bergfälle theilen sich in den Raum. Wer an Wasserfällen noch nicht gesättigt ist, mag sich in dieser Gegend am schönen Sturz des Atterthaibaches ergötzen; mein Gefährte behauptete indessen den ganzen Tag über sich so genug daran gesehen zu haben, daß er im Vorbeigeben die Augen zudrückte, um nicht zu viel zu bekommen. Um diese Zeit am späten Abend begegneten wir einem Fuhrmann, der einen zweirädrigen schwergepackten Karren begleitete, welcher heute noch nach Sölden kommen sollte. Es ist schwer zu beschreiben was ein Fuhrmann und sein Gaul auf solchen Wegen auszustehen hat. Gerade jetzt zog der Pfad, voller Schrunden und Risse einen steilen Steig hinan und nun schob der Mann selber mit. Auf halber Höhe aber wollte das Pferd erliegen und ging nicht weiter. Und ehe der Fuhrmann sich's versah, machte der Karren Anstalt rückwärts zu rollen und den Gaul mit sich zu ziehen, wobei es ihm denn gerade noch gelang einen Stein vor die Räder zu werfen und das Unglück aufzuhalten. Nunmehr stand er seufzend vor dem Gespann und sagte: wie lang werd' ich noch brauchen, ehe ich da hinauf komme. Wir hatten Erbarmen, halfen ihm zuerst einmal ein bißchen ausrasten, verkürzten ihm die Zeit durch freundliche Reden und dann schoben wir alle drei an dem Karren und wie ich glaube auch an dem Gaul, der jede Lust am Ziehen eingebüßt hatte. Nach einer langen Viertelstunde waren wir oben und trieften vor Schweiß. Dort verließen wir auch den Fuhrmann, der erst eine halbe Stunde nach uns das Dorf erreichte. Die Gemeinde Sölden liegt aber wieder sehr anmuthig in grünen Wiesen, die geräumig auseinander laufen und mit Roggenfeldern abwechseln. Die Häuser sind idyllisch zerstreut und verstecken sich da und dort heimlich hinter kleinen Waldschöpfen. Drüben ragen abermals die weißen Ferner herein und man spürt, daß man wieder weit hinten im Gebirge ist. In Sölden ist ein unverwerfliches Wirthshaus und ein braver Wirth, mit dem wir indeß trotz seiner Trefflichkeit nahezu in Streit gerathen wären. Es war am 5 August des Jahres 1842 als wir, wie erzählt, des Morgens in dem schönen starre Schrofen oder Gerölle und Geschiebe vergangener Bergfälle theilen sich in den Raum. Wer an Wasserfällen noch nicht gesättigt ist, mag sich in dieser Gegend am schönen Sturz des Atterthaibaches ergötzen; mein Gefährte behauptete indessen den ganzen Tag über sich so genug daran gesehen zu haben, daß er im Vorbeigeben die Augen zudrückte, um nicht zu viel zu bekommen. Um diese Zeit am späten Abend begegneten wir einem Fuhrmann, der einen zweirädrigen schwergepackten Karren begleitete, welcher heute noch nach Sölden kommen sollte. Es ist schwer zu beschreiben was ein Fuhrmann und sein Gaul auf solchen Wegen auszustehen hat. Gerade jetzt zog der Pfad, voller Schrunden und Risse einen steilen Steig hinan und nun schob der Mann selber mit. Auf halber Höhe aber wollte das Pferd erliegen und ging nicht weiter. Und ehe der Fuhrmann sich’s versah, machte der Karren Anstalt rückwärts zu rollen und den Gaul mit sich zu ziehen, wobei es ihm denn gerade noch gelang einen Stein vor die Räder zu werfen und das Unglück aufzuhalten. Nunmehr stand er seufzend vor dem Gespann und sagte: wie lang werd’ ich noch brauchen, ehe ich da hinauf komme. Wir hatten Erbarmen, halfen ihm zuerst einmal ein bißchen ausrasten, verkürzten ihm die Zeit durch freundliche Reden und dann schoben wir alle drei an dem Karren und wie ich glaube auch an dem Gaul, der jede Lust am Ziehen eingebüßt hatte. Nach einer langen Viertelstunde waren wir oben und trieften vor Schweiß. Dort verließen wir auch den Fuhrmann, der erst eine halbe Stunde nach uns das Dorf erreichte. Die Gemeinde Sölden liegt aber wieder sehr anmuthig in grünen Wiesen, die geräumig auseinander laufen und mit Roggenfeldern abwechseln. Die Häuser sind idyllisch zerstreut und verstecken sich da und dort heimlich hinter kleinen Waldschöpfen. Drüben ragen abermals die weißen Ferner herein und man spürt, daß man wieder weit hinten im Gebirge ist. In Sölden ist ein unverwerfliches Wirthshaus und ein braver Wirth, mit dem wir indeß trotz seiner Trefflichkeit nahezu in Streit gerathen wären. Es war am 5 August des Jahres 1842 als wir, wie erzählt, des Morgens in dem schönen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0225" n="221"/> starre Schrofen oder Gerölle und Geschiebe vergangener Bergfälle theilen sich in den Raum. Wer an Wasserfällen noch nicht gesättigt ist, mag sich in dieser Gegend am schönen Sturz des Atterthaibaches ergötzen; mein Gefährte behauptete indessen den ganzen Tag über sich so genug daran gesehen zu haben, daß er im Vorbeigeben die Augen zudrückte, um nicht zu viel zu bekommen. Um diese Zeit am späten Abend begegneten wir einem Fuhrmann, der einen zweirädrigen schwergepackten Karren begleitete, welcher heute noch nach Sölden kommen sollte. Es ist schwer zu beschreiben was ein Fuhrmann und sein Gaul auf solchen Wegen auszustehen hat. Gerade jetzt zog der Pfad, voller Schrunden und Risse einen steilen Steig hinan und nun schob der Mann selber mit. Auf halber Höhe aber wollte das Pferd erliegen und ging nicht weiter. Und ehe der Fuhrmann sich’s versah, machte der Karren Anstalt rückwärts zu rollen und den Gaul mit sich zu ziehen, wobei es ihm denn gerade noch gelang einen Stein vor die Räder zu werfen und das Unglück aufzuhalten. Nunmehr stand er seufzend vor dem Gespann und sagte: wie lang werd’ ich noch brauchen, ehe ich da hinauf komme. Wir hatten Erbarmen, halfen ihm zuerst einmal ein bißchen ausrasten, verkürzten ihm die Zeit durch freundliche Reden und dann schoben wir alle drei an dem Karren und wie ich glaube auch an dem Gaul, der jede Lust am Ziehen eingebüßt hatte. Nach einer langen Viertelstunde waren wir oben und trieften vor Schweiß. Dort verließen wir auch den Fuhrmann, der erst eine halbe Stunde nach uns das Dorf erreichte.</p> <p>Die Gemeinde Sölden liegt aber wieder sehr anmuthig in grünen Wiesen, die geräumig auseinander laufen und mit Roggenfeldern abwechseln. Die Häuser sind idyllisch zerstreut und verstecken sich da und dort heimlich hinter kleinen Waldschöpfen. Drüben ragen abermals die weißen Ferner herein und man spürt, daß man wieder weit hinten im Gebirge ist.</p> <p>In Sölden ist ein unverwerfliches Wirthshaus und ein braver Wirth, mit dem wir indeß trotz seiner Trefflichkeit nahezu in Streit gerathen wären. Es war am 5 August des Jahres 1842 als wir, wie erzählt, des Morgens in dem schönen </p> </div> </body> </text> </TEI> [221/0225]
starre Schrofen oder Gerölle und Geschiebe vergangener Bergfälle theilen sich in den Raum. Wer an Wasserfällen noch nicht gesättigt ist, mag sich in dieser Gegend am schönen Sturz des Atterthaibaches ergötzen; mein Gefährte behauptete indessen den ganzen Tag über sich so genug daran gesehen zu haben, daß er im Vorbeigeben die Augen zudrückte, um nicht zu viel zu bekommen. Um diese Zeit am späten Abend begegneten wir einem Fuhrmann, der einen zweirädrigen schwergepackten Karren begleitete, welcher heute noch nach Sölden kommen sollte. Es ist schwer zu beschreiben was ein Fuhrmann und sein Gaul auf solchen Wegen auszustehen hat. Gerade jetzt zog der Pfad, voller Schrunden und Risse einen steilen Steig hinan und nun schob der Mann selber mit. Auf halber Höhe aber wollte das Pferd erliegen und ging nicht weiter. Und ehe der Fuhrmann sich’s versah, machte der Karren Anstalt rückwärts zu rollen und den Gaul mit sich zu ziehen, wobei es ihm denn gerade noch gelang einen Stein vor die Räder zu werfen und das Unglück aufzuhalten. Nunmehr stand er seufzend vor dem Gespann und sagte: wie lang werd’ ich noch brauchen, ehe ich da hinauf komme. Wir hatten Erbarmen, halfen ihm zuerst einmal ein bißchen ausrasten, verkürzten ihm die Zeit durch freundliche Reden und dann schoben wir alle drei an dem Karren und wie ich glaube auch an dem Gaul, der jede Lust am Ziehen eingebüßt hatte. Nach einer langen Viertelstunde waren wir oben und trieften vor Schweiß. Dort verließen wir auch den Fuhrmann, der erst eine halbe Stunde nach uns das Dorf erreichte.
Die Gemeinde Sölden liegt aber wieder sehr anmuthig in grünen Wiesen, die geräumig auseinander laufen und mit Roggenfeldern abwechseln. Die Häuser sind idyllisch zerstreut und verstecken sich da und dort heimlich hinter kleinen Waldschöpfen. Drüben ragen abermals die weißen Ferner herein und man spürt, daß man wieder weit hinten im Gebirge ist.
In Sölden ist ein unverwerfliches Wirthshaus und ein braver Wirth, mit dem wir indeß trotz seiner Trefflichkeit nahezu in Streit gerathen wären. Es war am 5 August des Jahres 1842 als wir, wie erzählt, des Morgens in dem schönen
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