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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Seine Satzungen, d. h. wohl die spätern, nicht die ursprünglichen, waren in romanischer Sprache abgefaßt und verpflichteten, wie die der Stiftung Heinrich Findelkinds auf dem Arlberge, den Vorsteher sammt seinen Leuten an stürmischen Abenden mit Laternen, Stricken und Stangen, auch wohl versehen mit Wein und Brod, schreiend und rufend in die Haide hinauszuziehen und nach Verunglückten zu spähen. Jetzt da Häuser und Dörfer ziemlich nahe auf einander an der Straße stehen, ist diese Uebung schon lange nicht mehr nöthig und aus der alten Stiftung ist ein Krankenspital geworden - ein Wechsel, dem sich mit der Zeit auch manche andre tirolische Hospitäler unterworfen sahen, die einst in den Jahrhunderten der Kreuzzüge zum Besten der nach Jerusalem fahrenden Pilger errichtet worden. Es ist eine wohlbegründete Vermuthung Professor Albert Jägers,*) daß diese gastlichen Herbergen als Aushängschild für die müden und hungrigen Wanderer das Bild des heiligen Christophs wählten, der nach der bekannten Legende das Jesuskindlein selbst über den Strom trug und daher als Beförderer der Reisenden betrachtet wurde. Die Bruderschaft auf dem Arlberg nannte sich nach diesem Heiligen, auf die Außenwand der Spitäler wurde seine lange Gestalt gemalt, und auf andern Kirchen, bei denen keine Pilgerherberge gestiftet war, mag das alte Bild wohl auf die Gastfreundlichkeit der Seelenhirten deuten.

Die Leute, die hier oben auf der Haide wohnen, sind stark an Verstand und an Gliedmaßen, aber arm an irdischen Gütern. Der Boden ist unfruchtbar, hat in nassen Jahren von der Kälte, in trockenen von der Dürre zu leiden und liegt zu hoch, um mannichfache Bebauung zuzulassen. Drum gehen auch von hier viele ins "sogenannte" Schwabenland und andre leben als Dörcher oder Lahninger.

Abwärts vom letzten der drei Seen, aus dem die Etsch als lärmendes Flüßchen abrinnt, beginnt die Malserhaide. An dieser liegt das große Dorf Burgeis mit dem braunen

*) Tirolerbote 1838. S. 12.

Seine Satzungen, d. h. wohl die spätern, nicht die ursprünglichen, waren in romanischer Sprache abgefaßt und verpflichteten, wie die der Stiftung Heinrich Findelkinds auf dem Arlberge, den Vorsteher sammt seinen Leuten an stürmischen Abenden mit Laternen, Stricken und Stangen, auch wohl versehen mit Wein und Brod, schreiend und rufend in die Haide hinauszuziehen und nach Verunglückten zu spähen. Jetzt da Häuser und Dörfer ziemlich nahe auf einander an der Straße stehen, ist diese Uebung schon lange nicht mehr nöthig und aus der alten Stiftung ist ein Krankenspital geworden – ein Wechsel, dem sich mit der Zeit auch manche andre tirolische Hospitäler unterworfen sahen, die einst in den Jahrhunderten der Kreuzzüge zum Besten der nach Jerusalem fahrenden Pilger errichtet worden. Es ist eine wohlbegründete Vermuthung Professor Albert Jägers,*) daß diese gastlichen Herbergen als Aushängschild für die müden und hungrigen Wanderer das Bild des heiligen Christophs wählten, der nach der bekannten Legende das Jesuskindlein selbst über den Strom trug und daher als Beförderer der Reisenden betrachtet wurde. Die Bruderschaft auf dem Arlberg nannte sich nach diesem Heiligen, auf die Außenwand der Spitäler wurde seine lange Gestalt gemalt, und auf andern Kirchen, bei denen keine Pilgerherberge gestiftet war, mag das alte Bild wohl auf die Gastfreundlichkeit der Seelenhirten deuten.

Die Leute, die hier oben auf der Haide wohnen, sind stark an Verstand und an Gliedmaßen, aber arm an irdischen Gütern. Der Boden ist unfruchtbar, hat in nassen Jahren von der Kälte, in trockenen von der Dürre zu leiden und liegt zu hoch, um mannichfache Bebauung zuzulassen. Drum gehen auch von hier viele ins „sogenannte“ Schwabenland und andre leben als Dörcher oder Lahninger.

Abwärts vom letzten der drei Seen, aus dem die Etsch als lärmendes Flüßchen abrinnt, beginnt die Malserhaide. An dieser liegt das große Dorf Burgeis mit dem braunen

*) Tirolerbote 1838. S. 12.
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[274/0278] Seine Satzungen, d. h. wohl die spätern, nicht die ursprünglichen, waren in romanischer Sprache abgefaßt und verpflichteten, wie die der Stiftung Heinrich Findelkinds auf dem Arlberge, den Vorsteher sammt seinen Leuten an stürmischen Abenden mit Laternen, Stricken und Stangen, auch wohl versehen mit Wein und Brod, schreiend und rufend in die Haide hinauszuziehen und nach Verunglückten zu spähen. Jetzt da Häuser und Dörfer ziemlich nahe auf einander an der Straße stehen, ist diese Uebung schon lange nicht mehr nöthig und aus der alten Stiftung ist ein Krankenspital geworden – ein Wechsel, dem sich mit der Zeit auch manche andre tirolische Hospitäler unterworfen sahen, die einst in den Jahrhunderten der Kreuzzüge zum Besten der nach Jerusalem fahrenden Pilger errichtet worden. Es ist eine wohlbegründete Vermuthung Professor Albert Jägers, *) daß diese gastlichen Herbergen als Aushängschild für die müden und hungrigen Wanderer das Bild des heiligen Christophs wählten, der nach der bekannten Legende das Jesuskindlein selbst über den Strom trug und daher als Beförderer der Reisenden betrachtet wurde. Die Bruderschaft auf dem Arlberg nannte sich nach diesem Heiligen, auf die Außenwand der Spitäler wurde seine lange Gestalt gemalt, und auf andern Kirchen, bei denen keine Pilgerherberge gestiftet war, mag das alte Bild wohl auf die Gastfreundlichkeit der Seelenhirten deuten. Die Leute, die hier oben auf der Haide wohnen, sind stark an Verstand und an Gliedmaßen, aber arm an irdischen Gütern. Der Boden ist unfruchtbar, hat in nassen Jahren von der Kälte, in trockenen von der Dürre zu leiden und liegt zu hoch, um mannichfache Bebauung zuzulassen. Drum gehen auch von hier viele ins „sogenannte“ Schwabenland und andre leben als Dörcher oder Lahninger. Abwärts vom letzten der drei Seen, aus dem die Etsch als lärmendes Flüßchen abrinnt, beginnt die Malserhaide. An dieser liegt das große Dorf Burgeis mit dem braunen *) Tirolerbote 1838. S. 12.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/278>, abgerufen am 01.06.2024.