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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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fragte: "Habt ihr nun diese Beobachtungen an den
Thieren, wie ihr sagtet, gemacht?"

"Auf Beobachtungen bin ich eigentlich nicht aus¬
gegangen," antwortete er; "aber da ich lange in die¬
sem Hause und in diesem Garten gelebt habe, hat sich
Manches zusammengefunden; aus dem Zusammenge¬
fundenen haben sich Schlüsse gebaut, und ich bin durch
diese Schlüsse umgekehrt wieder zu Betrachtungen ver¬
anlaßt worden. Viele Menschen, welche gewohnt sind,
sich und ihre Bestrebungen als den Mittelpunkt der
Welt zu betrachten, halten diese Dinge für klein; aber
bei Gott ist es nicht so; das ist nicht groß, an dem
wir vielmal unsern Maßstab umlegen können, und
das ist nicht klein, wofür wir keinen Maßstab mehr
haben. Das sehen wir daraus, weil er alles mit
gleicher Sorgfalt behandelt. Oft habe ich gedacht,
daß die Erforschung des Menschen und seines Trei¬
bens ja sogar seiner Geschichte nur ein anderer Zweig
der Naturwissenschaft sei, wenn er auch für uns Men¬
schen wichtiger ist, als er für Thiere wäre. Ich habe
zu einer Zeit Gelegenheit gehabt, in diesem Zweige
manches zu erfahren und mir einiges zu merken. Doch
ich will zu meinem Gegenstande zurückkehren. Von
dem, was die kleinen Thiere thun, wenn Regen oder

fragte: „Habt ihr nun dieſe Beobachtungen an den
Thieren, wie ihr ſagtet, gemacht?“

„Auf Beobachtungen bin ich eigentlich nicht aus¬
gegangen,“ antwortete er; „aber da ich lange in die¬
ſem Hauſe und in dieſem Garten gelebt habe, hat ſich
Manches zuſammengefunden; aus dem Zuſammenge¬
fundenen haben ſich Schlüſſe gebaut, und ich bin durch
dieſe Schlüſſe umgekehrt wieder zu Betrachtungen ver¬
anlaßt worden. Viele Menſchen, welche gewohnt ſind,
ſich und ihre Beſtrebungen als den Mittelpunkt der
Welt zu betrachten, halten dieſe Dinge für klein; aber
bei Gott iſt es nicht ſo; das iſt nicht groß, an dem
wir vielmal unſern Maßſtab umlegen können, und
das iſt nicht klein, wofür wir keinen Maßſtab mehr
haben. Das ſehen wir daraus, weil er alles mit
gleicher Sorgfalt behandelt. Oft habe ich gedacht,
daß die Erforſchung des Menſchen und ſeines Trei¬
bens ja ſogar ſeiner Geſchichte nur ein anderer Zweig
der Naturwiſſenſchaft ſei, wenn er auch für uns Men¬
ſchen wichtiger iſt, als er für Thiere wäre. Ich habe
zu einer Zeit Gelegenheit gehabt, in dieſem Zweige
manches zu erfahren und mir einiges zu merken. Doch
ich will zu meinem Gegenſtande zurückkehren. Von
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[182/0196] fragte: „Habt ihr nun dieſe Beobachtungen an den Thieren, wie ihr ſagtet, gemacht?“ „Auf Beobachtungen bin ich eigentlich nicht aus¬ gegangen,“ antwortete er; „aber da ich lange in die¬ ſem Hauſe und in dieſem Garten gelebt habe, hat ſich Manches zuſammengefunden; aus dem Zuſammenge¬ fundenen haben ſich Schlüſſe gebaut, und ich bin durch dieſe Schlüſſe umgekehrt wieder zu Betrachtungen ver¬ anlaßt worden. Viele Menſchen, welche gewohnt ſind, ſich und ihre Beſtrebungen als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, halten dieſe Dinge für klein; aber bei Gott iſt es nicht ſo; das iſt nicht groß, an dem wir vielmal unſern Maßſtab umlegen können, und das iſt nicht klein, wofür wir keinen Maßſtab mehr haben. Das ſehen wir daraus, weil er alles mit gleicher Sorgfalt behandelt. Oft habe ich gedacht, daß die Erforſchung des Menſchen und ſeines Trei¬ bens ja ſogar ſeiner Geſchichte nur ein anderer Zweig der Naturwiſſenſchaft ſei, wenn er auch für uns Men¬ ſchen wichtiger iſt, als er für Thiere wäre. Ich habe zu einer Zeit Gelegenheit gehabt, in dieſem Zweige manches zu erfahren und mir einiges zu merken. Doch ich will zu meinem Gegenſtande zurückkehren. Von dem, was die kleinen Thiere thun, wenn Regen oder

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/196>, abgerufen am 24.11.2024.