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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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ging auf der entgegengesezten Seite wieder in das
Thal hinab. Ich erklomm manchen Gipfel, und suchte
von ihm die Gegend zu sehen, und auch schon die
Richtung zu erspähen, in welcher ich in nächster Zeit
vordringen würde. Im Ganzen hielt ich mich stets, so¬
weit es anging, nach dem Hauptzuge des Gebirges, und
wich von der Wasserscheide so wenig als möglich ab.

In einem Thale an einem sehr klaren Wasser sah
ich einmal einen todten Hirsch. Er war gejagt wor¬
den, eine Kugel hatte seine Seite getroffen, und er
mochte das frische Wasser gesucht haben, um seinen
Schmerz zu kühlen. Er war aber an dem Wasser ge¬
storben. Jezt lag er an demselben so, daß sein Haupt
in den Sand gebettet war, und seine Vorderfüße in
die reine Fluth ragten. Ringsum war kein leben¬
diges Wesen zu sehen. Das Thier gefiel mir so, daß
ich seine Schönheit bewunderte, und mit ihm großes
Mitleid empfand. Sein Auge war noch kaum ge¬
brochen, es glänzte noch in einem schmerzlichen Glanze,
und dasselbe, so wie das Antliz, das mir fast spre¬
chend erschien, war gleichsam ein Vorwurf gegen seine
Mörder. Ich grif den Hirsch an, er war noch nicht
kalt. Als ich eine Weile bei dem todten Thiere ge¬
standen war, hörte ich Laute in den Wäldern des

ging auf der entgegengeſezten Seite wieder in das
Thal hinab. Ich erklomm manchen Gipfel, und ſuchte
von ihm die Gegend zu ſehen, und auch ſchon die
Richtung zu erſpähen, in welcher ich in nächſter Zeit
vordringen würde. Im Ganzen hielt ich mich ſtets, ſo¬
weit es anging, nach dem Hauptzuge des Gebirges, und
wich von der Waſſerſcheide ſo wenig als möglich ab.

In einem Thale an einem ſehr klaren Waſſer ſah
ich einmal einen todten Hirſch. Er war gejagt wor¬
den, eine Kugel hatte ſeine Seite getroffen, und er
mochte das friſche Waſſer geſucht haben, um ſeinen
Schmerz zu kühlen. Er war aber an dem Waſſer ge¬
ſtorben. Jezt lag er an demſelben ſo, daß ſein Haupt
in den Sand gebettet war, und ſeine Vorderfüße in
die reine Fluth ragten. Ringsum war kein leben¬
diges Weſen zu ſehen. Das Thier gefiel mir ſo, daß
ich ſeine Schönheit bewunderte, und mit ihm großes
Mitleid empfand. Sein Auge war noch kaum ge¬
brochen, es glänzte noch in einem ſchmerzlichen Glanze,
und daſſelbe, ſo wie das Antliz, das mir faſt ſpre¬
chend erſchien, war gleichſam ein Vorwurf gegen ſeine
Mörder. Ich grif den Hirſch an, er war noch nicht
kalt. Als ich eine Weile bei dem todten Thiere ge¬
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[46/0060] ging auf der entgegengeſezten Seite wieder in das Thal hinab. Ich erklomm manchen Gipfel, und ſuchte von ihm die Gegend zu ſehen, und auch ſchon die Richtung zu erſpähen, in welcher ich in nächſter Zeit vordringen würde. Im Ganzen hielt ich mich ſtets, ſo¬ weit es anging, nach dem Hauptzuge des Gebirges, und wich von der Waſſerſcheide ſo wenig als möglich ab. In einem Thale an einem ſehr klaren Waſſer ſah ich einmal einen todten Hirſch. Er war gejagt wor¬ den, eine Kugel hatte ſeine Seite getroffen, und er mochte das friſche Waſſer geſucht haben, um ſeinen Schmerz zu kühlen. Er war aber an dem Waſſer ge¬ ſtorben. Jezt lag er an demſelben ſo, daß ſein Haupt in den Sand gebettet war, und ſeine Vorderfüße in die reine Fluth ragten. Ringsum war kein leben¬ diges Weſen zu ſehen. Das Thier gefiel mir ſo, daß ich ſeine Schönheit bewunderte, und mit ihm großes Mitleid empfand. Sein Auge war noch kaum ge¬ brochen, es glänzte noch in einem ſchmerzlichen Glanze, und daſſelbe, ſo wie das Antliz, das mir faſt ſpre¬ chend erſchien, war gleichſam ein Vorwurf gegen ſeine Mörder. Ich grif den Hirſch an, er war noch nicht kalt. Als ich eine Weile bei dem todten Thiere ge¬ ſtanden war, hörte ich Laute in den Wäldern des

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/60>, abgerufen am 21.11.2024.