Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Frauenvolk und seinen männlichen Patronen durch beißende Satire und dieß um so lieber, als ihnen nicht gestattet ist, öffentlich ihre Meinung an den Tag zu legen. Von der andern Seite will man auch nichts schuldig bleiben und man hat daher beständig den schönsten Stadtklatsch. Diese Eigenthümlichkeit des Bozner Lebens wissen insbesondere die Innsbrucker hervorzuheben, die freilich den Boznern überhaupt nicht grün sind.

Wäre ich nun ein Bozner, so würde ich dich, lieber Leser, vor allem in die schöne alte Pfarrkirche, oder auf den neuerbauten preiswürdigen Friedhof mit der Pforteninschrift: Resurrecturis, dann allenfalls in den gräflich Sarntheinischen Garten führen, dann in die Privatsammlungen u. s. f., würde dabei bedacht seyn dir den bestmöglichen Begriff von hiesiger Stadt beizubringen und ihre vorragende Bedeutung im Verkehr, die angenehme Gesittung und hohe Achtung vor Kunst und Wissenschaft, so wie auch das durch den Blüthenduft feingebildeter Geselligkeit gehobene Daseyn in ihrem Schooß nach Verdienst zu rühmen haben. Dasselbe ungefähr würde ich thun müssen, wenn ich ein amtseifriger, auf das Gesetz der Reise-Handbücher verpflichteter Wandersmann wäre. Nachdem ich aber weder ein Stadtkind bin, noch auch nach dem Buchstaben der Handbücher lebe, vielmehr durch gewissenhafte Beobachtung ihrer Vorschriften zu andern Zeiten die Freiheit errungen habe, hier nach meinem Belieben schlendern zu dürfen, so führe ich dich meine eigenen Wege. Wir gehen schweigend etliche Gassen ab und verschwinden unvermerkt im Hause Meister Moosers, des Gerbers, das nahe an der Pfarrkirche in einer Seitengasse steht. Meister Mooser nimmt's sehr freundlich auf, wenn fremde Leute bei ihm zusprechen, und er darf's den Nordländern nicht verdenken, wenn sie sich über seinen gerühmten Garten recht herzlich verwundern. Es ist auch in der That ein wunderlieblicher Erdenwinkel, nur etwas zu eng um in horazischer Weise als wonniger Ruhesitz und süße Altersrast von Land- und Seefahrten ersehnt zu werden. In der Mitte steigt ein hoher Springbrunnen auf, ringsum sind Lauben und dichte dunkelgrüne Wände von auserlesenen

Frauenvolk und seinen männlichen Patronen durch beißende Satire und dieß um so lieber, als ihnen nicht gestattet ist, öffentlich ihre Meinung an den Tag zu legen. Von der andern Seite will man auch nichts schuldig bleiben und man hat daher beständig den schönsten Stadtklatsch. Diese Eigenthümlichkeit des Bozner Lebens wissen insbesondere die Innsbrucker hervorzuheben, die freilich den Boznern überhaupt nicht grün sind.

Wäre ich nun ein Bozner, so würde ich dich, lieber Leser, vor allem in die schöne alte Pfarrkirche, oder auf den neuerbauten preiswürdigen Friedhof mit der Pforteninschrift: Resurrecturis, dann allenfalls in den gräflich Sarntheinischen Garten führen, dann in die Privatsammlungen u. s. f., würde dabei bedacht seyn dir den bestmöglichen Begriff von hiesiger Stadt beizubringen und ihre vorragende Bedeutung im Verkehr, die angenehme Gesittung und hohe Achtung vor Kunst und Wissenschaft, so wie auch das durch den Blüthenduft feingebildeter Geselligkeit gehobene Daseyn in ihrem Schooß nach Verdienst zu rühmen haben. Dasselbe ungefähr würde ich thun müssen, wenn ich ein amtseifriger, auf das Gesetz der Reise-Handbücher verpflichteter Wandersmann wäre. Nachdem ich aber weder ein Stadtkind bin, noch auch nach dem Buchstaben der Handbücher lebe, vielmehr durch gewissenhafte Beobachtung ihrer Vorschriften zu andern Zeiten die Freiheit errungen habe, hier nach meinem Belieben schlendern zu dürfen, so führe ich dich meine eigenen Wege. Wir gehen schweigend etliche Gassen ab und verschwinden unvermerkt im Hause Meister Moosers, des Gerbers, das nahe an der Pfarrkirche in einer Seitengasse steht. Meister Mooser nimmt’s sehr freundlich auf, wenn fremde Leute bei ihm zusprechen, und er darf’s den Nordländern nicht verdenken, wenn sie sich über seinen gerühmten Garten recht herzlich verwundern. Es ist auch in der That ein wunderlieblicher Erdenwinkel, nur etwas zu eng um in horazischer Weise als wonniger Ruhesitz und süße Altersrast von Land- und Seefahrten ersehnt zu werden. In der Mitte steigt ein hoher Springbrunnen auf, ringsum sind Lauben und dichte dunkelgrüne Wände von auserlesenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0380" n="376"/>
Frauenvolk und seinen männlichen Patronen durch beißende Satire und dieß um so lieber, als ihnen nicht gestattet ist, öffentlich ihre Meinung an den Tag zu legen. Von der andern Seite will man auch nichts schuldig bleiben und man hat daher beständig den schönsten Stadtklatsch. Diese Eigenthümlichkeit des Bozner Lebens wissen insbesondere die Innsbrucker hervorzuheben, die freilich den Boznern überhaupt nicht grün sind.</p>
        <p>Wäre ich nun ein Bozner, so würde ich dich, lieber Leser, vor allem in die schöne alte Pfarrkirche, oder auf den neuerbauten preiswürdigen Friedhof mit der Pforteninschrift: <hi rendition="#aq">Resurrecturis</hi>, dann allenfalls in den gräflich Sarntheinischen Garten führen, dann in die Privatsammlungen u. s. f., würde dabei bedacht seyn dir den bestmöglichen Begriff von hiesiger Stadt beizubringen und ihre vorragende Bedeutung im Verkehr, die angenehme Gesittung und hohe Achtung vor Kunst und Wissenschaft, so wie auch das durch den Blüthenduft feingebildeter Geselligkeit gehobene Daseyn in ihrem Schooß nach Verdienst zu rühmen haben. Dasselbe ungefähr würde ich thun müssen, wenn ich ein amtseifriger, auf das Gesetz der Reise-Handbücher verpflichteter Wandersmann wäre. Nachdem ich aber weder ein Stadtkind bin, noch auch nach dem Buchstaben der Handbücher lebe, vielmehr durch gewissenhafte Beobachtung ihrer Vorschriften zu andern Zeiten die Freiheit errungen habe, hier nach meinem Belieben schlendern zu dürfen, so führe ich dich meine eigenen Wege. Wir gehen schweigend etliche Gassen ab und verschwinden unvermerkt im Hause Meister Moosers, des Gerbers, das nahe an der Pfarrkirche in einer Seitengasse steht. Meister Mooser nimmt&#x2019;s sehr freundlich auf, wenn fremde Leute bei ihm zusprechen, und er darf&#x2019;s den Nordländern nicht verdenken, wenn sie sich über seinen gerühmten Garten recht herzlich verwundern. Es ist auch in der That ein wunderlieblicher Erdenwinkel, nur etwas zu eng um in horazischer Weise als wonniger Ruhesitz und süße Altersrast von Land- und Seefahrten ersehnt zu werden. In der Mitte steigt ein hoher Springbrunnen auf, ringsum sind Lauben und dichte dunkelgrüne Wände von auserlesenen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[376/0380] Frauenvolk und seinen männlichen Patronen durch beißende Satire und dieß um so lieber, als ihnen nicht gestattet ist, öffentlich ihre Meinung an den Tag zu legen. Von der andern Seite will man auch nichts schuldig bleiben und man hat daher beständig den schönsten Stadtklatsch. Diese Eigenthümlichkeit des Bozner Lebens wissen insbesondere die Innsbrucker hervorzuheben, die freilich den Boznern überhaupt nicht grün sind. Wäre ich nun ein Bozner, so würde ich dich, lieber Leser, vor allem in die schöne alte Pfarrkirche, oder auf den neuerbauten preiswürdigen Friedhof mit der Pforteninschrift: Resurrecturis, dann allenfalls in den gräflich Sarntheinischen Garten führen, dann in die Privatsammlungen u. s. f., würde dabei bedacht seyn dir den bestmöglichen Begriff von hiesiger Stadt beizubringen und ihre vorragende Bedeutung im Verkehr, die angenehme Gesittung und hohe Achtung vor Kunst und Wissenschaft, so wie auch das durch den Blüthenduft feingebildeter Geselligkeit gehobene Daseyn in ihrem Schooß nach Verdienst zu rühmen haben. Dasselbe ungefähr würde ich thun müssen, wenn ich ein amtseifriger, auf das Gesetz der Reise-Handbücher verpflichteter Wandersmann wäre. Nachdem ich aber weder ein Stadtkind bin, noch auch nach dem Buchstaben der Handbücher lebe, vielmehr durch gewissenhafte Beobachtung ihrer Vorschriften zu andern Zeiten die Freiheit errungen habe, hier nach meinem Belieben schlendern zu dürfen, so führe ich dich meine eigenen Wege. Wir gehen schweigend etliche Gassen ab und verschwinden unvermerkt im Hause Meister Moosers, des Gerbers, das nahe an der Pfarrkirche in einer Seitengasse steht. Meister Mooser nimmt’s sehr freundlich auf, wenn fremde Leute bei ihm zusprechen, und er darf’s den Nordländern nicht verdenken, wenn sie sich über seinen gerühmten Garten recht herzlich verwundern. Es ist auch in der That ein wunderlieblicher Erdenwinkel, nur etwas zu eng um in horazischer Weise als wonniger Ruhesitz und süße Altersrast von Land- und Seefahrten ersehnt zu werden. In der Mitte steigt ein hoher Springbrunnen auf, ringsum sind Lauben und dichte dunkelgrüne Wände von auserlesenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/380
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/380>, abgerufen am 23.11.2024.