noch nach der Sitte unserer Vorältern in dem Raume zerstreut. An dem Mittelfelde waren in gezierten Rahmen zwei Flügel, auf welchen Bilder in halberha¬ bener Arbeit sich befanden: die Verkündigung des Engels, die Geburt des Heilandes, die Opferung der drei Könige, und der Tod Marias. Oberhalb des Mittelstückes war ein Giebel mit der emporstrebenden durchbrochenen Arbeit, die man, wie Eustach meint, fälschlich die gothische nennt, da sie vielmehr mittel¬ alterlich deutsch sei. In diese durchbrochene Arbeit waren mehrere Gestalten eingestreut. Zu beiden Sei¬ ten hinter den Flügeln standen die Gestalten des hei¬ ligen Florian und des heiligen Georg in mittelalter¬ licher Ritterrüstung empor. Der heilige Florian hatte das Sinnbild des brennenden Hauses und der heilige Georg das des Drachen zu seinen Füßen. Eustach be¬ hauptete, daß sich nur aus der Ansicht eines Sinn¬ bildes die Kleinheit solcher Beigaben zu alterthümli¬ chen Gestalten erkläre, da unsere kunstsinnigen Alt¬ vordern gewiß nicht den großen Fehler der Unver¬ hältnißmäßigkeit der Körper der Gegenstände gemacht haben würden. Mein Gastfreund sagte, ohne die Meinung Eustachs verwerfen zu wollen, daß man die Sache auch etwa so auslegen könne, daß man
noch nach der Sitte unſerer Vorältern in dem Raume zerſtreut. An dem Mittelfelde waren in gezierten Rahmen zwei Flügel, auf welchen Bilder in halberha¬ bener Arbeit ſich befanden: die Verkündigung des Engels, die Geburt des Heilandes, die Opferung der drei Könige, und der Tod Marias. Oberhalb des Mittelſtückes war ein Giebel mit der emporſtrebenden durchbrochenen Arbeit, die man, wie Euſtach meint, fälſchlich die gothiſche nennt, da ſie vielmehr mittel¬ alterlich deutſch ſei. In dieſe durchbrochene Arbeit waren mehrere Geſtalten eingeſtreut. Zu beiden Sei¬ ten hinter den Flügeln ſtanden die Geſtalten des hei¬ ligen Florian und des heiligen Georg in mittelalter¬ licher Ritterrüſtung empor. Der heilige Florian hatte das Sinnbild des brennenden Hauſes und der heilige Georg das des Drachen zu ſeinen Füßen. Euſtach be¬ hauptete, daß ſich nur aus der Anſicht eines Sinn¬ bildes die Kleinheit ſolcher Beigaben zu alterthümli¬ chen Geſtalten erkläre, da unſere kunſtſinnigen Alt¬ vordern gewiß nicht den großen Fehler der Unver¬ hältnißmäßigkeit der Körper der Gegenſtände gemacht haben würden. Mein Gaſtfreund ſagte, ohne die Meinung Euſtachs verwerfen zu wollen, daß man die Sache auch etwa ſo auslegen könne, daß man
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noch nach der Sitte unſerer Vorältern in dem Raume
zerſtreut. An dem Mittelfelde waren in gezierten
Rahmen zwei Flügel, auf welchen Bilder in halberha¬
bener Arbeit ſich befanden: die Verkündigung des
Engels, die Geburt des Heilandes, die Opferung der
drei Könige, und der Tod Marias. Oberhalb des
Mittelſtückes war ein Giebel mit der emporſtrebenden
durchbrochenen Arbeit, die man, wie Euſtach meint,
fälſchlich die gothiſche nennt, da ſie vielmehr mittel¬
alterlich deutſch ſei. In dieſe durchbrochene Arbeit
waren mehrere Geſtalten eingeſtreut. Zu beiden Sei¬
ten hinter den Flügeln ſtanden die Geſtalten des hei¬
ligen Florian und des heiligen Georg in mittelalter¬
licher Ritterrüſtung empor. Der heilige Florian hatte
das Sinnbild des brennenden Hauſes und der heilige
Georg das des Drachen zu ſeinen Füßen. Euſtach be¬
hauptete, daß ſich nur aus der Anſicht eines Sinn¬
bildes die Kleinheit ſolcher Beigaben zu alterthümli¬
chen Geſtalten erkläre, da unſere kunſtſinnigen Alt¬
vordern gewiß nicht den großen Fehler der Unver¬
hältnißmäßigkeit der Körper der Gegenſtände gemacht
haben würden. Mein Gaſtfreund ſagte, ohne die
Meinung Euſtachs verwerfen zu wollen, daß man
die Sache auch etwa ſo auslegen könne, daß man
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/459>, abgerufen am 22.11.2024.
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