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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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Ich machte in Hinsicht des lezten Umstandes eine
Bemerkung.

"Habt ihr denn nie eine jener alten Frauen ge¬
sehen," sagte mein Begleiter, "die in ihrer Jugend sehr
schön gewesen waren, und sich lange kräftig erhalten
haben. Sie gleichen diesen Rosen. Wenn sie selbst
schon unzählige kleine Falten in ihrem Angesichte haben,
so ist doch noch zwischen den Falten die Anmuth herr¬
schend und eine sehr schöne liebe Farbe."

Ich antwortete, daß ich das noch nie beobachtet
hätte, und wir gingen weiter.

Es waren außer den Rosen noch andere Blumen
im Garten. Ganze Beete von Aurikeln standen an
schattigen Orten. Sie waren wohl längst verblüht,
aber ihre starken grünen Blätter zeigten, daß sie in
guter Pflege waren. Hie und da stand eine Lilie an
einer einsamen Stelle, und wohl entwickelte Nelken
prangten in Töpfen auf einem eigenen Schragen, an
dem Vorrichtungen angebracht waren, die Blumen
vor Sonne zu bewahren. Sie waren noch nicht auf¬
geblüht, aber die Knospen waren weit vorgerückt,
und ließen treffliche Blumen ahnen. Es mochten nur
die auserwählten auf dem Schragen stehen; denn ich
sah die Schule dieser Pflanzen, als wir etwas weiter

Ich machte in Hinſicht des lezten Umſtandes eine
Bemerkung.

„Habt ihr denn nie eine jener alten Frauen ge¬
ſehen,“ ſagte mein Begleiter, „die in ihrer Jugend ſehr
ſchön geweſen waren, und ſich lange kräftig erhalten
haben. Sie gleichen dieſen Roſen. Wenn ſie ſelbſt
ſchon unzählige kleine Falten in ihrem Angeſichte haben,
ſo iſt doch noch zwiſchen den Falten die Anmuth herr¬
ſchend und eine ſehr ſchöne liebe Farbe.“

Ich antwortete, daß ich das noch nie beobachtet
hätte, und wir gingen weiter.

Es waren außer den Roſen noch andere Blumen
im Garten. Ganze Beete von Aurikeln ſtanden an
ſchattigen Orten. Sie waren wohl längſt verblüht,
aber ihre ſtarken grünen Blätter zeigten, daß ſie in
guter Pflege waren. Hie und da ſtand eine Lilie an
einer einſamen Stelle, und wohl entwickelte Nelken
prangten in Töpfen auf einem eigenen Schragen, an
dem Vorrichtungen angebracht waren, die Blumen
vor Sonne zu bewahren. Sie waren noch nicht auf¬
geblüht, aber die Knospen waren weit vorgerückt,
und ließen treffliche Blumen ahnen. Es mochten nur
die auserwählten auf dem Schragen ſtehen; denn ich
ſah die Schule dieſer Pflanzen, als wir etwas weiter

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[85/0099] Ich machte in Hinſicht des lezten Umſtandes eine Bemerkung. „Habt ihr denn nie eine jener alten Frauen ge¬ ſehen,“ ſagte mein Begleiter, „die in ihrer Jugend ſehr ſchön geweſen waren, und ſich lange kräftig erhalten haben. Sie gleichen dieſen Roſen. Wenn ſie ſelbſt ſchon unzählige kleine Falten in ihrem Angeſichte haben, ſo iſt doch noch zwiſchen den Falten die Anmuth herr¬ ſchend und eine ſehr ſchöne liebe Farbe.“ Ich antwortete, daß ich das noch nie beobachtet hätte, und wir gingen weiter. Es waren außer den Roſen noch andere Blumen im Garten. Ganze Beete von Aurikeln ſtanden an ſchattigen Orten. Sie waren wohl längſt verblüht, aber ihre ſtarken grünen Blätter zeigten, daß ſie in guter Pflege waren. Hie und da ſtand eine Lilie an einer einſamen Stelle, und wohl entwickelte Nelken prangten in Töpfen auf einem eigenen Schragen, an dem Vorrichtungen angebracht waren, die Blumen vor Sonne zu bewahren. Sie waren noch nicht auf¬ geblüht, aber die Knospen waren weit vorgerückt, und ließen treffliche Blumen ahnen. Es mochten nur die auserwählten auf dem Schragen ſtehen; denn ich ſah die Schule dieſer Pflanzen, als wir etwas weiter

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/99>, abgerufen am 24.11.2024.