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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Wie ihre Sprache nun aber auch klingen mag, die Grödner lieben sie mit inniger Neigung. Es ist auch nicht nur

Französische nez, chef, chez (causa), sind hier durch nes, tgie, tgiesa ersetzt, wobei jedoch zu bemerken, daß die beiden Idiome in diesem, wie in manchem andern Punkte nicht gleichen Schritt halten, sondern bald das eine dem andern, bald beide zusammen dem Französischen voraneilen, gleichwohl auch in manchen Fällen hinter diesem zurückbleiben. Der Grödner sagt tgiesa, ela (ala), mel (malum) der Enneberger tgiasa, ara (ganz dem lat. ala entsprechend, da l zwischen zwei Vocalen zu r wird wie in giarina, oronta = gallina, voluntas u. s. w.), jener dagegen fra (frater), wo dieser fre, beide miteinander aber sagen leg, lec, wo der Franzose bei lac stehen geblieben, aber auch lat, wo dieser zu lait vorgegangen ist. Die latein. Infinitive in are enden in beiden Idiomen in e (leve, are, lat. levare, arare), was wenigstens mit der jetzigen Aussprache des Französischen zusammenfällt. Der Enneberger macht aus cor, oculus, rosa, coccinus, nox, eincör, ödl, rösa, cötsche, nött aus una, pluma, fumus, murus nach französischer Art ein üna, plüma, füm, und mür; der Grödner dagegen läßt das lateinische u in seinem Werthe und spricht dafür das o am liebsten spanisch wie ue aus, also daß ihm cor, homo, oculus, focus, coccinus, nox, ovum zu cuer, uem, uedl, fuec, cuetschung, nuet, uef werden, eine Analogie, die er auch in der Aussprache des e verfolgt, so daß herba, cervus, pretium, lectus bei ihm ierba, cierf, priesch, liet lauten. Beiden Dialekten ist gemein, daß sie das auslautende n nasaliren und daher wieder nach französischer, aber auch lombardischer Weise chrestiang, passiong, reschong (chretien, passion, raison) sprechen; nur daß bei diesen Ladinern die Nasalirung noch durch ein schwachgehörtes g unterstützt wird. Der Uebergang des ca in tscha (tgia) entspricht ebenso dem des lateinischen ca in ein französisches cha, und wenn wir hier für campus, cavallus, canis ein champ, cheval, chien finden, so geben uns die Grödner und Enneberger gleicherweise ein tgiamp, tgiaval, tgiang. Der Enneberger ist bei der ursprünglichen Aussprache des lateinischen al geblieben, der Grödner hat sich auch hierin dem Französischen genähert und spricht altus, caldus - aut, tgiaud. Aus vicinus, vox, videre, velle (volere) macht der Enneberger visching, usch, odei, orei, der Grödner usching, ousch, udei, ulei und letzteres Verbum conjugirt er im Indicativ des Präsens sehr absonderlich also: je ue, tu ues, el uel, nous ulong, vo uleis, ei uel; im Imperfectum sagt er ie ulova und das Part. Präteritum lautet:

Wie ihre Sprache nun aber auch klingen mag, die Grödner lieben sie mit inniger Neigung. Es ist auch nicht nur

Französische nez, chef, chez (causa), sind hier durch nes, tgiè, tgiesa ersetzt, wobei jedoch zu bemerken, daß die beiden Idiome in diesem, wie in manchem andern Punkte nicht gleichen Schritt halten, sondern bald das eine dem andern, bald beide zusammen dem Französischen voraneilen, gleichwohl auch in manchen Fällen hinter diesem zurückbleiben. Der Grödner sagt tgiesa, ela (ala), mel (malum) der Enneberger tgiasa, ara (ganz dem lat. ala entsprechend, da l zwischen zwei Vocalen zu r wird wie in giarina, orontà = gallina, voluntas u. s. w.), jener dagegen frà (frater), wo dieser fre, beide miteinander aber sagen leg, lec, wo der Franzose bei lac stehen geblieben, aber auch lat, wo dieser zu lait vorgegangen ist. Die latein. Infinitive in are enden in beiden Idiomen in è (levè, arè, lat. levare, arare), was wenigstens mit der jetzigen Aussprache des Französischen zusammenfällt. Der Enneberger macht aus cor, oculus, rosa, coccinus, nox, eincör, ödl, rösa, cötsche, nött aus una, pluma, fumus, murus nach französischer Art ein üna, plüma, füm, und mür; der Grödner dagegen läßt das lateinische u in seinem Werthe und spricht dafür das o am liebsten spanisch wie ue aus, also daß ihm cor, homo, oculus, focus, coccinus, nox, ovum zu cuer, uem, uedl, fuec, cuetschung, nuet, uef werden, eine Analogie, die er auch in der Aussprache des e verfolgt, so daß herba, cervus, pretium, lectus bei ihm ierba, cierf, priesch, liet lauten. Beiden Dialekten ist gemein, daß sie das auslautende n nasaliren und daher wieder nach französischer, aber auch lombardischer Weise chrestiang, passiong, reschong (chrétien, passion, raison) sprechen; nur daß bei diesen Ladinern die Nasalirung noch durch ein schwachgehörtes g unterstützt wird. Der Uebergang des ca in tscha (tgia) entspricht ebenso dem des lateinischen ca in ein französisches cha, und wenn wir hier für campus, cavallus, canis ein champ, cheval, chien finden, so geben uns die Grödner und Enneberger gleicherweise ein tgiamp, tgiaval, tgiang. Der Enneberger ist bei der ursprünglichen Aussprache des lateinischen al geblieben, der Grödner hat sich auch hierin dem Französischen genähert und spricht altus, caldusaut, tgiaud. Aus vicinus, vox, videre, velle (volere) macht der Enneberger visching, usch, odei, orei, der Grödner usching, ousch, udei, ulei und letzteres Verbum conjugirt er im Indicativ des Präsens sehr absonderlich also: je ue, tu ues, el uel, nous ulong, vo uleis, ei uel; im Imperfectum sagt er ie ulova und das Part. Präteritum lautet:
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[439/0443] Wie ihre Sprache nun aber auch klingen mag, die Grödner lieben sie mit inniger Neigung. Es ist auch nicht nur *) *) Französische nez, chef, chez (causa), sind hier durch nes, tgiè, tgiesa ersetzt, wobei jedoch zu bemerken, daß die beiden Idiome in diesem, wie in manchem andern Punkte nicht gleichen Schritt halten, sondern bald das eine dem andern, bald beide zusammen dem Französischen voraneilen, gleichwohl auch in manchen Fällen hinter diesem zurückbleiben. Der Grödner sagt tgiesa, ela (ala), mel (malum) der Enneberger tgiasa, ara (ganz dem lat. ala entsprechend, da l zwischen zwei Vocalen zu r wird wie in giarina, orontà = gallina, voluntas u. s. w.), jener dagegen frà (frater), wo dieser fre, beide miteinander aber sagen leg, lec, wo der Franzose bei lac stehen geblieben, aber auch lat, wo dieser zu lait vorgegangen ist. Die latein. Infinitive in are enden in beiden Idiomen in è (levè, arè, lat. levare, arare), was wenigstens mit der jetzigen Aussprache des Französischen zusammenfällt. Der Enneberger macht aus cor, oculus, rosa, coccinus, nox, eincör, ödl, rösa, cötsche, nött aus una, pluma, fumus, murus nach französischer Art ein üna, plüma, füm, und mür; der Grödner dagegen läßt das lateinische u in seinem Werthe und spricht dafür das o am liebsten spanisch wie ue aus, also daß ihm cor, homo, oculus, focus, coccinus, nox, ovum zu cuer, uem, uedl, fuec, cuetschung, nuet, uef werden, eine Analogie, die er auch in der Aussprache des e verfolgt, so daß herba, cervus, pretium, lectus bei ihm ierba, cierf, priesch, liet lauten. Beiden Dialekten ist gemein, daß sie das auslautende n nasaliren und daher wieder nach französischer, aber auch lombardischer Weise chrestiang, passiong, reschong (chrétien, passion, raison) sprechen; nur daß bei diesen Ladinern die Nasalirung noch durch ein schwachgehörtes g unterstützt wird. Der Uebergang des ca in tscha (tgia) entspricht ebenso dem des lateinischen ca in ein französisches cha, und wenn wir hier für campus, cavallus, canis ein champ, cheval, chien finden, so geben uns die Grödner und Enneberger gleicherweise ein tgiamp, tgiaval, tgiang. Der Enneberger ist bei der ursprünglichen Aussprache des lateinischen al geblieben, der Grödner hat sich auch hierin dem Französischen genähert und spricht altus, caldus – aut, tgiaud. Aus vicinus, vox, videre, velle (volere) macht der Enneberger visching, usch, odei, orei, der Grödner usching, ousch, udei, ulei und letzteres Verbum conjugirt er im Indicativ des Präsens sehr absonderlich also: je ue, tu ues, el uel, nous ulong, vo uleis, ei uel; im Imperfectum sagt er ie ulova und das Part. Präteritum lautet:

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/443>, abgerufen am 17.06.2024.