Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.abgetragenen Reste dieser Tracht für ihr Werktagsgewand zugeschnitten worden. Auch die Sprache scheint, abgesehen von größerer Rauhheit, von der Bozner Mundart nicht verschieden. Ein kleines Mädchen das ich gefragt, ob sie in der Schule etwas gelernt habe, antwortete mit schwäbelnder Naivität: Ja, a Fetzele (ein Bischen). Denkungsart, Sitten und Lebensweise betreffend ist zu bemerken, daß Sarnthal in eifriger Kirchlichkeit mit der Stadt Bozen wetteifert, weßwegen die Thälerer auch je nach verschiedener Ansicht von den einen die frömmsten, von den andern die bigottesten in Deutschtirol genannt werden. Auch wirft man ihnen eine über ihren Stand hinausgehende Rohheit und schwer versöhnliche Rachsucht vor; wir bekennen aber gerne, daß wir auf derartigen obenhin und allgemein ausgesprochenen Tadel nicht viel Gewicht legen. Der Lebensunterhalt wird zumeist aus Viehzucht und Ackerbau geschöpft. Getraide wird mit großem Fleiße gebaut und um Sarnthein herum wogten dazumal alle Hügel von schweren Aehren. Doch reicht das Ergebniß nicht aus und es muß alle Jahre noch eine beträchtliche Menge Korn von Bozen hereingeschleppt werden. Einen guten Namen haben die Artischocken, die um Sarnthein ganze Felder bedecken und in den Küchen zu Bozen sehr gesucht sind, wohl eben so sehr, als die Sarntheiner Forellen, welche man mitunter für die besten des Landes hält. Nachdem ich beim Schweizerwirth zu Sarnthein mit den freundlichen Herren vom Landgericht zu Mittag gegessen, alles in hohem Maße genießbar, denn die Wirthin ist in der Kochkunst ungemein bewandert, läugnet auch selbst nicht, etwas Tüchtiges leisten zu können "wenn sie's nur hatt" d. h. wenn nur immer das Zeug zu bekommen wäre - nach dem Mittagessen wurde der Gesundheit halber ein Spaziergang nach Nordheim unternommen, einem Dörfchen, das eine kleine halbe Stunde weiter oben an der Talfer liegt. Auch hier war einst ein ritterliches Geschlecht wohnhaft, obgleich keine Spuren mehr von seinem Schlosse vorhanden sind. Wie uns Freiherr von Hormayr belehrt, so war indeß die Burg zu Nordheim ein Sitz der Sarentheiner, von der sie sich im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert nannten, wie Heinrich von Nordheim abgetragenen Reste dieser Tracht für ihr Werktagsgewand zugeschnitten worden. Auch die Sprache scheint, abgesehen von größerer Rauhheit, von der Bozner Mundart nicht verschieden. Ein kleines Mädchen das ich gefragt, ob sie in der Schule etwas gelernt habe, antwortete mit schwäbelnder Naivität: Ja, a Fetzele (ein Bischen). Denkungsart, Sitten und Lebensweise betreffend ist zu bemerken, daß Sarnthal in eifriger Kirchlichkeit mit der Stadt Bozen wetteifert, weßwegen die Thälerer auch je nach verschiedener Ansicht von den einen die frömmsten, von den andern die bigottesten in Deutschtirol genannt werden. Auch wirft man ihnen eine über ihren Stand hinausgehende Rohheit und schwer versöhnliche Rachsucht vor; wir bekennen aber gerne, daß wir auf derartigen obenhin und allgemein ausgesprochenen Tadel nicht viel Gewicht legen. Der Lebensunterhalt wird zumeist aus Viehzucht und Ackerbau geschöpft. Getraide wird mit großem Fleiße gebaut und um Sarnthein herum wogten dazumal alle Hügel von schweren Aehren. Doch reicht das Ergebniß nicht aus und es muß alle Jahre noch eine beträchtliche Menge Korn von Bozen hereingeschleppt werden. Einen guten Namen haben die Artischocken, die um Sarnthein ganze Felder bedecken und in den Küchen zu Bozen sehr gesucht sind, wohl eben so sehr, als die Sarntheiner Forellen, welche man mitunter für die besten des Landes hält. Nachdem ich beim Schweizerwirth zu Sarnthein mit den freundlichen Herren vom Landgericht zu Mittag gegessen, alles in hohem Maße genießbar, denn die Wirthin ist in der Kochkunst ungemein bewandert, läugnet auch selbst nicht, etwas Tüchtiges leisten zu können „wenn sie’s nur hatt“ d. h. wenn nur immer das Zeug zu bekommen wäre – nach dem Mittagessen wurde der Gesundheit halber ein Spaziergang nach Nordheim unternommen, einem Dörfchen, das eine kleine halbe Stunde weiter oben an der Talfer liegt. Auch hier war einst ein ritterliches Geschlecht wohnhaft, obgleich keine Spuren mehr von seinem Schlosse vorhanden sind. Wie uns Freiherr von Hormayr belehrt, so war indeß die Burg zu Nordheim ein Sitz der Sarentheiner, von der sie sich im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert nannten, wie Heinrich von Nordheim <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0405" n="401"/> abgetragenen Reste dieser Tracht für ihr Werktagsgewand zugeschnitten worden. Auch die Sprache scheint, abgesehen von größerer Rauhheit, von der Bozner Mundart nicht verschieden. Ein kleines Mädchen das ich gefragt, ob sie in der Schule etwas gelernt habe, antwortete mit schwäbelnder Naivität: Ja, a Fetzele (ein Bischen). Denkungsart, Sitten und Lebensweise betreffend ist zu bemerken, daß Sarnthal in eifriger Kirchlichkeit mit der Stadt Bozen wetteifert, weßwegen die Thälerer auch je nach verschiedener Ansicht von den einen die frömmsten, von den andern die bigottesten in Deutschtirol genannt werden. Auch wirft man ihnen eine über ihren Stand hinausgehende Rohheit und schwer versöhnliche Rachsucht vor; wir bekennen aber gerne, daß wir auf derartigen obenhin und allgemein ausgesprochenen Tadel nicht viel Gewicht legen. Der Lebensunterhalt wird zumeist aus Viehzucht und Ackerbau geschöpft. Getraide wird mit großem Fleiße gebaut und um Sarnthein herum wogten dazumal alle Hügel von schweren Aehren. Doch reicht das Ergebniß nicht aus und es muß alle Jahre noch eine beträchtliche Menge Korn von Bozen hereingeschleppt werden. Einen guten Namen haben die Artischocken, die um Sarnthein ganze Felder bedecken und in den Küchen zu Bozen sehr gesucht sind, wohl eben so sehr, als die Sarntheiner Forellen, welche man mitunter für die besten des Landes hält.</p> <p>Nachdem ich beim Schweizerwirth zu Sarnthein mit den freundlichen Herren vom Landgericht zu Mittag gegessen, alles in hohem Maße genießbar, denn die Wirthin ist in der Kochkunst ungemein bewandert, läugnet auch selbst nicht, etwas Tüchtiges leisten zu können „wenn sie’s nur hatt“ d. h. wenn nur immer das Zeug zu bekommen wäre – nach dem Mittagessen wurde der Gesundheit halber ein Spaziergang nach Nordheim unternommen, einem Dörfchen, das eine kleine halbe Stunde weiter oben an der Talfer liegt. Auch hier war einst ein ritterliches Geschlecht wohnhaft, obgleich keine Spuren mehr von seinem Schlosse vorhanden sind. 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abgetragenen Reste dieser Tracht für ihr Werktagsgewand zugeschnitten worden. Auch die Sprache scheint, abgesehen von größerer Rauhheit, von der Bozner Mundart nicht verschieden. Ein kleines Mädchen das ich gefragt, ob sie in der Schule etwas gelernt habe, antwortete mit schwäbelnder Naivität: Ja, a Fetzele (ein Bischen). Denkungsart, Sitten und Lebensweise betreffend ist zu bemerken, daß Sarnthal in eifriger Kirchlichkeit mit der Stadt Bozen wetteifert, weßwegen die Thälerer auch je nach verschiedener Ansicht von den einen die frömmsten, von den andern die bigottesten in Deutschtirol genannt werden. Auch wirft man ihnen eine über ihren Stand hinausgehende Rohheit und schwer versöhnliche Rachsucht vor; wir bekennen aber gerne, daß wir auf derartigen obenhin und allgemein ausgesprochenen Tadel nicht viel Gewicht legen. Der Lebensunterhalt wird zumeist aus Viehzucht und Ackerbau geschöpft. Getraide wird mit großem Fleiße gebaut und um Sarnthein herum wogten dazumal alle Hügel von schweren Aehren. Doch reicht das Ergebniß nicht aus und es muß alle Jahre noch eine beträchtliche Menge Korn von Bozen hereingeschleppt werden. Einen guten Namen haben die Artischocken, die um Sarnthein ganze Felder bedecken und in den Küchen zu Bozen sehr gesucht sind, wohl eben so sehr, als die Sarntheiner Forellen, welche man mitunter für die besten des Landes hält.
Nachdem ich beim Schweizerwirth zu Sarnthein mit den freundlichen Herren vom Landgericht zu Mittag gegessen, alles in hohem Maße genießbar, denn die Wirthin ist in der Kochkunst ungemein bewandert, läugnet auch selbst nicht, etwas Tüchtiges leisten zu können „wenn sie’s nur hatt“ d. h. wenn nur immer das Zeug zu bekommen wäre – nach dem Mittagessen wurde der Gesundheit halber ein Spaziergang nach Nordheim unternommen, einem Dörfchen, das eine kleine halbe Stunde weiter oben an der Talfer liegt. Auch hier war einst ein ritterliches Geschlecht wohnhaft, obgleich keine Spuren mehr von seinem Schlosse vorhanden sind. Wie uns Freiherr von Hormayr belehrt, so war indeß die Burg zu Nordheim ein Sitz der Sarentheiner, von der sie sich im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert nannten, wie Heinrich von Nordheim
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