Filidor der Dorfferer [i. e. Stieler, Kaspar von]: Die Geharnschte Venus. Hamburg, 1660.Geharnschter Venus 1. GLeich als du hättest still gesessen/als dir annoch das junge Bluht in deinem frischem Herzen wallte: so schreib' und sing' ich dir nicht gut. Seht/ Kinder/ wie der Alte/ Kalte die Heiligkeit nu hat gefressen! 2. Wie kunnt' er doch in seiner Jugendden jungen Mägdchen schleichen nach! wie wust' er sie so schön zu grüssen! wie hielt' er gern mit ihnen Sprach' und kunnte weidlich sie zerküssen! iezt ist er keusch und lehret Tugend. 3. Hör/ Alter/ denk auff deine Zeiten/und denk/ daß ich in diesen bin. Jch werde mich auch ernstlich halten/ wenn einst mein runzel-striemig Kinn in grauen Borsten wird veralten: denn wil ich auch auff Erbar streiten. 4. Wer weiß/ was unter deinen Haaren/dem alten Schnee/ verborgen ist? die
Geharnſchter Venus 1. GLeich als du haͤtteſt ſtill geſeſſen/als dir annoch das junge Bluht in deinem friſchem Herzen wallte: ſo ſchreib’ und ſing’ ich dir nicht gut. Seht/ Kinder/ wie der Alte/ Kalte die Heiligkeit nu hat gefreſſen! 2. Wie kunnt’ er doch in ſeiner Jugendden jungen Maͤgdchen ſchleichen nach! wie wuſt’ er ſie ſo ſchoͤn zu gruͤſſen! wie hielt’ er gern mit ihnen Sprach’ und kunnte weidlich ſie zerkuͤſſen! iezt iſt er keuſch und lehret Tugend. 3. Hoͤr/ Alter/ denk auff deine Zeiten/und denk/ daß ich in dieſen bin. Jch werde mich auch ernſtlich halten/ wenn einſt mein runzel-ſtriemig Kinn in grauen Borſten wird veralten: denn wil ich auch auff Erbar ſtreiten. 4. Wer weiß/ was unter deinen Haaren/dem alten Schnee/ verborgen iſt? die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0220" n="174"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Geharnſchter Venus</hi> </fw><lb/> <lg n="1"> <head>1.</head><lb/> <l><hi rendition="#in">G</hi>Leich als du haͤtteſt ſtill geſeſſen/</l><lb/> <l>als dir annoch das junge Bluht</l><lb/> <l>in deinem friſchem Herzen wallte:<lb/> ſo ſchreib’ und ſing’ ich dir nicht gut.</l><lb/> <l>Seht/ Kinder/ wie der Alte/ Kalte</l><lb/> <l>die Heiligkeit nu hat gefreſſen<hi rendition="#i">!</hi></l> </lg><lb/> <lg n="2"> <head>2.</head><lb/> <l>Wie kunnt’ er doch in ſeiner Jugend</l><lb/> <l>den jungen Maͤgdchen ſchleichen nach<hi rendition="#i">!</hi></l><lb/> <l>wie wuſt’ er ſie ſo ſchoͤn zu gruͤſſen<hi rendition="#i">!</hi></l><lb/> <l>wie hielt’ er gern mit ihnen Sprach’</l><lb/> <l>und kunnte weidlich ſie zerkuͤſſen!</l><lb/> <l>iezt iſt er keuſch und lehret Tugend.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <head>3.</head><lb/> <l>Hoͤr/ Alter/ denk auff deine Zeiten/</l><lb/> <l>und denk/ daß ich in dieſen bin.</l><lb/> <l>Jch werde mich auch ernſtlich halten/</l><lb/> <l>wenn einſt mein runzel-ſtriemig Kinn</l><lb/> <l>in grauen Borſten wird veralten:</l><lb/> <l>denn wil ich auch auff Erbar ſtreiten.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <head>4.</head><lb/> <l>Wer weiß/ was unter deinen Haaren/</l><lb/> <l>dem alten Schnee/ verborgen iſt?<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [174/0220]
Geharnſchter Venus
1.
GLeich als du haͤtteſt ſtill geſeſſen/
als dir annoch das junge Bluht
in deinem friſchem Herzen wallte:
ſo ſchreib’ und ſing’ ich dir nicht gut.
Seht/ Kinder/ wie der Alte/ Kalte
die Heiligkeit nu hat gefreſſen!
2.
Wie kunnt’ er doch in ſeiner Jugend
den jungen Maͤgdchen ſchleichen nach!
wie wuſt’ er ſie ſo ſchoͤn zu gruͤſſen!
wie hielt’ er gern mit ihnen Sprach’
und kunnte weidlich ſie zerkuͤſſen!
iezt iſt er keuſch und lehret Tugend.
3.
Hoͤr/ Alter/ denk auff deine Zeiten/
und denk/ daß ich in dieſen bin.
Jch werde mich auch ernſtlich halten/
wenn einſt mein runzel-ſtriemig Kinn
in grauen Borſten wird veralten:
denn wil ich auch auff Erbar ſtreiten.
4.
Wer weiß/ was unter deinen Haaren/
dem alten Schnee/ verborgen iſt?
die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |