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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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es fehlte nicht an Gelüsten dazu. Mancher unschuldige "Herr" entkam der Wuth der Landleute nur durch die List der Bürger oder die Fürbitten der Priester. Die nackten Arme und die winkenden Locken der schönen Frauen von Innsbruck behandelten dazumal die Passeyrer mit so rauher Ascese, daß eine der Schuldigen an zu früh eingetretenen Wehen sterben mußte. In solchen und andern Gewalthätigkeiten fand sich das ganze Herrenvolk beleidigt und da die "Handierer" auch viele Noth mit den Bauern hatten, so waren die Städte mit weniger Ausnahme gegen die Landleute. Die Innsbrucker zum Beispiel galten das ganze Jahr lang für verdächtig. Nun haben sich zwar allerdings manche der Gebildeten über die Verstimmung der damaligen Zeit hinausgehoben und aufrichtiger Bewunderung der großen Volksbewegung zugewandt, aber in den Meisten brütet noch immer das unheimliche Gedächtniß jener "Bauernwirthschaft," die alles beargwohnte, was durch Geburt und Stellung, Bildung und Wissenschaft überlegen war. Drum ist auch der Bauernkrieg als literarischer Stoff fast bei Seite gelegt und wird ungern berührt. Die jungen Dichter verfehlen zwar selten, in ihrer unbewachten Erstlingsperiode etliche Reime oder eine sapphische Ode auf den "Freiheitskampf" zu verfertigen, betrachten sich aber dann als quitt fürs ganze Leben. Auch was sonst in Prosa seit der Zeit über jenes Jahr geschrieben worden, zeichnet sich durch lobenswerthe Mäßigung aus, die zwar auch der Nüchternheit des Volkes, mehr aber noch der Betrachtung anheim zu geben ist, daß man sich durch zu großen Enthusiasmus in Zwiespalt mit der öffentlichen Meinung setzen würde. Drum konnten sich auch Immermanns Trauerspiel in Tirol und J. F. L......'s Bauernspiel in Tirol niemals zu starker Gelesenheit emporschwingen, obgleich sie beide - verboten worden sind. Jenem half weder die poetische Kraft, noch diesem genaue Localkenntniß zu inländischer Beliebtheit, welche unter andern Umständen dem Bauernspiel in Triol auch der Fehler vielleicht nicht vorenthalten hätte, daß darin mit seltsamer Vermessenheit auf ein oder zwei düstere verworfene Figuren wie auf hochherzige Heldinnen die Namen von bekannten tirolischen

es fehlte nicht an Gelüsten dazu. Mancher unschuldige „Herr“ entkam der Wuth der Landleute nur durch die List der Bürger oder die Fürbitten der Priester. Die nackten Arme und die winkenden Locken der schönen Frauen von Innsbruck behandelten dazumal die Passeyrer mit so rauher Ascese, daß eine der Schuldigen an zu früh eingetretenen Wehen sterben mußte. In solchen und andern Gewalthätigkeiten fand sich das ganze Herrenvolk beleidigt und da die „Handierer“ auch viele Noth mit den Bauern hatten, so waren die Städte mit weniger Ausnahme gegen die Landleute. Die Innsbrucker zum Beispiel galten das ganze Jahr lang für verdächtig. Nun haben sich zwar allerdings manche der Gebildeten über die Verstimmung der damaligen Zeit hinausgehoben und aufrichtiger Bewunderung der großen Volksbewegung zugewandt, aber in den Meisten brütet noch immer das unheimliche Gedächtniß jener „Bauernwirthschaft,“ die alles beargwohnte, was durch Geburt und Stellung, Bildung und Wissenschaft überlegen war. Drum ist auch der Bauernkrieg als literarischer Stoff fast bei Seite gelegt und wird ungern berührt. Die jungen Dichter verfehlen zwar selten, in ihrer unbewachten Erstlingsperiode etliche Reime oder eine sapphische Ode auf den „Freiheitskampf“ zu verfertigen, betrachten sich aber dann als quitt fürs ganze Leben. Auch was sonst in Prosa seit der Zeit über jenes Jahr geschrieben worden, zeichnet sich durch lobenswerthe Mäßigung aus, die zwar auch der Nüchternheit des Volkes, mehr aber noch der Betrachtung anheim zu geben ist, daß man sich durch zu großen Enthusiasmus in Zwiespalt mit der öffentlichen Meinung setzen würde. Drum konnten sich auch Immermanns Trauerspiel in Tirol und J. F. L......’s Bauernspiel in Tirol niemals zu starker Gelesenheit emporschwingen, obgleich sie beide – verboten worden sind. Jenem half weder die poetische Kraft, noch diesem genaue Localkenntniß zu inländischer Beliebtheit, welche unter andern Umständen dem Bauernspiel in Triol auch der Fehler vielleicht nicht vorenthalten hätte, daß darin mit seltsamer Vermessenheit auf ein oder zwei düstere verworfene Figuren wie auf hochherzige Heldinnen die Namen von bekannten tirolischen

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[630/0634] es fehlte nicht an Gelüsten dazu. Mancher unschuldige „Herr“ entkam der Wuth der Landleute nur durch die List der Bürger oder die Fürbitten der Priester. Die nackten Arme und die winkenden Locken der schönen Frauen von Innsbruck behandelten dazumal die Passeyrer mit so rauher Ascese, daß eine der Schuldigen an zu früh eingetretenen Wehen sterben mußte. In solchen und andern Gewalthätigkeiten fand sich das ganze Herrenvolk beleidigt und da die „Handierer“ auch viele Noth mit den Bauern hatten, so waren die Städte mit weniger Ausnahme gegen die Landleute. Die Innsbrucker zum Beispiel galten das ganze Jahr lang für verdächtig. Nun haben sich zwar allerdings manche der Gebildeten über die Verstimmung der damaligen Zeit hinausgehoben und aufrichtiger Bewunderung der großen Volksbewegung zugewandt, aber in den Meisten brütet noch immer das unheimliche Gedächtniß jener „Bauernwirthschaft,“ die alles beargwohnte, was durch Geburt und Stellung, Bildung und Wissenschaft überlegen war. Drum ist auch der Bauernkrieg als literarischer Stoff fast bei Seite gelegt und wird ungern berührt. Die jungen Dichter verfehlen zwar selten, in ihrer unbewachten Erstlingsperiode etliche Reime oder eine sapphische Ode auf den „Freiheitskampf“ zu verfertigen, betrachten sich aber dann als quitt fürs ganze Leben. Auch was sonst in Prosa seit der Zeit über jenes Jahr geschrieben worden, zeichnet sich durch lobenswerthe Mäßigung aus, die zwar auch der Nüchternheit des Volkes, mehr aber noch der Betrachtung anheim zu geben ist, daß man sich durch zu großen Enthusiasmus in Zwiespalt mit der öffentlichen Meinung setzen würde. Drum konnten sich auch Immermanns Trauerspiel in Tirol und J. F. L......’s Bauernspiel in Tirol niemals zu starker Gelesenheit emporschwingen, obgleich sie beide – verboten worden sind. Jenem half weder die poetische Kraft, noch diesem genaue Localkenntniß zu inländischer Beliebtheit, welche unter andern Umständen dem Bauernspiel in Triol auch der Fehler vielleicht nicht vorenthalten hätte, daß darin mit seltsamer Vermessenheit auf ein oder zwei düstere verworfene Figuren wie auf hochherzige Heldinnen die Namen von bekannten tirolischen

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 630. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/634>, abgerufen am 13.06.2024.