die Höflichkeit, denn diese hat keine Leges, son- dern vielmehr die aus einer grössern Dignität, so man für einem andern zu haben vermeinet, her- rührende Superbia, welcher man die Qualitäten Juris zugeeignet, und ihr den Titul der Praeroga- tivae oder Praecedentiae gegeben.
§. 6.
Man wird sich leicht bescheiden, daß nicht nur unter unvernünfftigen Creaturen, son- dern auch so gar unter leblosen Dingen eines dem andern pfleget vorgezogen zu werden, denn ein Pferd wird höher als ein Esel oder Ochse, ein Diamant werther als ein Kiesel-Stein geachtet; und man lachet demnach noch heut zu Tage die Schweitzer aus, daß sie den unschätzbahren Dia- mant für Cristal, und die aus Gold und Silber zubereiteten Gefässe, welche sie von dem Hertzog von Burgund eroberten, für Zinn verkaufften. Unter den vernünfftigen Menschen aber ins be- sondere, wird der Mann der Frauen, der Vater den Kindern, der Alte dem Jungen, der Herr- schende dem Gehorchenden, so gar auf göttlichen Besehl vorgesetzt, so daß man sagen könte, daß eines unter denen hier genenneten Correlatis, natura, & ordine a Deo instituto, mehr gelten müsse als das andere, und der weniger geltende dem mehr geltenden nothwendig den Vorzug lassen müsse, so daß es allerdings natura & ra- tione eine Praerogativam giebet, krafft derer ei- nes dem andern vorzuziehen.
§. 7. Aber
A 2
Hoff-Ceremoniel.
die Hoͤflichkeit, denn dieſe hat keine Leges, ſon- dern vielmehr die aus einer groͤſſern Dignitaͤt, ſo man fuͤr einem andern zu haben vermeinet, her- ruͤhrende Superbia, welcher man die Qualitaͤten Juris zugeeignet, und ihr den Titul der Præroga- tivæ oder Præcedentiæ gegeben.
§. 6.
Man wird ſich leicht beſcheiden, daß nicht nur unter unvernuͤnfftigen Creaturen, ſon- dern auch ſo gar unter lebloſen Dingen eines dem andern pfleget vorgezogen zu werden, deñ ein Pferd wird hoͤher als ein Eſel oder Ochſe, ein Diamant werther als ein Kieſel-Stein geachtet; und man lachet demnach noch heut zu Tage die Schweitzer aus, daß ſie den unſchaͤtzbahren Dia- mant fuͤr Criſtal, und die aus Gold und Silber zubereiteten Gefaͤſſe, welche ſie von dem Hertzog von Burgund eroberten, fuͤr Zinn verkaufften. Unter den vernuͤnfftigen Menſchen aber ins be- ſondere, wird der Mann der Frauen, der Vater den Kindern, der Alte dem Jungen, der Herr- ſchende dem Gehorchenden, ſo gar auf goͤttlichen Beſehl vorgeſetzt, ſo daß man ſagen koͤnte, daß eines unter denen hier genenneten Correlatis, natura, & ordine a Deo inſtituto, mehr gelten muͤſſe als das andere, und der weniger geltende dem mehr geltenden nothwendig den Vorzug laſſen muͤſſe, ſo daß es allerdings natura & ra- tione eine Prærogativam giebet, krafft derer ei- nes dem andern vorzuziehen.
§. 7. Aber
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Hoff-Ceremoniel.
die Hoͤflichkeit, denn dieſe hat keine Leges, ſon-
dern vielmehr die aus einer groͤſſern Dignitaͤt, ſo
man fuͤr einem andern zu haben vermeinet, her-
ruͤhrende Superbia, welcher man die Qualitaͤten
Juris zugeeignet, und ihr den Titul der Præroga-
tivæ oder Præcedentiæ gegeben.
§. 6. Man wird ſich leicht beſcheiden, daß nicht
nur unter unvernuͤnfftigen Creaturen, ſon-
dern auch ſo gar unter lebloſen Dingen eines
dem andern pfleget vorgezogen zu werden, deñ ein
Pferd wird hoͤher als ein Eſel oder Ochſe, ein
Diamant werther als ein Kieſel-Stein geachtet;
und man lachet demnach noch heut zu Tage die
Schweitzer aus, daß ſie den unſchaͤtzbahren Dia-
mant fuͤr Criſtal, und die aus Gold und Silber
zubereiteten Gefaͤſſe, welche ſie von dem Hertzog
von Burgund eroberten, fuͤr Zinn verkaufften.
Unter den vernuͤnfftigen Menſchen aber ins be-
ſondere, wird der Mann der Frauen, der Vater
den Kindern, der Alte dem Jungen, der Herr-
ſchende dem Gehorchenden, ſo gar auf goͤttlichen
Beſehl vorgeſetzt, ſo daß man ſagen koͤnte, daß
eines unter denen hier genenneten Correlatis,
natura, & ordine a Deo inſtituto, mehr gelten
muͤſſe als das andere, und der weniger geltende
dem mehr geltenden nothwendig den Vorzug
laſſen muͤſſe, ſo daß es allerdings natura & ra-
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nes dem andern vorzuziehen.
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Stieve, Gottfried: Europäisches Hoff-Ceremoniel. Leipzig, 1715, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stieve_hoffceremoniel_1715/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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