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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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hier im schauerlichen Passe vor den Pforten romanischen Landes gediehen sey. Ein andresmal vor manchem Jahre bin ich freilich auch hier untergestanden, aber damals gab's noch keine Brauerei in dieser Schlucht. Dafür gab es zur selben Zeit einen uralten, sonderbaren Wirth, welcher eigentlich Schuld daran war, daß wir nicht ins Engadein gingen. Damals waren wir nämlich etwa ein Halbduzend junger Leute das obere Innthal voll Erstaunen heraufgelaufen, alle ziemlich festen Vorsatzes durchs wunderliche Engadein zu wandern, bis uns in Prutz und Pfunds die Wirthe von der neuen Ortlerstraße erzählten und etliche von uns auf ihre Seite brachten, so daß diese nun nicht mehr dem Inn entlang zu den Romanschen, sondern gleich über das Stilfser Joch zu den Italiänern eilen wollten. Darum einiges Zerwürfniß in der Reisegesellschaft und schon wenigstens seit zwei Poststationen sehr lebhafte Reden für und wider. So gelangten wir nach Finstermünz, traten müde in das Wirthshaus und gewahrten den hochbejahrten Wirth, den wir für sehr weise hielten. Es schlug also einer vor, man solle ihn um sein Gutachten bitten und bei dem bleiben was er sage. Sein Gutachten aber lautete einfach: nit ins Engadein. Darauf hob einer an und fragte: warum nicht dahin, wo so schöne Dörfer und so schöne Thäler? wogegen jener ebenfalls wieder sagte: nit ins Engadein. Alle die dafür waren, brachten ihre Gründe an, er wies sie aber alle zurück mit den Worten: nit ins Engadein. Was auch gesagt und gefragt werden mochte, der greise Wirth schüttelte nur immer milde lächelnd das Haupt und sprach: ich sage nichts als: nit ins Engadein. Diese ruhigen Worte mit ihrem düstern Hintergrunde machten großen Eindruck auf die rathschlagenden Gefährten. Zuletzt wurde dem Wormserjoch der Vorzug gegeben und der Besuch des unheimlichen Engadeins auf bessere Zeiten verspart.

Das Engadein ist in dieser Gegend wirklich ein wenig verrufen. Der schlechte Zustand der Straßen und der Wirthshäuser, der ketzerische Glaube, die fremde Sprache und der verschlossene ernste Sinn der Bewohner hat den Leumund dieses Berglandes bei seinen deutschen katholischen Nachbarn so getrübt, daß

hier im schauerlichen Passe vor den Pforten romanischen Landes gediehen sey. Ein andresmal vor manchem Jahre bin ich freilich auch hier untergestanden, aber damals gab’s noch keine Brauerei in dieser Schlucht. Dafür gab es zur selben Zeit einen uralten, sonderbaren Wirth, welcher eigentlich Schuld daran war, daß wir nicht ins Engadein gingen. Damals waren wir nämlich etwa ein Halbduzend junger Leute das obere Innthal voll Erstaunen heraufgelaufen, alle ziemlich festen Vorsatzes durchs wunderliche Engadein zu wandern, bis uns in Prutz und Pfunds die Wirthe von der neuen Ortlerstraße erzählten und etliche von uns auf ihre Seite brachten, so daß diese nun nicht mehr dem Inn entlang zu den Romanschen, sondern gleich über das Stilfser Joch zu den Italiänern eilen wollten. Darum einiges Zerwürfniß in der Reisegesellschaft und schon wenigstens seit zwei Poststationen sehr lebhafte Reden für und wider. So gelangten wir nach Finstermünz, traten müde in das Wirthshaus und gewahrten den hochbejahrten Wirth, den wir für sehr weise hielten. Es schlug also einer vor, man solle ihn um sein Gutachten bitten und bei dem bleiben was er sage. Sein Gutachten aber lautete einfach: nit ins Engadein. Darauf hob einer an und fragte: warum nicht dahin, wo so schöne Dörfer und so schöne Thäler? wogegen jener ebenfalls wieder sagte: nit ins Engadein. Alle die dafür waren, brachten ihre Gründe an, er wies sie aber alle zurück mit den Worten: nit ins Engadein. Was auch gesagt und gefragt werden mochte, der greise Wirth schüttelte nur immer milde lächelnd das Haupt und sprach: ich sage nichts als: nit ins Engadein. Diese ruhigen Worte mit ihrem düstern Hintergrunde machten großen Eindruck auf die rathschlagenden Gefährten. Zuletzt wurde dem Wormserjoch der Vorzug gegeben und der Besuch des unheimlichen Engadeins auf bessere Zeiten verspart.

Das Engadein ist in dieser Gegend wirklich ein wenig verrufen. Der schlechte Zustand der Straßen und der Wirthshäuser, der ketzerische Glaube, die fremde Sprache und der verschlossene ernste Sinn der Bewohner hat den Leumund dieses Berglandes bei seinen deutschen katholischen Nachbarn so getrübt, daß

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[267/0271] hier im schauerlichen Passe vor den Pforten romanischen Landes gediehen sey. Ein andresmal vor manchem Jahre bin ich freilich auch hier untergestanden, aber damals gab’s noch keine Brauerei in dieser Schlucht. Dafür gab es zur selben Zeit einen uralten, sonderbaren Wirth, welcher eigentlich Schuld daran war, daß wir nicht ins Engadein gingen. Damals waren wir nämlich etwa ein Halbduzend junger Leute das obere Innthal voll Erstaunen heraufgelaufen, alle ziemlich festen Vorsatzes durchs wunderliche Engadein zu wandern, bis uns in Prutz und Pfunds die Wirthe von der neuen Ortlerstraße erzählten und etliche von uns auf ihre Seite brachten, so daß diese nun nicht mehr dem Inn entlang zu den Romanschen, sondern gleich über das Stilfser Joch zu den Italiänern eilen wollten. Darum einiges Zerwürfniß in der Reisegesellschaft und schon wenigstens seit zwei Poststationen sehr lebhafte Reden für und wider. So gelangten wir nach Finstermünz, traten müde in das Wirthshaus und gewahrten den hochbejahrten Wirth, den wir für sehr weise hielten. Es schlug also einer vor, man solle ihn um sein Gutachten bitten und bei dem bleiben was er sage. Sein Gutachten aber lautete einfach: nit ins Engadein. Darauf hob einer an und fragte: warum nicht dahin, wo so schöne Dörfer und so schöne Thäler? wogegen jener ebenfalls wieder sagte: nit ins Engadein. Alle die dafür waren, brachten ihre Gründe an, er wies sie aber alle zurück mit den Worten: nit ins Engadein. Was auch gesagt und gefragt werden mochte, der greise Wirth schüttelte nur immer milde lächelnd das Haupt und sprach: ich sage nichts als: nit ins Engadein. Diese ruhigen Worte mit ihrem düstern Hintergrunde machten großen Eindruck auf die rathschlagenden Gefährten. Zuletzt wurde dem Wormserjoch der Vorzug gegeben und der Besuch des unheimlichen Engadeins auf bessere Zeiten verspart. Das Engadein ist in dieser Gegend wirklich ein wenig verrufen. Der schlechte Zustand der Straßen und der Wirthshäuser, der ketzerische Glaube, die fremde Sprache und der verschlossene ernste Sinn der Bewohner hat den Leumund dieses Berglandes bei seinen deutschen katholischen Nachbarn so getrübt, daß

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/271>, abgerufen am 23.11.2024.