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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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die Gesellschaftsgaben in besonderem Maße verliehen
hat. Diese widmen sich aus innerem Antriebe den
Angelegenheiten der Menschen, erkennen sie auch am
sichersten, finden Freude in den Anordnungen, und
opfern oft ihr Leben für ihren Beruf. Aber in der
Zeit, in der sie ihr Leben opfern, sei sie lange oder
sei sie ein Augenblick, empfinden sie Freude, und diese
kömmt, weil sie ihrem innern Andrange nachgegeben
haben.

Gott hat uns auch nicht bei unseren Handlungen
den Nuzen als Zweck vorgezeichnet, weder den Nuzen
für uns noch für andere, sondern er hat der Ausübung
der Tugend einen eigenen Reiz und eine eigene Schön¬
heit gegeben, welchen Dingen die edlen Gemüther
nachstreben. Wer Gutes thut, weil das Gegentheil
dem menschlichen Geschlechte schädlich ist, der steht auf
der Leiter der sittlichen Wesen schon ziemlich tief. Die¬
ser müßte zur Sünde greifen, sobald sie dem mensch¬
lichen Geschlechte oder ihm Nuzen bringt. Solche
Menschen sind es auch, denen alle Mittel gelten, und
die für das Vaterland für ihre Familie und für sich
selber das Schlechte thun. Solche hat man zu Zeiten,
wo sie im Großen wirkten, Staatsmänner geheißen,
sie sind aber nur Afterstaatsmänner, und der augen¬

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die Geſellſchaftsgaben in beſonderem Maße verliehen
hat. Dieſe widmen ſich aus innerem Antriebe den
Angelegenheiten der Menſchen, erkennen ſie auch am
ſicherſten, finden Freude in den Anordnungen, und
opfern oft ihr Leben für ihren Beruf. Aber in der
Zeit, in der ſie ihr Leben opfern, ſei ſie lange oder
ſei ſie ein Augenblick, empfinden ſie Freude, und dieſe
kömmt, weil ſie ihrem innern Andrange nachgegeben
haben.

Gott hat uns auch nicht bei unſeren Handlungen
den Nuzen als Zweck vorgezeichnet, weder den Nuzen
für uns noch für andere, ſondern er hat der Ausübung
der Tugend einen eigenen Reiz und eine eigene Schön¬
heit gegeben, welchen Dingen die edlen Gemüther
nachſtreben. Wer Gutes thut, weil das Gegentheil
dem menſchlichen Geſchlechte ſchädlich iſt, der ſteht auf
der Leiter der ſittlichen Weſen ſchon ziemlich tief. Die¬
ſer müßte zur Sünde greifen, ſobald ſie dem menſch¬
lichen Geſchlechte oder ihm Nuzen bringt. Solche
Menſchen ſind es auch, denen alle Mittel gelten, und
die für das Vaterland für ihre Familie und für ſich
ſelber das Schlechte thun. Solche hat man zu Zeiten,
wo ſie im Großen wirkten, Staatsmänner geheißen,
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[19/0033] die Geſellſchaftsgaben in beſonderem Maße verliehen hat. Dieſe widmen ſich aus innerem Antriebe den Angelegenheiten der Menſchen, erkennen ſie auch am ſicherſten, finden Freude in den Anordnungen, und opfern oft ihr Leben für ihren Beruf. Aber in der Zeit, in der ſie ihr Leben opfern, ſei ſie lange oder ſei ſie ein Augenblick, empfinden ſie Freude, und dieſe kömmt, weil ſie ihrem innern Andrange nachgegeben haben. Gott hat uns auch nicht bei unſeren Handlungen den Nuzen als Zweck vorgezeichnet, weder den Nuzen für uns noch für andere, ſondern er hat der Ausübung der Tugend einen eigenen Reiz und eine eigene Schön¬ heit gegeben, welchen Dingen die edlen Gemüther nachſtreben. Wer Gutes thut, weil das Gegentheil dem menſchlichen Geſchlechte ſchädlich iſt, der ſteht auf der Leiter der ſittlichen Weſen ſchon ziemlich tief. Die¬ ſer müßte zur Sünde greifen, ſobald ſie dem menſch¬ lichen Geſchlechte oder ihm Nuzen bringt. Solche Menſchen ſind es auch, denen alle Mittel gelten, und die für das Vaterland für ihre Familie und für ſich ſelber das Schlechte thun. Solche hat man zu Zeiten, wo ſie im Großen wirkten, Staatsmänner geheißen, ſie ſind aber nur Afterſtaatsmänner, und der augen¬ 2 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/33>, abgerufen am 28.04.2024.