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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Bergrevier die Brüche des schönen weißen Marmors sind, der als Schlanderser Marmor bis in die Werkstätten der Bildhauer zu München verführt wird.

Eine Stunde unter Schlanders liegt links von der Straße der noch wohl erhaltene Stammsitz der Edlen von Goldrain und darüber das Schloß Annenberg, ehemals den hochangesehenen Annenbergern zugehörig, die im vierzehnten Jahrhundert zur Zeit Margarethens eine große Hand im Lande hatten, und an Macht und Reichthum es den ersten Geschlechtern des Landes gleich thaten. Anton von Annenberg, der in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts lebte, ist im Vaterlande berühmt geworden durch den regen Fleiß mit dem er den Wissenschaften oblag und Minnegesänge und Heldenlieder aus der Zeit der Hohenstaufen wie die ersten Drucke der römischen Schriftsteller und der Kirchenväter auf seiner Burg zusammenbrachte. Die Annenberger sind jetzt auch ausgestorben; das Schloß selbst ist verkauft und sitzt jetzt ein Bauer in der alten Burg. Auf der andern Seite der Etsch liegen die Vesten Ober- und Untermontan, welche einst den Eppanern gehörten. Das erstere war auch einmal im Besitz der Annenberger, und vor mehreren Jahren hat man da zufällig noch etliche vergessene Nummern ihrer Bibliothek aufgefunden, darunter auch eine werthvolle Handschrift des Nibelungenliedes, welche nach Berlin verkauft worden ist.

Weiter zogen wir gen Latsch, aus dem die Trümmer der Burg Latsch aufragen, vor Zeiten ein Sitz der Annenberger. Heinrich von Annenberg hat auch das Spital zu Latsch gestiftet, wo ein schöner gothischer Altar und an den Wänden etliche alte Malerei. Latsch ist auch eines besondern Erzeugnisses wegen berühmt, nämlich der Vintschgerzelten wegen, die in Tirol großer Beliebtheit genießen, obgleich der Fremde allererst nicht recht absehen kann aus welchen Gründen. Es sind dünne Scheiben, braun wie Lebkuchen, oberhalb mit einer zarten weißen Lasur überzogen. Frisch werden sie selten gegessen; man hält sie erst für lecker, wenn sie ganz trocken geworden. Sie werden dann über dem Knie gebrochen oder mit dem Messer zerhauen und in kleinen Brocken aufgetragen. Uebrigens

Bergrevier die Brüche des schönen weißen Marmors sind, der als Schlanderser Marmor bis in die Werkstätten der Bildhauer zu München verführt wird.

Eine Stunde unter Schlanders liegt links von der Straße der noch wohl erhaltene Stammsitz der Edlen von Goldrain und darüber das Schloß Annenberg, ehemals den hochangesehenen Annenbergern zugehörig, die im vierzehnten Jahrhundert zur Zeit Margarethens eine große Hand im Lande hatten, und an Macht und Reichthum es den ersten Geschlechtern des Landes gleich thaten. Anton von Annenberg, der in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts lebte, ist im Vaterlande berühmt geworden durch den regen Fleiß mit dem er den Wissenschaften oblag und Minnegesänge und Heldenlieder aus der Zeit der Hohenstaufen wie die ersten Drucke der römischen Schriftsteller und der Kirchenväter auf seiner Burg zusammenbrachte. Die Annenberger sind jetzt auch ausgestorben; das Schloß selbst ist verkauft und sitzt jetzt ein Bauer in der alten Burg. Auf der andern Seite der Etsch liegen die Vesten Ober- und Untermontan, welche einst den Eppanern gehörten. Das erstere war auch einmal im Besitz der Annenberger, und vor mehreren Jahren hat man da zufällig noch etliche vergessene Nummern ihrer Bibliothek aufgefunden, darunter auch eine werthvolle Handschrift des Nibelungenliedes, welche nach Berlin verkauft worden ist.

Weiter zogen wir gen Latsch, aus dem die Trümmer der Burg Latsch aufragen, vor Zeiten ein Sitz der Annenberger. Heinrich von Annenberg hat auch das Spital zu Latsch gestiftet, wo ein schöner gothischer Altar und an den Wänden etliche alte Malerei. Latsch ist auch eines besondern Erzeugnisses wegen berühmt, nämlich der Vintschgerzelten wegen, die in Tirol großer Beliebtheit genießen, obgleich der Fremde allererst nicht recht absehen kann aus welchen Gründen. Es sind dünne Scheiben, braun wie Lebkuchen, oberhalb mit einer zarten weißen Lasur überzogen. Frisch werden sie selten gegessen; man hält sie erst für lecker, wenn sie ganz trocken geworden. Sie werden dann über dem Knie gebrochen oder mit dem Messer zerhauen und in kleinen Brocken aufgetragen. Uebrigens

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Bergrevier die Brüche des schönen weißen Marmors sind, der als Schlanderser Marmor bis in die Werkstätten der Bildhauer zu München verführt wird.</p>
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[287/0291] Bergrevier die Brüche des schönen weißen Marmors sind, der als Schlanderser Marmor bis in die Werkstätten der Bildhauer zu München verführt wird. Eine Stunde unter Schlanders liegt links von der Straße der noch wohl erhaltene Stammsitz der Edlen von Goldrain und darüber das Schloß Annenberg, ehemals den hochangesehenen Annenbergern zugehörig, die im vierzehnten Jahrhundert zur Zeit Margarethens eine große Hand im Lande hatten, und an Macht und Reichthum es den ersten Geschlechtern des Landes gleich thaten. Anton von Annenberg, der in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts lebte, ist im Vaterlande berühmt geworden durch den regen Fleiß mit dem er den Wissenschaften oblag und Minnegesänge und Heldenlieder aus der Zeit der Hohenstaufen wie die ersten Drucke der römischen Schriftsteller und der Kirchenväter auf seiner Burg zusammenbrachte. Die Annenberger sind jetzt auch ausgestorben; das Schloß selbst ist verkauft und sitzt jetzt ein Bauer in der alten Burg. Auf der andern Seite der Etsch liegen die Vesten Ober- und Untermontan, welche einst den Eppanern gehörten. Das erstere war auch einmal im Besitz der Annenberger, und vor mehreren Jahren hat man da zufällig noch etliche vergessene Nummern ihrer Bibliothek aufgefunden, darunter auch eine werthvolle Handschrift des Nibelungenliedes, welche nach Berlin verkauft worden ist. Weiter zogen wir gen Latsch, aus dem die Trümmer der Burg Latsch aufragen, vor Zeiten ein Sitz der Annenberger. Heinrich von Annenberg hat auch das Spital zu Latsch gestiftet, wo ein schöner gothischer Altar und an den Wänden etliche alte Malerei. Latsch ist auch eines besondern Erzeugnisses wegen berühmt, nämlich der Vintschgerzelten wegen, die in Tirol großer Beliebtheit genießen, obgleich der Fremde allererst nicht recht absehen kann aus welchen Gründen. Es sind dünne Scheiben, braun wie Lebkuchen, oberhalb mit einer zarten weißen Lasur überzogen. Frisch werden sie selten gegessen; man hält sie erst für lecker, wenn sie ganz trocken geworden. Sie werden dann über dem Knie gebrochen oder mit dem Messer zerhauen und in kleinen Brocken aufgetragen. Uebrigens

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/291>, abgerufen am 23.11.2024.