Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie Träumerin! lock ich vergebens?
So reich' mir schwesterlich die Hand;
Ich hab' den Frühling dieses Lebens
Wie du den Maitag, nicht gekannt.
Und spät wie Dir, Du Feuergelbe!
Stahl sich die Liebe mir ins Herz;
Ob spät, ob früh, es ist dasselbe
Entzücken und derselbe Schmerz.

Nun hatten wir die Stelle erreicht, wo wir das Windbachthälchen verlassen sollten um steil aufwärts zu gehen über den Grat. Daß wir jetzt am Tauern standen, zeigte ein einsamer Wegweiser, ein kunstloser Obelisk, den man aus schweren Steinen aufgeschichtet hatte. In seiner Spitze steckte ein hölzerner Arm, welcher links in die Höhe deutete. So viel wußten wir aus den frühern Erkundigungen, daß diese Wegweiser in kurzen Entfernungen aufeinanderfolgen. Es war gut dieß zu wissen, denn es zu sehen, war unmöglich. Wir hatten uns allmählich so in den Nebel hineingegangen, daß schon auf zwanzig Schritte nichts mehr zu unterscheiden war. Während wir uns nun über das Mißliche dieser Lage einige schüchterne Bemerkungen mittheilten, fing es sehr laut zu hageln an. Dieß diente auch nicht unsere Geister anzufeuern, und so setzten wir uns etwas stille auf den Sockel des Wegweisers, der wie eine Rastbank hergerichtet war, den Rücken an die rauhe Wand des Obelisken lehnend, um unser Gewand wenigstens von einer Seite trocken zu erhalten. So sahen wir dem Unwetter zu, das um uns herbrauste - die Tageshelle war fast zur Nacht geworden, schrille, wilde Winde pfiffen vom Tauern herab und drangen mit eisiger Kälte durch alle Falten unsrer Kleider bis auf die Haut, der Hagel schlug uns ins Gesicht und an der Tauernhalde hörten wir ein dumpfes Kollern, als wenn sich oben etliche Felsblöcke in Bewegung setzen und zu uns herunter kommen wollten. Indem uns nun zu Muthe war, als wären wir mitten unter das wilde Gejaid gefallen, und während wir des schmetternden Hagels wegen das liebe Haupt zwischen die Knie genommen, ließ sich plötzlich eine Stimme hören: O! wäre ich doch im Tauernhause!

Wie Träumerin! lock ich vergebens?
So reich’ mir schwesterlich die Hand;
Ich hab’ den Frühling dieses Lebens
Wie du den Maitag, nicht gekannt.
Und spät wie Dir, Du Feuergelbe!
Stahl sich die Liebe mir ins Herz;
Ob spät, ob früh, es ist dasselbe
Entzücken und derselbe Schmerz.

Nun hatten wir die Stelle erreicht, wo wir das Windbachthälchen verlassen sollten um steil aufwärts zu gehen über den Grat. Daß wir jetzt am Tauern standen, zeigte ein einsamer Wegweiser, ein kunstloser Obelisk, den man aus schweren Steinen aufgeschichtet hatte. In seiner Spitze steckte ein hölzerner Arm, welcher links in die Höhe deutete. So viel wußten wir aus den frühern Erkundigungen, daß diese Wegweiser in kurzen Entfernungen aufeinanderfolgen. Es war gut dieß zu wissen, denn es zu sehen, war unmöglich. Wir hatten uns allmählich so in den Nebel hineingegangen, daß schon auf zwanzig Schritte nichts mehr zu unterscheiden war. Während wir uns nun über das Mißliche dieser Lage einige schüchterne Bemerkungen mittheilten, fing es sehr laut zu hageln an. Dieß diente auch nicht unsere Geister anzufeuern, und so setzten wir uns etwas stille auf den Sockel des Wegweisers, der wie eine Rastbank hergerichtet war, den Rücken an die rauhe Wand des Obelisken lehnend, um unser Gewand wenigstens von einer Seite trocken zu erhalten. So sahen wir dem Unwetter zu, das um uns herbrauste – die Tageshelle war fast zur Nacht geworden, schrille, wilde Winde pfiffen vom Tauern herab und drangen mit eisiger Kälte durch alle Falten unsrer Kleider bis auf die Haut, der Hagel schlug uns ins Gesicht und an der Tauernhalde hörten wir ein dumpfes Kollern, als wenn sich oben etliche Felsblöcke in Bewegung setzen und zu uns herunter kommen wollten. Indem uns nun zu Muthe war, als wären wir mitten unter das wilde Gejaid gefallen, und während wir des schmetternden Hagels wegen das liebe Haupt zwischen die Knie genommen, ließ sich plötzlich eine Stimme hören: O! wäre ich doch im Tauernhause!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0595" n="591"/>
          <lg n="4">
            <l>Wie Träumerin! lock ich vergebens?</l><lb/>
            <l>So reich&#x2019; mir schwesterlich die Hand;</l><lb/>
            <l>Ich hab&#x2019; den Frühling dieses Lebens</l><lb/>
            <l>Wie du den Maitag, nicht gekannt.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="5">
            <l>Und spät wie Dir, Du Feuergelbe!</l><lb/>
            <l>Stahl sich die Liebe mir ins Herz;</l><lb/>
            <l>Ob spät, ob früh, es ist dasselbe</l><lb/>
            <l>Entzücken und derselbe Schmerz.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <p>Nun hatten wir die Stelle erreicht, wo wir das Windbachthälchen verlassen sollten um steil aufwärts zu gehen über den Grat. Daß wir jetzt am Tauern standen, zeigte ein einsamer Wegweiser, ein kunstloser Obelisk, den man aus schweren Steinen aufgeschichtet hatte. In seiner Spitze steckte ein hölzerner Arm, welcher links in die Höhe deutete. So viel wußten wir aus den frühern Erkundigungen, daß diese Wegweiser in kurzen Entfernungen aufeinanderfolgen. Es war gut dieß zu wissen, denn es zu sehen, war unmöglich. Wir hatten uns allmählich so in den Nebel hineingegangen, daß schon auf zwanzig Schritte nichts mehr zu unterscheiden war. Während wir uns nun über das Mißliche dieser Lage einige schüchterne Bemerkungen mittheilten, fing es sehr laut zu hageln an. Dieß diente auch nicht unsere Geister anzufeuern, und so setzten wir uns etwas stille auf den Sockel des Wegweisers, der wie eine Rastbank hergerichtet war, den Rücken an die rauhe Wand des Obelisken lehnend, um unser Gewand wenigstens von einer Seite trocken zu erhalten. So sahen wir dem Unwetter zu, das um uns herbrauste &#x2013; die Tageshelle war fast zur Nacht geworden, schrille, wilde Winde pfiffen vom Tauern herab und drangen mit eisiger Kälte durch alle Falten unsrer Kleider bis auf die Haut, der Hagel schlug uns ins Gesicht und an der Tauernhalde hörten wir ein dumpfes Kollern, als wenn sich oben etliche Felsblöcke in Bewegung setzen und zu uns herunter kommen wollten. Indem uns nun zu Muthe war, als wären wir mitten unter das wilde Gejaid gefallen, und während wir des schmetternden Hagels wegen das liebe Haupt zwischen die Knie genommen, ließ sich plötzlich eine Stimme hören: O! wäre ich doch im Tauernhause!
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[591/0595] Wie Träumerin! lock ich vergebens? So reich’ mir schwesterlich die Hand; Ich hab’ den Frühling dieses Lebens Wie du den Maitag, nicht gekannt. Und spät wie Dir, Du Feuergelbe! Stahl sich die Liebe mir ins Herz; Ob spät, ob früh, es ist dasselbe Entzücken und derselbe Schmerz. Nun hatten wir die Stelle erreicht, wo wir das Windbachthälchen verlassen sollten um steil aufwärts zu gehen über den Grat. Daß wir jetzt am Tauern standen, zeigte ein einsamer Wegweiser, ein kunstloser Obelisk, den man aus schweren Steinen aufgeschichtet hatte. In seiner Spitze steckte ein hölzerner Arm, welcher links in die Höhe deutete. So viel wußten wir aus den frühern Erkundigungen, daß diese Wegweiser in kurzen Entfernungen aufeinanderfolgen. Es war gut dieß zu wissen, denn es zu sehen, war unmöglich. Wir hatten uns allmählich so in den Nebel hineingegangen, daß schon auf zwanzig Schritte nichts mehr zu unterscheiden war. Während wir uns nun über das Mißliche dieser Lage einige schüchterne Bemerkungen mittheilten, fing es sehr laut zu hageln an. Dieß diente auch nicht unsere Geister anzufeuern, und so setzten wir uns etwas stille auf den Sockel des Wegweisers, der wie eine Rastbank hergerichtet war, den Rücken an die rauhe Wand des Obelisken lehnend, um unser Gewand wenigstens von einer Seite trocken zu erhalten. So sahen wir dem Unwetter zu, das um uns herbrauste – die Tageshelle war fast zur Nacht geworden, schrille, wilde Winde pfiffen vom Tauern herab und drangen mit eisiger Kälte durch alle Falten unsrer Kleider bis auf die Haut, der Hagel schlug uns ins Gesicht und an der Tauernhalde hörten wir ein dumpfes Kollern, als wenn sich oben etliche Felsblöcke in Bewegung setzen und zu uns herunter kommen wollten. Indem uns nun zu Muthe war, als wären wir mitten unter das wilde Gejaid gefallen, und während wir des schmetternden Hagels wegen das liebe Haupt zwischen die Knie genommen, ließ sich plötzlich eine Stimme hören: O! wäre ich doch im Tauernhause!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/595
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/595>, abgerufen am 13.06.2024.