als ich bei der Abbildung meiner naturwissenschaft¬ lichen Gegenstände geschritten war, von denen ich alle Einzelheiten, so weit es nur immer möglich gewesen war, zu geben gesucht hatte. Dies wäre, wie ich ein¬ sah, der Kunst hinderlich gewesen, und statt einen ruhigen Gesammteindruck zu erzielen, wäre sie in lau¬ ter Einzelheiten zerfallen. Die Meister, welche mein Gastfreund in seiner Sammlung besaß, verstanden es, das Einzelne der Natur in großen Zügen zu fassen, und mit einfachen Mitteln -- oft mit einem einzigen Pinselstriche -- darzustellen, so daß man die kleinsten Merkmale zu erblicken wähnte, bei näherer Betrach¬ tung aber sah, daß sie nur der Erfolg einer großen und allgemeinen Behandlung waren. Diese große Behandlung sicherte ihnen aber auch Wirkungen im Großen, die dem entgehen, welcher die kleinsten Glie¬ derungen in ihren kleinsten Theilen bildet. Ich sah erst jezt, welche schöne Gestalten aus dem menschlichen Geschlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel ihre Glieder sind, wie manigfaltig -- strahlend kräf¬ tig geistvoll milde -- ihr Antliz, wie adelig ihre Ge¬ wänder, und wäre es eine Bettlerjacke, und wie tref¬ fend die Umgebung. Ich sah, daß die Farbe der An¬ gesichter und anderer Theile das leuchtende Licht
10 *
als ich bei der Abbildung meiner naturwiſſenſchaft¬ lichen Gegenſtände geſchritten war, von denen ich alle Einzelheiten, ſo weit es nur immer möglich geweſen war, zu geben geſucht hatte. Dies wäre, wie ich ein¬ ſah, der Kunſt hinderlich geweſen, und ſtatt einen ruhigen Geſammteindruck zu erzielen, wäre ſie in lau¬ ter Einzelheiten zerfallen. Die Meiſter, welche mein Gaſtfreund in ſeiner Sammlung beſaß, verſtanden es, das Einzelne der Natur in großen Zügen zu faſſen, und mit einfachen Mitteln — oft mit einem einzigen Pinſelſtriche — darzuſtellen, ſo daß man die kleinſten Merkmale zu erblicken wähnte, bei näherer Betrach¬ tung aber ſah, daß ſie nur der Erfolg einer großen und allgemeinen Behandlung waren. Dieſe große Behandlung ſicherte ihnen aber auch Wirkungen im Großen, die dem entgehen, welcher die kleinſten Glie¬ derungen in ihren kleinſten Theilen bildet. Ich ſah erſt jezt, welche ſchöne Geſtalten aus dem menſchlichen Geſchlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel ihre Glieder ſind, wie manigfaltig — ſtrahlend kräf¬ tig geiſtvoll milde — ihr Antliz, wie adelig ihre Ge¬ wänder, und wäre es eine Bettlerjacke, und wie tref¬ fend die Umgebung. Ich ſah, daß die Farbe der An¬ geſichter und anderer Theile das leuchtende Licht
10 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0161"n="147"/>
als ich bei der Abbildung meiner naturwiſſenſchaft¬<lb/>
lichen Gegenſtände geſchritten war, von denen ich alle<lb/>
Einzelheiten, ſo weit es nur immer möglich geweſen<lb/>
war, zu geben geſucht hatte. Dies wäre, wie ich ein¬<lb/>ſah, der Kunſt hinderlich geweſen, und ſtatt einen<lb/>
ruhigen Geſammteindruck zu erzielen, wäre ſie in lau¬<lb/>
ter Einzelheiten zerfallen. Die Meiſter, welche mein<lb/>
Gaſtfreund in ſeiner Sammlung beſaß, verſtanden es,<lb/>
das Einzelne der Natur in großen Zügen zu faſſen,<lb/>
und mit einfachen Mitteln — oft mit einem einzigen<lb/>
Pinſelſtriche — darzuſtellen, ſo daß man die kleinſten<lb/>
Merkmale zu erblicken wähnte, bei näherer Betrach¬<lb/>
tung aber ſah, daß ſie nur der Erfolg einer großen<lb/>
und allgemeinen Behandlung waren. Dieſe große<lb/>
Behandlung ſicherte ihnen aber auch Wirkungen im<lb/>
Großen, die dem entgehen, welcher die kleinſten Glie¬<lb/>
derungen in ihren kleinſten Theilen bildet. Ich ſah<lb/>
erſt jezt, welche ſchöne Geſtalten aus dem menſchlichen<lb/>
Geſchlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel<lb/>
ihre Glieder ſind, wie manigfaltig —ſtrahlend kräf¬<lb/>
tig geiſtvoll milde — ihr Antliz, wie adelig ihre Ge¬<lb/>
wänder, und wäre es eine Bettlerjacke, und wie tref¬<lb/>
fend die Umgebung. Ich ſah, daß die Farbe der An¬<lb/>
geſichter und anderer Theile das leuchtende Licht<lb/><fwplace="bottom"type="sig">10 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[147/0161]
als ich bei der Abbildung meiner naturwiſſenſchaft¬
lichen Gegenſtände geſchritten war, von denen ich alle
Einzelheiten, ſo weit es nur immer möglich geweſen
war, zu geben geſucht hatte. Dies wäre, wie ich ein¬
ſah, der Kunſt hinderlich geweſen, und ſtatt einen
ruhigen Geſammteindruck zu erzielen, wäre ſie in lau¬
ter Einzelheiten zerfallen. Die Meiſter, welche mein
Gaſtfreund in ſeiner Sammlung beſaß, verſtanden es,
das Einzelne der Natur in großen Zügen zu faſſen,
und mit einfachen Mitteln — oft mit einem einzigen
Pinſelſtriche — darzuſtellen, ſo daß man die kleinſten
Merkmale zu erblicken wähnte, bei näherer Betrach¬
tung aber ſah, daß ſie nur der Erfolg einer großen
und allgemeinen Behandlung waren. Dieſe große
Behandlung ſicherte ihnen aber auch Wirkungen im
Großen, die dem entgehen, welcher die kleinſten Glie¬
derungen in ihren kleinſten Theilen bildet. Ich ſah
erſt jezt, welche ſchöne Geſtalten aus dem menſchlichen
Geſchlechte auf der Malerleinwand lebten, wie edel
ihre Glieder ſind, wie manigfaltig — ſtrahlend kräf¬
tig geiſtvoll milde — ihr Antliz, wie adelig ihre Ge¬
wänder, und wäre es eine Bettlerjacke, und wie tref¬
fend die Umgebung. Ich ſah, daß die Farbe der An¬
geſichter und anderer Theile das leuchtende Licht
10 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/161>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.