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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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die ultramarinen Pinzgauer Augen und die rosenrothen Mündelein lebhaft malen und mit geringer Zuthat überhaupt etwas daraus machen wollte, so würde es Gertl, Rosi oder Annel im Boten von und für Pinzgau "berichtigen," wie man seit 1815 im Boten von und für Tirol alles berichtiget hat, was schwärmende Alpenfreunde von der Liebe in den Bergen erzählt, da es nicht erlaubt ist, die Herzen junger Hirtinnen anders zu nehmen, denn als ausgemordete Taubenkobel. Aber wenns nach dieser Seite fast schon zu viel wäre von Worten, Blicken und Handschlägen zu sprechen, so wäre es nach der andern wieder zu wenig. Da käme jener heißblutige Tiroler Erotiker daher voll aphrodisischen Jähzorns und würde wieder mit mänadischer Eloquenz uns anschreien: "Wir haben nichts gemein mit euch da draußen! Für uns gibt es keine Liebe ohne Genuß. Statt auf Flammentriebe und Sehnsuchtsgluthen, auf Kussesneigen, Brautgeflüster, Liebesfreuden weist ihr auf seichte Blicke und kaltes Händedrücken, statt auf die liebeskühnen Theotimen weist ihr auf die unentschiedenen Pinzgauerinnen, auf Traudel, Rosi, Annel - ja ihr wollt uns die Liebe lehren im nüchternsten, treulosesten Zuschnitt! Das charakterisirt euch hinlänglich, das scheidet uns von euch - wir wollen unsre Mädchen ungetheilt besitzen und können eurer Dienste leicht entbehren. Solche Art von Corruption ist uns noch ein Gräuel!"*) So würde dieser alpenhafte Anakreon schreien und eine Denunciation daraus machen, daß man sich zu ordentlich aufgeführt.

Endlich am zweiten Tage nach unsrer Ankunft war das Wetter so beschaffen, daß wir wieder aus unsrer Arche unter den offenen Baldachin des Himmels treten durften, obgleich die Gardinen noch an manchem Tragbalken schwer und grau herunterhingen und die ganze Landschaft noch aussah wie eine zerschossene Fahne. Also an einem kühlen, von schüchternen Sonnenstrahlen nur versuchsweise beleckten Morgen,

*) Wer mehreres von diesem Genre genießen will, dem ist dringend anzurathen der Artikel: Bozen in der Augsburger Postzeitung 1844. Nr. 249.

die ultramarinen Pinzgauer Augen und die rosenrothen Mündelein lebhaft malen und mit geringer Zuthat überhaupt etwas daraus machen wollte, so würde es Gertl, Rosi oder Annel im Boten von und für Pinzgau „berichtigen,“ wie man seit 1815 im Boten von und für Tirol alles berichtiget hat, was schwärmende Alpenfreunde von der Liebe in den Bergen erzählt, da es nicht erlaubt ist, die Herzen junger Hirtinnen anders zu nehmen, denn als ausgemordete Taubenkobel. Aber wenns nach dieser Seite fast schon zu viel wäre von Worten, Blicken und Handschlägen zu sprechen, so wäre es nach der andern wieder zu wenig. Da käme jener heißblutige Tiroler Erotiker daher voll aphrodisischen Jähzorns und würde wieder mit mänadischer Eloquenz uns anschreien: „Wir haben nichts gemein mit euch da draußen! Für uns gibt es keine Liebe ohne Genuß. Statt auf Flammentriebe und Sehnsuchtsgluthen, auf Kussesneigen, Brautgeflüster, Liebesfreuden weist ihr auf seichte Blicke und kaltes Händedrücken, statt auf die liebeskühnen Theotimen weist ihr auf die unentschiedenen Pinzgauerinnen, auf Traudel, Rosi, Annel – ja ihr wollt uns die Liebe lehren im nüchternsten, treulosesten Zuschnitt! Das charakterisirt euch hinlänglich, das scheidet uns von euch – wir wollen unsre Mädchen ungetheilt besitzen und können eurer Dienste leicht entbehren. Solche Art von Corruption ist uns noch ein Gräuel!“*) So würde dieser alpenhafte Anakreon schreien und eine Denunciation daraus machen, daß man sich zu ordentlich aufgeführt.

Endlich am zweiten Tage nach unsrer Ankunft war das Wetter so beschaffen, daß wir wieder aus unsrer Arche unter den offenen Baldachin des Himmels treten durften, obgleich die Gardinen noch an manchem Tragbalken schwer und grau herunterhingen und die ganze Landschaft noch aussah wie eine zerschossene Fahne. Also an einem kühlen, von schüchternen Sonnenstrahlen nur versuchsweise beleckten Morgen,

*) Wer mehreres von diesem Genre genießen will, dem ist dringend anzurathen der Artikel: Bozen in der Augsburger Postzeitung 1844. Nr. 249.
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[584/0588] die ultramarinen Pinzgauer Augen und die rosenrothen Mündelein lebhaft malen und mit geringer Zuthat überhaupt etwas daraus machen wollte, so würde es Gertl, Rosi oder Annel im Boten von und für Pinzgau „berichtigen,“ wie man seit 1815 im Boten von und für Tirol alles berichtiget hat, was schwärmende Alpenfreunde von der Liebe in den Bergen erzählt, da es nicht erlaubt ist, die Herzen junger Hirtinnen anders zu nehmen, denn als ausgemordete Taubenkobel. Aber wenns nach dieser Seite fast schon zu viel wäre von Worten, Blicken und Handschlägen zu sprechen, so wäre es nach der andern wieder zu wenig. Da käme jener heißblutige Tiroler Erotiker daher voll aphrodisischen Jähzorns und würde wieder mit mänadischer Eloquenz uns anschreien: „Wir haben nichts gemein mit euch da draußen! Für uns gibt es keine Liebe ohne Genuß. Statt auf Flammentriebe und Sehnsuchtsgluthen, auf Kussesneigen, Brautgeflüster, Liebesfreuden weist ihr auf seichte Blicke und kaltes Händedrücken, statt auf die liebeskühnen Theotimen weist ihr auf die unentschiedenen Pinzgauerinnen, auf Traudel, Rosi, Annel – ja ihr wollt uns die Liebe lehren im nüchternsten, treulosesten Zuschnitt! Das charakterisirt euch hinlänglich, das scheidet uns von euch – wir wollen unsre Mädchen ungetheilt besitzen und können eurer Dienste leicht entbehren. Solche Art von Corruption ist uns noch ein Gräuel!“ *) So würde dieser alpenhafte Anakreon schreien und eine Denunciation daraus machen, daß man sich zu ordentlich aufgeführt. Endlich am zweiten Tage nach unsrer Ankunft war das Wetter so beschaffen, daß wir wieder aus unsrer Arche unter den offenen Baldachin des Himmels treten durften, obgleich die Gardinen noch an manchem Tragbalken schwer und grau herunterhingen und die ganze Landschaft noch aussah wie eine zerschossene Fahne. Also an einem kühlen, von schüchternen Sonnenstrahlen nur versuchsweise beleckten Morgen, *) Wer mehreres von diesem Genre genießen will, dem ist dringend anzurathen der Artikel: Bozen in der Augsburger Postzeitung 1844. Nr. 249.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/588>, abgerufen am 01.06.2024.