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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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und ihrem Pflanzenschmucke dem Künstler ein Ath¬
mendes; denn sonst wird sie ihm ein Erstarrendes --
darstellt, so muß sie diese Gegenstände so darstellen,
daß es dem Beschauer erscheint, sie könnten sich im
nächsten Augenblicke bewegen. Ich will hier wieder
aus dem Alterthume ein Beispiel anführen. Alle
Stoffe, mit welchen Menschen sich bekleiden, nehmen
nach der Art der Bewegungen, denen sich verschiedene
Menschen gerne hingeben, verschiedene Gestaltungen
an. Ein Freund von mir erkannte einen alten wohl¬
bekannten und trefflichen Schauspieler einmal bei
einer Gelegenheit, bei welcher er nur ein Stück des
Rockes des Schauspielers sehen konnte. Wenn nun
die Gestaltungen der Stoffe, die sich meistens in Fal¬
ten kund geben, nach der Wirklichkeit nachgebildet
werden, nicht nach willkürlichen Zurechtlegungen, die
man nach herkömmlichen Schönheitsgesezen an der
Gliederpuppe macht, so liegt in diesen nachgebildeten
Gestaltungen zuerst eine bestimmte Eigenthümlichkeit
und Einzelheit, die den Gegenstand sinnlich hinstellt,
und dann drückt die Gestaltung nicht blos den Zu¬
stand aus, in dem sie gegenwärtig ist, sondern sie
weist auch auf den zurück, der unmittelbar vorher
war, und von dem sich die Gebilde noch leise vorfin¬

und ihrem Pflanzenſchmucke dem Künſtler ein Ath¬
mendes; denn ſonſt wird ſie ihm ein Erſtarrendes —
darſtellt, ſo muß ſie dieſe Gegenſtände ſo darſtellen,
daß es dem Beſchauer erſcheint, ſie könnten ſich im
nächſten Augenblicke bewegen. Ich will hier wieder
aus dem Alterthume ein Beiſpiel anführen. Alle
Stoffe, mit welchen Menſchen ſich bekleiden, nehmen
nach der Art der Bewegungen, denen ſich verſchiedene
Menſchen gerne hingeben, verſchiedene Geſtaltungen
an. Ein Freund von mir erkannte einen alten wohl¬
bekannten und trefflichen Schauſpieler einmal bei
einer Gelegenheit, bei welcher er nur ein Stück des
Rockes des Schauſpielers ſehen konnte. Wenn nun
die Geſtaltungen der Stoffe, die ſich meiſtens in Fal¬
ten kund geben, nach der Wirklichkeit nachgebildet
werden, nicht nach willkürlichen Zurechtlegungen, die
man nach herkömmlichen Schönheitsgeſezen an der
Gliederpuppe macht, ſo liegt in dieſen nachgebildeten
Geſtaltungen zuerſt eine beſtimmte Eigenthümlichkeit
und Einzelheit, die den Gegenſtand ſinnlich hinſtellt,
und dann drückt die Geſtaltung nicht blos den Zu¬
ſtand aus, in dem ſie gegenwärtig iſt, ſondern ſie
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[130/0144] und ihrem Pflanzenſchmucke dem Künſtler ein Ath¬ mendes; denn ſonſt wird ſie ihm ein Erſtarrendes — darſtellt, ſo muß ſie dieſe Gegenſtände ſo darſtellen, daß es dem Beſchauer erſcheint, ſie könnten ſich im nächſten Augenblicke bewegen. Ich will hier wieder aus dem Alterthume ein Beiſpiel anführen. Alle Stoffe, mit welchen Menſchen ſich bekleiden, nehmen nach der Art der Bewegungen, denen ſich verſchiedene Menſchen gerne hingeben, verſchiedene Geſtaltungen an. Ein Freund von mir erkannte einen alten wohl¬ bekannten und trefflichen Schauſpieler einmal bei einer Gelegenheit, bei welcher er nur ein Stück des Rockes des Schauſpielers ſehen konnte. Wenn nun die Geſtaltungen der Stoffe, die ſich meiſtens in Fal¬ ten kund geben, nach der Wirklichkeit nachgebildet werden, nicht nach willkürlichen Zurechtlegungen, die man nach herkömmlichen Schönheitsgeſezen an der Gliederpuppe macht, ſo liegt in dieſen nachgebildeten Geſtaltungen zuerſt eine beſtimmte Eigenthümlichkeit und Einzelheit, die den Gegenſtand ſinnlich hinſtellt, und dann drückt die Geſtaltung nicht blos den Zu¬ ſtand aus, in dem ſie gegenwärtig iſt, ſondern ſie weist auch auf den zurück, der unmittelbar vorher war, und von dem ſich die Gebilde noch leiſe vorfin¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/144>, abgerufen am 21.11.2024.