Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.hohen Incognito, während wir doch nichts anders waren als drei Zecher voll Einfalt und Menschenliebe. Der Anfang war also ganz gut gerathen, und als wir so unter verschiedenen Gesprächen - jeder seine Flasche Champagner im Kopfe und das grüne Walserthal im Auge - der Kirche von Hirscheck näher kamen, gedachten wir einer jungen Frau, einer Wälderin, die wir Tags zuvor in der Sonne zu Oberstdorf getroffen und die uns eingeladen hatte auf Hirscheck im Adler zuzukehren, wo sie "wirthe." Deßwegen mochten wir auch diesem Hause nicht aus dem Wege gehen, oder vielmehr wir kletterten eigens zu ihm hinauf, da es eine kleine Strecke oberhalb des Sträßchens liegt. Ehe wir's aber erreichten, hatten uns die Leute schon ersehen und sie, die frische Wälderin, und ihr Mann, der Walser - er war aber ein kleiner Kerl, hatte nur ein Bein und statt des andern einen hölzernen Stelzfuß - beide also lachten uns schon von weitem an, freuten sich über die Maßen daß wir Wort gehalten und führten uns schmeichelnd in die helle Stube, die abermals so reinlich getäfelt und so blank gescheuert war, daß man viel lieber hineinging als heraus. Auch ein Wandschrein war da zu sehen, von sehr kunstreicher Arbeit, den ein Kistler aus dem Thale gemacht hat. Als wir uns gesetzt, mußten wir zuerst sagen woher wir wären, und dann ging die Plauderei lauffeurig fort. Es ist nicht zu beschreiben, was uns die Leute alles für Ehren anthun, was sie uns alles kochen, sieden, braten, backen, rösten und richten wollten, so daß wir uns fast grämten nicht das kleinste Trümmchen Hunger mitgebracht zu haben. Hei, was hüpfte da der einhaxige *) *) Haxe, besser Hachse, althochdeutsch hahsa, poples, Fuß überhaupt, ist ein classisches oberdeutsches Wort. Da man jetzt "einsehen gelernt, daß für unsere hochdeutsche Schrift und Umgangssprache, die in ihrer künstlichen Ausbildung und Verfeinerung die ursprüngliche Zeugungskraft fast gänzlich eingebüßt hat, in den Mundarten eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung und Wiederbelebung fließe," so sind in diesem Buche mehrere einschlägige Wörter zeitgemäß wieder hervorgezogen worden, weßhalb man sich im vorhinein alles Halloh über Provincialismen verbittet.
hohen Incognito, während wir doch nichts anders waren als drei Zecher voll Einfalt und Menschenliebe. Der Anfang war also ganz gut gerathen, und als wir so unter verschiedenen Gesprächen – jeder seine Flasche Champagner im Kopfe und das grüne Walserthal im Auge – der Kirche von Hirscheck näher kamen, gedachten wir einer jungen Frau, einer Wälderin, die wir Tags zuvor in der Sonne zu Oberstdorf getroffen und die uns eingeladen hatte auf Hirscheck im Adler zuzukehren, wo sie „wirthe." Deßwegen mochten wir auch diesem Hause nicht aus dem Wege gehen, oder vielmehr wir kletterten eigens zu ihm hinauf, da es eine kleine Strecke oberhalb des Sträßchens liegt. Ehe wir’s aber erreichten, hatten uns die Leute schon ersehen und sie, die frische Wälderin, und ihr Mann, der Walser – er war aber ein kleiner Kerl, hatte nur ein Bein und statt des andern einen hölzernen Stelzfuß – beide also lachten uns schon von weitem an, freuten sich über die Maßen daß wir Wort gehalten und führten uns schmeichelnd in die helle Stube, die abermals so reinlich getäfelt und so blank gescheuert war, daß man viel lieber hineinging als heraus. Auch ein Wandschrein war da zu sehen, von sehr kunstreicher Arbeit, den ein Kistler aus dem Thale gemacht hat. Als wir uns gesetzt, mußten wir zuerst sagen woher wir wären, und dann ging die Plauderei lauffeurig fort. Es ist nicht zu beschreiben, was uns die Leute alles für Ehren anthun, was sie uns alles kochen, sieden, braten, backen, rösten und richten wollten, so daß wir uns fast grämten nicht das kleinste Trümmchen Hunger mitgebracht zu haben. Hei, was hüpfte da der einhaxige *) *) Haxe, besser Hachse, althochdeutsch hahsa, poples, Fuß überhaupt, ist ein classisches oberdeutsches Wort. Da man jetzt „einsehen gelernt, daß für unsere hochdeutsche Schrift und Umgangssprache, die in ihrer künstlichen Ausbildung und Verfeinerung die ursprüngliche Zeugungskraft fast gänzlich eingebüßt hat, in den Mundarten eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung und Wiederbelebung fließe," so sind in diesem Buche mehrere einschlägige Wörter zeitgemäß wieder hervorgezogen worden, weßhalb man sich im vorhinein alles Halloh über Provincialismen verbittet.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0076" n="71"/> hohen Incognito, während wir doch nichts anders waren als drei Zecher voll Einfalt und Menschenliebe.</p> <p>Der Anfang war also ganz gut gerathen, und als wir so unter verschiedenen Gesprächen – jeder seine Flasche Champagner im Kopfe und das grüne Walserthal im Auge – der Kirche von Hirscheck näher kamen, gedachten wir einer jungen Frau, einer Wälderin, die wir Tags zuvor in der Sonne zu Oberstdorf getroffen und die uns eingeladen hatte auf Hirscheck im Adler zuzukehren, wo sie „wirthe." Deßwegen mochten wir auch diesem Hause nicht aus dem Wege gehen, oder vielmehr wir kletterten eigens zu ihm hinauf, da es eine kleine Strecke oberhalb des Sträßchens liegt. Ehe wir’s aber erreichten, hatten uns die Leute schon ersehen und sie, die frische Wälderin, und ihr Mann, der Walser – er war aber ein kleiner Kerl, hatte nur ein Bein und statt des andern einen hölzernen Stelzfuß – beide also lachten uns schon von weitem an, freuten sich über die Maßen daß wir Wort gehalten und führten uns schmeichelnd in die helle Stube, die abermals so reinlich getäfelt und so blank gescheuert war, daß man viel lieber hineinging als heraus. Auch ein Wandschrein war da zu sehen, von sehr kunstreicher Arbeit, den ein Kistler aus dem Thale gemacht hat. Als wir uns gesetzt, mußten wir zuerst sagen woher wir wären, und dann ging die Plauderei lauffeurig fort. Es ist nicht zu beschreiben, was uns die Leute alles für Ehren anthun, was sie uns alles kochen, sieden, braten, backen, rösten und richten wollten, so daß wir uns fast grämten nicht das kleinste Trümmchen Hunger mitgebracht zu haben. Hei, was hüpfte da der einhaxige <note place="foot" n="*)">Haxe, besser Hachse, althochdeutsch <hi rendition="#g">hahsa</hi>, <hi rendition="#aq">poples</hi>, Fuß überhaupt, ist ein classisches oberdeutsches Wort. Da man jetzt „einsehen gelernt, daß für unsere hochdeutsche Schrift und Umgangssprache, die in ihrer künstlichen Ausbildung und Verfeinerung die ursprüngliche Zeugungskraft fast gänzlich eingebüßt hat, in den Mundarten eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung und Wiederbelebung fließe," so sind in diesem Buche mehrere einschlägige Wörter zeitgemäß wieder hervorgezogen worden, weßhalb man sich im vorhinein alles Halloh über Provincialismen verbittet.</note> </p> </div> </body> </text> </TEI> [71/0076]
hohen Incognito, während wir doch nichts anders waren als drei Zecher voll Einfalt und Menschenliebe.
Der Anfang war also ganz gut gerathen, und als wir so unter verschiedenen Gesprächen – jeder seine Flasche Champagner im Kopfe und das grüne Walserthal im Auge – der Kirche von Hirscheck näher kamen, gedachten wir einer jungen Frau, einer Wälderin, die wir Tags zuvor in der Sonne zu Oberstdorf getroffen und die uns eingeladen hatte auf Hirscheck im Adler zuzukehren, wo sie „wirthe." Deßwegen mochten wir auch diesem Hause nicht aus dem Wege gehen, oder vielmehr wir kletterten eigens zu ihm hinauf, da es eine kleine Strecke oberhalb des Sträßchens liegt. Ehe wir’s aber erreichten, hatten uns die Leute schon ersehen und sie, die frische Wälderin, und ihr Mann, der Walser – er war aber ein kleiner Kerl, hatte nur ein Bein und statt des andern einen hölzernen Stelzfuß – beide also lachten uns schon von weitem an, freuten sich über die Maßen daß wir Wort gehalten und führten uns schmeichelnd in die helle Stube, die abermals so reinlich getäfelt und so blank gescheuert war, daß man viel lieber hineinging als heraus. Auch ein Wandschrein war da zu sehen, von sehr kunstreicher Arbeit, den ein Kistler aus dem Thale gemacht hat. Als wir uns gesetzt, mußten wir zuerst sagen woher wir wären, und dann ging die Plauderei lauffeurig fort. Es ist nicht zu beschreiben, was uns die Leute alles für Ehren anthun, was sie uns alles kochen, sieden, braten, backen, rösten und richten wollten, so daß wir uns fast grämten nicht das kleinste Trümmchen Hunger mitgebracht zu haben. Hei, was hüpfte da der einhaxige *)
*) Haxe, besser Hachse, althochdeutsch hahsa, poples, Fuß überhaupt, ist ein classisches oberdeutsches Wort. Da man jetzt „einsehen gelernt, daß für unsere hochdeutsche Schrift und Umgangssprache, die in ihrer künstlichen Ausbildung und Verfeinerung die ursprüngliche Zeugungskraft fast gänzlich eingebüßt hat, in den Mundarten eine unerschöpfliche Quelle der Bereicherung und Wiederbelebung fließe," so sind in diesem Buche mehrere einschlägige Wörter zeitgemäß wieder hervorgezogen worden, weßhalb man sich im vorhinein alles Halloh über Provincialismen verbittet.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |