Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

die Erdlehne empor, die auch weiter entfernt war, als ich dachte, und kam eben an, als bereits die ganze Glut der Abendröthe um die dunkeln wogenden Maisfelder und die Gruppen bärtiger Knechte und um den Reiter loderte. Dieser aber war nichts anderes als ein Weib, etwa vierzig Jahre alt, welches sonderbar genug die weiten landesmäßigen Beinkleider an hatte und auch wie ein Mann zu Pferde saß. Da die Knechte schon auseinander gingen und sie fast allein auf dem Flecke war, richtete ich mein Anliegen an sie. Meinen Wanderstab unter das Ränzlein stützend, zu ihr empor schauend und mir gleichsam die Strahlen der Abendröthe, die schief herein kamen, aus dem Gesichte streichend, sagte ich deutsch zu ihr: Guten Abend, Mutter.

Guten Abend, antwortete sie in derselben Sprache.

Gewährt mir eine Bitte und sagt: heißt jenes Gebäude Uwar?

Jenes Gebäude heißt nicht Uwar. Seid Ihr nach Uwar bestellt?

Allerdings. Ich habe dort meinen Reisefreund, den Major, zu besuchen, der mich dahin eingeladen hat.

So geht nur ein wenig neben meinem Rosse her.

Mit diesen Worten setzte sie ihr Pferd in Schritt und ritt langsam, damit ich ihr folgen konnte, zwischen den hohen grünen Maisbüscheln den Abhang hinan. Ich ging hinter ihr her und hatte Gelegenheit, meine Blicke auf die Umgebung richten zu können -- und in der That, ich bekam immer mehr Ursache, mich zu ver-

die Erdlehne empor, die auch weiter entfernt war, als ich dachte, und kam eben an, als bereits die ganze Glut der Abendröthe um die dunkeln wogenden Maisfelder und die Gruppen bärtiger Knechte und um den Reiter loderte. Dieser aber war nichts anderes als ein Weib, etwa vierzig Jahre alt, welches sonderbar genug die weiten landesmäßigen Beinkleider an hatte und auch wie ein Mann zu Pferde saß. Da die Knechte schon auseinander gingen und sie fast allein auf dem Flecke war, richtete ich mein Anliegen an sie. Meinen Wanderstab unter das Ränzlein stützend, zu ihr empor schauend und mir gleichsam die Strahlen der Abendröthe, die schief herein kamen, aus dem Gesichte streichend, sagte ich deutsch zu ihr: Guten Abend, Mutter.

Guten Abend, antwortete sie in derselben Sprache.

Gewährt mir eine Bitte und sagt: heißt jenes Gebäude Uwar?

Jenes Gebäude heißt nicht Uwar. Seid Ihr nach Uwar bestellt?

Allerdings. Ich habe dort meinen Reisefreund, den Major, zu besuchen, der mich dahin eingeladen hat.

So geht nur ein wenig neben meinem Rosse her.

Mit diesen Worten setzte sie ihr Pferd in Schritt und ritt langsam, damit ich ihr folgen konnte, zwischen den hohen grünen Maisbüscheln den Abhang hinan. Ich ging hinter ihr her und hatte Gelegenheit, meine Blicke auf die Umgebung richten zu können — und in der That, ich bekam immer mehr Ursache, mich zu ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0019"/>
die Erdlehne empor, die auch weiter entfernt war, als ich dachte, und                kam eben an, als bereits die ganze Glut der Abendröthe um die dunkeln wogenden                Maisfelder und die Gruppen bärtiger Knechte und um den Reiter loderte. Dieser aber                war nichts anderes als ein Weib, etwa vierzig Jahre alt, welches sonderbar genug die                weiten landesmäßigen Beinkleider an hatte und auch wie ein Mann zu Pferde saß. Da die                Knechte schon auseinander gingen und sie fast allein auf dem Flecke war, richtete ich                mein Anliegen an sie. Meinen Wanderstab unter das Ränzlein stützend, zu ihr empor                schauend und mir gleichsam die Strahlen der Abendröthe, die schief herein kamen, aus                dem Gesichte streichend, sagte ich deutsch zu ihr: Guten Abend, Mutter.</p><lb/>
        <p>Guten Abend, antwortete sie in derselben Sprache.</p><lb/>
        <p>Gewährt mir eine Bitte und sagt: heißt jenes Gebäude Uwar?</p><lb/>
        <p>Jenes Gebäude heißt nicht Uwar. Seid Ihr nach Uwar bestellt?</p><lb/>
        <p>Allerdings. Ich habe dort meinen Reisefreund, den Major, zu besuchen, der mich dahin                eingeladen hat.</p><lb/>
        <p>So geht nur ein wenig neben meinem Rosse her.</p><lb/>
        <p>Mit diesen Worten setzte sie ihr Pferd in Schritt und ritt langsam, damit ich ihr                folgen konnte, zwischen den hohen grünen Maisbüscheln den Abhang hinan. Ich ging                hinter ihr her und hatte Gelegenheit, meine Blicke auf die Umgebung richten zu können                &#x2014; und in der That, ich bekam immer mehr Ursache, mich zu ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] die Erdlehne empor, die auch weiter entfernt war, als ich dachte, und kam eben an, als bereits die ganze Glut der Abendröthe um die dunkeln wogenden Maisfelder und die Gruppen bärtiger Knechte und um den Reiter loderte. Dieser aber war nichts anderes als ein Weib, etwa vierzig Jahre alt, welches sonderbar genug die weiten landesmäßigen Beinkleider an hatte und auch wie ein Mann zu Pferde saß. Da die Knechte schon auseinander gingen und sie fast allein auf dem Flecke war, richtete ich mein Anliegen an sie. Meinen Wanderstab unter das Ränzlein stützend, zu ihr empor schauend und mir gleichsam die Strahlen der Abendröthe, die schief herein kamen, aus dem Gesichte streichend, sagte ich deutsch zu ihr: Guten Abend, Mutter. Guten Abend, antwortete sie in derselben Sprache. Gewährt mir eine Bitte und sagt: heißt jenes Gebäude Uwar? Jenes Gebäude heißt nicht Uwar. Seid Ihr nach Uwar bestellt? Allerdings. Ich habe dort meinen Reisefreund, den Major, zu besuchen, der mich dahin eingeladen hat. So geht nur ein wenig neben meinem Rosse her. Mit diesen Worten setzte sie ihr Pferd in Schritt und ritt langsam, damit ich ihr folgen konnte, zwischen den hohen grünen Maisbüscheln den Abhang hinan. Ich ging hinter ihr her und hatte Gelegenheit, meine Blicke auf die Umgebung richten zu können — und in der That, ich bekam immer mehr Ursache, mich zu ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:12:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:12:00Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910/19
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_brigitta_1910/19>, abgerufen am 21.11.2024.