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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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von Häusern oder Dörfern standen diese Bäume dich¬
ter, gleichsam wie in Wäldchen beisammen. Ich fragte
meinen Nachbar theils nach den Häusern theils nach
den Besizern der Felder.

"Die Felder von dem Kirschbaume gegen Sonnen¬
untergang hin bis zu der ersten Zeile von Obstbäu¬
men sind unser," sagte mein Begleiter. "Die wir von
dem Kirschbaum bis hieher durchwandert haben, ge¬
hören auch uns. Sie gehen noch bis zu jenen langen
Gebäuden, die ihr da unten seht, welche unsere Wirth¬
schaftsgebäude sind. Gegen Mitternacht erstrecken sie
sich, wenn ihr umsehen wollt, bis zu jenen Wiesen mit
den Erlenbüschen. Die Wiesen gehören auch uns,
und machen dort die Grenze unserer Besizungen. Im
Mittag gehören die Felder uns bis zur Einfriedigung
von Weißdorn, wo ihr die Straße verlassen habt.
Ihr könnt also sehen, daß ein nicht ganz geringer
Theil dieses Hügels von unserm Eigenthume bedeckt
ist. Wir sind von diesem Eigenthume umringt, wie
von einem Freunde, der nie wankt und nicht die Treue
bricht."

Mir fiel bei diesen Worten auf, daß er vom Eigen¬
thume immer die Ausdrücke uns und unser gebrauchte.
Ich dachte, er werde etwa eine Gattin oder auch Kin¬

Stifter, Nachsommer. 7

von Häuſern oder Dörfern ſtanden dieſe Bäume dich¬
ter, gleichſam wie in Wäldchen beiſammen. Ich fragte
meinen Nachbar theils nach den Häuſern theils nach
den Beſizern der Felder.

„Die Felder von dem Kirſchbaume gegen Sonnen¬
untergang hin bis zu der erſten Zeile von Obſtbäu¬
men ſind unſer,“ ſagte mein Begleiter. „Die wir von
dem Kirſchbaum bis hieher durchwandert haben, ge¬
hören auch uns. Sie gehen noch bis zu jenen langen
Gebäuden, die ihr da unten ſeht, welche unſere Wirth¬
ſchaftsgebäude ſind. Gegen Mitternacht erſtrecken ſie
ſich, wenn ihr umſehen wollt, bis zu jenen Wieſen mit
den Erlenbüſchen. Die Wieſen gehören auch uns,
und machen dort die Grenze unſerer Beſizungen. Im
Mittag gehören die Felder uns bis zur Einfriedigung
von Weißdorn, wo ihr die Straße verlaſſen habt.
Ihr könnt alſo ſehen, daß ein nicht ganz geringer
Theil dieſes Hügels von unſerm Eigenthume bedeckt
iſt. Wir ſind von dieſem Eigenthume umringt, wie
von einem Freunde, der nie wankt und nicht die Treue
bricht.“

Mir fiel bei dieſen Worten auf, daß er vom Eigen¬
thume immer die Ausdrücke uns und unſer gebrauchte.
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Stifter, Nachſommer. 7
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[97/0111] von Häuſern oder Dörfern ſtanden dieſe Bäume dich¬ ter, gleichſam wie in Wäldchen beiſammen. Ich fragte meinen Nachbar theils nach den Häuſern theils nach den Beſizern der Felder. „Die Felder von dem Kirſchbaume gegen Sonnen¬ untergang hin bis zu der erſten Zeile von Obſtbäu¬ men ſind unſer,“ ſagte mein Begleiter. „Die wir von dem Kirſchbaum bis hieher durchwandert haben, ge¬ hören auch uns. Sie gehen noch bis zu jenen langen Gebäuden, die ihr da unten ſeht, welche unſere Wirth¬ ſchaftsgebäude ſind. Gegen Mitternacht erſtrecken ſie ſich, wenn ihr umſehen wollt, bis zu jenen Wieſen mit den Erlenbüſchen. Die Wieſen gehören auch uns, und machen dort die Grenze unſerer Beſizungen. Im Mittag gehören die Felder uns bis zur Einfriedigung von Weißdorn, wo ihr die Straße verlaſſen habt. Ihr könnt alſo ſehen, daß ein nicht ganz geringer Theil dieſes Hügels von unſerm Eigenthume bedeckt iſt. Wir ſind von dieſem Eigenthume umringt, wie von einem Freunde, der nie wankt und nicht die Treue bricht.“ Mir fiel bei dieſen Worten auf, daß er vom Eigen¬ thume immer die Ausdrücke uns und unſer gebrauchte. Ich dachte, er werde etwa eine Gattin oder auch Kin¬ Stifter, Nachſommer. 7

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/111>, abgerufen am 12.05.2024.