der und ehrfurchterweckender. Die Ausführung dieser Abbildungen zeigte sich so rein so entwickelt und folge¬ richtig, daß man nirgends, auch nicht im Kleinsten, versucht wurde, zu denken, daß etwas fehle, ja daß man im Gegentheile die Gebilde wie Naturnothwen¬ digkeiten ansah, und daß einem in der Erinnerung an spätere Werke war, diese seien kindliche Anfänge und Versuche. Die Künstler haben also große und ein¬ fache Schönheitsbegriffe gehabt, sie haben sich diese aus der Schönheit ihrer Umgebung genommen, und diese Schönheit der Umgebung durch ihre Schön¬ heitsbegriffe wieder verschönert. So sehr mir die Bilder des Vaters gefielen, so sehr mir die Bilder meines Gastfreundes gefallen hatten, so sehr wurde ich, wie ich durch die Marmorgestalt meines Gast¬ freundes ernster und höher gestimmt worden war als durch seine Bilder, auch durch die geschnittnen Steine meines Vaters ernster und höher gestimmt als durch seine Bilder. Er mußte das fühlen. Er sagte nach einer Weile, da wir die Steine angeschaut hat¬ ten, da ich mich in dieselben vertieft, und manchen mehrere Male in meine Hände genommen hatte: "Das, was die Griechen in der Bildnerei geschaffen haben, ist das Schönste, welches auf der Welt be¬
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der und ehrfurchterweckender. Die Ausführung dieſer Abbildungen zeigte ſich ſo rein ſo entwickelt und folge¬ richtig, daß man nirgends, auch nicht im Kleinſten, verſucht wurde, zu denken, daß etwas fehle, ja daß man im Gegentheile die Gebilde wie Naturnothwen¬ digkeiten anſah, und daß einem in der Erinnerung an ſpätere Werke war, dieſe ſeien kindliche Anfänge und Verſuche. Die Künſtler haben alſo große und ein¬ fache Schönheitsbegriffe gehabt, ſie haben ſich dieſe aus der Schönheit ihrer Umgebung genommen, und dieſe Schönheit der Umgebung durch ihre Schön¬ heitsbegriffe wieder verſchönert. So ſehr mir die Bilder des Vaters gefielen, ſo ſehr mir die Bilder meines Gaſtfreundes gefallen hatten, ſo ſehr wurde ich, wie ich durch die Marmorgeſtalt meines Gaſt¬ freundes ernſter und höher geſtimmt worden war als durch ſeine Bilder, auch durch die geſchnittnen Steine meines Vaters ernſter und höher geſtimmt als durch ſeine Bilder. Er mußte das fühlen. Er ſagte nach einer Weile, da wir die Steine angeſchaut hat¬ ten, da ich mich in dieſelben vertieft, und manchen mehrere Male in meine Hände genommen hatte: „Das, was die Griechen in der Bildnerei geſchaffen haben, iſt das Schönſte, welches auf der Welt be¬
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der und ehrfurchterweckender. Die Ausführung dieſer
Abbildungen zeigte ſich ſo rein ſo entwickelt und folge¬
richtig, daß man nirgends, auch nicht im Kleinſten,
verſucht wurde, zu denken, daß etwas fehle, ja daß
man im Gegentheile die Gebilde wie Naturnothwen¬
digkeiten anſah, und daß einem in der Erinnerung an
ſpätere Werke war, dieſe ſeien kindliche Anfänge und
Verſuche. Die Künſtler haben alſo große und ein¬
fache Schönheitsbegriffe gehabt, ſie haben ſich dieſe
aus der Schönheit ihrer Umgebung genommen, und
dieſe Schönheit der Umgebung durch ihre Schön¬
heitsbegriffe wieder verſchönert. So ſehr mir die
Bilder des Vaters gefielen, ſo ſehr mir die Bilder
meines Gaſtfreundes gefallen hatten, ſo ſehr wurde
ich, wie ich durch die Marmorgeſtalt meines Gaſt¬
freundes ernſter und höher geſtimmt worden war
als durch ſeine Bilder, auch durch die geſchnittnen
Steine meines Vaters ernſter und höher geſtimmt als
durch ſeine Bilder. Er mußte das fühlen. Er ſagte
nach einer Weile, da wir die Steine angeſchaut hat¬
ten, da ich mich in dieſelben vertieft, und manchen
mehrere Male in meine Hände genommen hatte:
„Das, was die Griechen in der Bildnerei geſchaffen
haben, iſt das Schönſte, welches auf der Welt be¬
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/257>, abgerufen am 22.11.2024.
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