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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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wieder ein achtbarer Bauernstand entstehen, der in den Geschicken seines Vaterlandes mitzählt, und nur in dieser Heranziehung liegt das Geheimniß, den Landmann mit der Idee zu versöhnen, daß es auch einen Städter, einen Herrn geben darf, und jene Drohungen unschädlich zu machen, die man in Tirol vielleicht öfter hören mag als anderswo.

Fragt man nun aber, was bleibt dem Bauern, nachdem man ihm seine Sagen und Mährchen, seine Lieder, seine Musik und seinen Tanz, seine Feste und seine Freuden, seine Rechte und seine Freiheiten, seine politische Wirksamkeit genommen, während man seinen Anlagen die Entwicklung, seinem Geiste alle Anregung versagt, so lautet die Antwort: die Religion. Da ist nun freilich alles schön bestellt, an allen Hälsen hängen Amulette, auf allen Pfaden schallt es: Gelobt sey Jesus Christus, auf allen Straßen ziehen betende Wallfahrer und glanzreiche Processionen, auf jeder Flur steht ein Feldkreuz, auf jedem Bühel eine Capelle - überall schöne Kirchen, deren Glocken erbauend durch das Land hallen, Gotteshäuser voll bußfertigen Volkes, überall Klöster und Stifter, überall Weltpriester und Mönche, überall Andachten, Litaneien und Gebete, von Zeit zu Zeit auch eine "Heilige," durch die der Himmel dem Lande sein Wohlgefallen erzeigt. Wenn gleichwohl der Landmann immer mehr verdumpft, verdorrt und austrocknet, wenn er von ferne nicht das ist, was er seyn sollte, so kommt man unfreiwillig zu der Ansicht, daß sich ein Volksleben, daß sich Bildung und Entwicklung durch den Kirchendienst, durch Andacht und Frömmigkeit allein nicht ersetzen lassen.

Das ist nun allerdings auch die Meinung der Einsichtigen in Tirol, allein sie hat natürlich wenig Freiheit sich zu äußern. Daß es auch viele gibt, die andrer Ansicht sind, geht indessen daraus hervor, daß man zu größerer Befestigung des schon Errungenen noch ein neues Werkzeug willig aufnahm, nämlich die "Missionen" - dasselbe Beförderungsmittel der Frömmigkeit, vor dem in Bayern selbst ein Erzbischof gewarnt hat, während es Hochwürden Duile, der ehemalige

wieder ein achtbarer Bauernstand entstehen, der in den Geschicken seines Vaterlandes mitzählt, und nur in dieser Heranziehung liegt das Geheimniß, den Landmann mit der Idee zu versöhnen, daß es auch einen Städter, einen Herrn geben darf, und jene Drohungen unschädlich zu machen, die man in Tirol vielleicht öfter hören mag als anderswo.

Fragt man nun aber, was bleibt dem Bauern, nachdem man ihm seine Sagen und Mährchen, seine Lieder, seine Musik und seinen Tanz, seine Feste und seine Freuden, seine Rechte und seine Freiheiten, seine politische Wirksamkeit genommen, während man seinen Anlagen die Entwicklung, seinem Geiste alle Anregung versagt, so lautet die Antwort: die Religion. Da ist nun freilich alles schön bestellt, an allen Hälsen hängen Amulette, auf allen Pfaden schallt es: Gelobt sey Jesus Christus, auf allen Straßen ziehen betende Wallfahrer und glanzreiche Processionen, auf jeder Flur steht ein Feldkreuz, auf jedem Bühel eine Capelle – überall schöne Kirchen, deren Glocken erbauend durch das Land hallen, Gotteshäuser voll bußfertigen Volkes, überall Klöster und Stifter, überall Weltpriester und Mönche, überall Andachten, Litaneien und Gebete, von Zeit zu Zeit auch eine „Heilige,“ durch die der Himmel dem Lande sein Wohlgefallen erzeigt. Wenn gleichwohl der Landmann immer mehr verdumpft, verdorrt und austrocknet, wenn er von ferne nicht das ist, was er seyn sollte, so kommt man unfreiwillig zu der Ansicht, daß sich ein Volksleben, daß sich Bildung und Entwicklung durch den Kirchendienst, durch Andacht und Frömmigkeit allein nicht ersetzen lassen.

Das ist nun allerdings auch die Meinung der Einsichtigen in Tirol, allein sie hat natürlich wenig Freiheit sich zu äußern. Daß es auch viele gibt, die andrer Ansicht sind, geht indessen daraus hervor, daß man zu größerer Befestigung des schon Errungenen noch ein neues Werkzeug willig aufnahm, nämlich die „Missionen“ – dasselbe Beförderungsmittel der Frömmigkeit, vor dem in Bayern selbst ein Erzbischof gewarnt hat, während es Hochwürden Duile, der ehemalige

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[654/0658] wieder ein achtbarer Bauernstand entstehen, der in den Geschicken seines Vaterlandes mitzählt, und nur in dieser Heranziehung liegt das Geheimniß, den Landmann mit der Idee zu versöhnen, daß es auch einen Städter, einen Herrn geben darf, und jene Drohungen unschädlich zu machen, die man in Tirol vielleicht öfter hören mag als anderswo. Fragt man nun aber, was bleibt dem Bauern, nachdem man ihm seine Sagen und Mährchen, seine Lieder, seine Musik und seinen Tanz, seine Feste und seine Freuden, seine Rechte und seine Freiheiten, seine politische Wirksamkeit genommen, während man seinen Anlagen die Entwicklung, seinem Geiste alle Anregung versagt, so lautet die Antwort: die Religion. Da ist nun freilich alles schön bestellt, an allen Hälsen hängen Amulette, auf allen Pfaden schallt es: Gelobt sey Jesus Christus, auf allen Straßen ziehen betende Wallfahrer und glanzreiche Processionen, auf jeder Flur steht ein Feldkreuz, auf jedem Bühel eine Capelle – überall schöne Kirchen, deren Glocken erbauend durch das Land hallen, Gotteshäuser voll bußfertigen Volkes, überall Klöster und Stifter, überall Weltpriester und Mönche, überall Andachten, Litaneien und Gebete, von Zeit zu Zeit auch eine „Heilige,“ durch die der Himmel dem Lande sein Wohlgefallen erzeigt. Wenn gleichwohl der Landmann immer mehr verdumpft, verdorrt und austrocknet, wenn er von ferne nicht das ist, was er seyn sollte, so kommt man unfreiwillig zu der Ansicht, daß sich ein Volksleben, daß sich Bildung und Entwicklung durch den Kirchendienst, durch Andacht und Frömmigkeit allein nicht ersetzen lassen. Das ist nun allerdings auch die Meinung der Einsichtigen in Tirol, allein sie hat natürlich wenig Freiheit sich zu äußern. Daß es auch viele gibt, die andrer Ansicht sind, geht indessen daraus hervor, daß man zu größerer Befestigung des schon Errungenen noch ein neues Werkzeug willig aufnahm, nämlich die „Missionen“ – dasselbe Beförderungsmittel der Frömmigkeit, vor dem in Bayern selbst ein Erzbischof gewarnt hat, während es Hochwürden Duile, der ehemalige

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 654. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/658>, abgerufen am 23.11.2024.