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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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jene Jungfrauen, welche auf öffentlichen Tanzplätzen erscheinen, erhielten ihre Ehre unbefleckt und die Gefallenen seyen gerade jene, die an solchen Orten nicht zu sehen. - Wenn das alles wahr ist - und der Schreiber hat sich wenig bemüht diese Behauptungen zu entkräften, so möchte man sich wundern, warum nicht auch einmal für das Tanzen gepredigt wird, und immer nur dagegen.

Eine bedenkliche Geschichte erzählt der Caplan aus seinen eigenen Tagen. Sie führt den Titel: "Erscheinung einer Seele" und lautet ungefähr so:

Am 6 Januar 1782 starb auf dem Gänstelboden Barbara Wüstnerin im vierundvierzigsten Jahre ihres erbaulichen Lebens und hinterließ ihren Ehemann und vier Kinder, darunter ein neunjähriges Söhnlein Namens Jodocus. Dieses betete fleißig für seine verstorbene Mutter, mahnte auch seine Geschwister dazu und war beinebens ganz traurig. Am 28 Hornung aber kam der Knabe voll Erstaunen aus seinem Schlafgemach und erzählte den Seinigen mit großer Fertigkeit, wie es ihm ansonst die Natur wegen stammelnder Zunge gänzlich versagt, was er jetzt das zweitemal gesehen und gehört. Einst als ihr, sprach er zum Vater und den Geschwistern, noch am Lager der verstorbenen Mutter weintet, kam selbe zu meinem Bette, ziemlich weiß in traurigem Ansehen. Sie sagte: Kind! ich bin zum Fegfeuer verurtheilt; bet' für mich, du bist es schuldig - ich habe dir manchen Bissen ab meinem Munde gegeben. Sobald ich erlöst bin, so will ich wieder kommen, sey indessen still davon. Heute kam sie wieder vor Tag, in schneeweißer und freudiger Gestalt, hatte doch ein kleines schwarzes Flecklein auf der Nase. Sie sprach mit frohlockender Gebärde: jetzt bin ich nächst bei der Erlösung! Johann Jacob bat durch sein Gebet mir fünf Tage, Aloys drei, Judith zwei, der Vater einen von den Fegfeuerstrafen ausgelöscht. Das Josephle ist ein böser Bub'; wegen seiner, weil ich ihm zu viel nachgesehen, mußte ich drei Tage lang leiden. Es wird in der Ewigkeit viel genauer gerechnet und Alles viel richtiger vergolten, als sich die Menschen einbilden. Man thut den Predigern unrecht, wenn man sagt, sie

jene Jungfrauen, welche auf öffentlichen Tanzplätzen erscheinen, erhielten ihre Ehre unbefleckt und die Gefallenen seyen gerade jene, die an solchen Orten nicht zu sehen. – Wenn das alles wahr ist – und der Schreiber hat sich wenig bemüht diese Behauptungen zu entkräften, so möchte man sich wundern, warum nicht auch einmal für das Tanzen gepredigt wird, und immer nur dagegen.

Eine bedenkliche Geschichte erzählt der Caplan aus seinen eigenen Tagen. Sie führt den Titel: „Erscheinung einer Seele" und lautet ungefähr so:

Am 6 Januar 1782 starb auf dem Gänstelboden Barbara Wüstnerin im vierundvierzigsten Jahre ihres erbaulichen Lebens und hinterließ ihren Ehemann und vier Kinder, darunter ein neunjähriges Söhnlein Namens Jodocus. Dieses betete fleißig für seine verstorbene Mutter, mahnte auch seine Geschwister dazu und war beinebens ganz traurig. Am 28 Hornung aber kam der Knabe voll Erstaunen aus seinem Schlafgemach und erzählte den Seinigen mit großer Fertigkeit, wie es ihm ansonst die Natur wegen stammelnder Zunge gänzlich versagt, was er jetzt das zweitemal gesehen und gehört. Einst als ihr, sprach er zum Vater und den Geschwistern, noch am Lager der verstorbenen Mutter weintet, kam selbe zu meinem Bette, ziemlich weiß in traurigem Ansehen. Sie sagte: Kind! ich bin zum Fegfeuer verurtheilt; bet’ für mich, du bist es schuldig – ich habe dir manchen Bissen ab meinem Munde gegeben. Sobald ich erlöst bin, so will ich wieder kommen, sey indessen still davon. Heute kam sie wieder vor Tag, in schneeweißer und freudiger Gestalt, hatte doch ein kleines schwarzes Flecklein auf der Nase. Sie sprach mit frohlockender Gebärde: jetzt bin ich nächst bei der Erlösung! Johann Jacob bat durch sein Gebet mir fünf Tage, Aloys drei, Judith zwei, der Vater einen von den Fegfeuerstrafen ausgelöscht. Das Josephle ist ein böser Bub’; wegen seiner, weil ich ihm zu viel nachgesehen, mußte ich drei Tage lang leiden. Es wird in der Ewigkeit viel genauer gerechnet und Alles viel richtiger vergolten, als sich die Menschen einbilden. Man thut den Predigern unrecht, wenn man sagt, sie

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[80/0085] jene Jungfrauen, welche auf öffentlichen Tanzplätzen erscheinen, erhielten ihre Ehre unbefleckt und die Gefallenen seyen gerade jene, die an solchen Orten nicht zu sehen. – Wenn das alles wahr ist – und der Schreiber hat sich wenig bemüht diese Behauptungen zu entkräften, so möchte man sich wundern, warum nicht auch einmal für das Tanzen gepredigt wird, und immer nur dagegen. Eine bedenkliche Geschichte erzählt der Caplan aus seinen eigenen Tagen. Sie führt den Titel: „Erscheinung einer Seele" und lautet ungefähr so: Am 6 Januar 1782 starb auf dem Gänstelboden Barbara Wüstnerin im vierundvierzigsten Jahre ihres erbaulichen Lebens und hinterließ ihren Ehemann und vier Kinder, darunter ein neunjähriges Söhnlein Namens Jodocus. Dieses betete fleißig für seine verstorbene Mutter, mahnte auch seine Geschwister dazu und war beinebens ganz traurig. Am 28 Hornung aber kam der Knabe voll Erstaunen aus seinem Schlafgemach und erzählte den Seinigen mit großer Fertigkeit, wie es ihm ansonst die Natur wegen stammelnder Zunge gänzlich versagt, was er jetzt das zweitemal gesehen und gehört. Einst als ihr, sprach er zum Vater und den Geschwistern, noch am Lager der verstorbenen Mutter weintet, kam selbe zu meinem Bette, ziemlich weiß in traurigem Ansehen. Sie sagte: Kind! ich bin zum Fegfeuer verurtheilt; bet’ für mich, du bist es schuldig – ich habe dir manchen Bissen ab meinem Munde gegeben. Sobald ich erlöst bin, so will ich wieder kommen, sey indessen still davon. Heute kam sie wieder vor Tag, in schneeweißer und freudiger Gestalt, hatte doch ein kleines schwarzes Flecklein auf der Nase. Sie sprach mit frohlockender Gebärde: jetzt bin ich nächst bei der Erlösung! Johann Jacob bat durch sein Gebet mir fünf Tage, Aloys drei, Judith zwei, der Vater einen von den Fegfeuerstrafen ausgelöscht. Das Josephle ist ein böser Bub’; wegen seiner, weil ich ihm zu viel nachgesehen, mußte ich drei Tage lang leiden. Es wird in der Ewigkeit viel genauer gerechnet und Alles viel richtiger vergolten, als sich die Menschen einbilden. Man thut den Predigern unrecht, wenn man sagt, sie

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/85>, abgerufen am 23.11.2024.