Ich verlegte mich nach dieser gemachten Erfah¬ rung mit noch größerem Eifer auf die Kenntniß der Werke der bildenden Kunst. Ich lernte mich in die Bilder des Vaters bis in die kleinsten Einzelheiten hinein, und war zu diesem Zwecke sehr oft und zu¬ weilen lange in dem Bilderzimmer, ich besuchte alle größeren zugänglichen Sammlungen, und suchte deren Bilder zu ergründen, ich besah alle Bildnerwerke, die in unserer Stadt einen Ruf hatten, und strebte nach einer genauen Kenntniß ihrer Beschaffenheiten, ich las endlich namhafte Werke über die Kunst, und verglich meine Gedanken und Gefühle mit den in den Büchern gefundenen. Ich sprach viel mit meinem Vater über diese Gegenstände, wir näherten uns immer mehr, meine Empfindungen wurden stets inniger, und ich versenkte meine Seele in sie. Unsern Erzdom bewun¬ derte ich jezt in einem höheren Maße als in allen früheren Zeiten, und ich stand manche Stunde vor seinem ungeheuren Baue. Selbst die Gebilde der Ma¬ thematik, wenn ich wieder zu Zeiten etwas in ihr zu thun hatte, erschienen mir zuweilen schön und zierlich, was mir namentlich bei einigen französischen Mathe¬ matikern geschah. Das Malen schöner Köpfe sezte ich fort, und eben so wurde das Zeichnen und Malen
Ich verlegte mich nach dieſer gemachten Erfah¬ rung mit noch größerem Eifer auf die Kenntniß der Werke der bildenden Kunſt. Ich lernte mich in die Bilder des Vaters bis in die kleinſten Einzelheiten hinein, und war zu dieſem Zwecke ſehr oft und zu¬ weilen lange in dem Bilderzimmer, ich beſuchte alle größeren zugänglichen Sammlungen, und ſuchte deren Bilder zu ergründen, ich beſah alle Bildnerwerke, die in unſerer Stadt einen Ruf hatten, und ſtrebte nach einer genauen Kenntniß ihrer Beſchaffenheiten, ich las endlich namhafte Werke über die Kunſt, und verglich meine Gedanken und Gefühle mit den in den Büchern gefundenen. Ich ſprach viel mit meinem Vater über dieſe Gegenſtände, wir näherten uns immer mehr, meine Empfindungen wurden ſtets inniger, und ich verſenkte meine Seele in ſie. Unſern Erzdom bewun¬ derte ich jezt in einem höheren Maße als in allen früheren Zeiten, und ich ſtand manche Stunde vor ſeinem ungeheuren Baue. Selbſt die Gebilde der Ma¬ thematik, wenn ich wieder zu Zeiten etwas in ihr zu thun hatte, erſchienen mir zuweilen ſchön und zierlich, was mir namentlich bei einigen franzöſiſchen Mathe¬ matikern geſchah. Das Malen ſchöner Köpfe ſezte ich fort, und eben ſo wurde das Zeichnen und Malen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0265"n="251"/><p>Ich verlegte mich nach dieſer gemachten Erfah¬<lb/>
rung mit noch größerem Eifer auf die Kenntniß der<lb/>
Werke der bildenden Kunſt. Ich lernte mich in die<lb/>
Bilder des Vaters bis in die kleinſten Einzelheiten<lb/>
hinein, und war zu dieſem Zwecke ſehr oft und zu¬<lb/>
weilen lange in dem Bilderzimmer, ich beſuchte alle<lb/>
größeren zugänglichen Sammlungen, und ſuchte deren<lb/>
Bilder zu ergründen, ich beſah alle Bildnerwerke, die<lb/>
in unſerer Stadt einen Ruf hatten, und ſtrebte nach<lb/>
einer genauen Kenntniß ihrer Beſchaffenheiten, ich las<lb/>
endlich namhafte Werke über die Kunſt, und verglich<lb/>
meine Gedanken und Gefühle mit den in den Büchern<lb/>
gefundenen. Ich ſprach viel mit meinem Vater über<lb/>
dieſe Gegenſtände, wir näherten uns immer mehr,<lb/>
meine Empfindungen wurden ſtets inniger, und ich<lb/>
verſenkte meine Seele in ſie. Unſern Erzdom bewun¬<lb/>
derte ich jezt in einem höheren Maße als in allen<lb/>
früheren Zeiten, und ich ſtand manche Stunde vor<lb/>ſeinem ungeheuren Baue. Selbſt die Gebilde der Ma¬<lb/>
thematik, wenn ich wieder zu Zeiten etwas in ihr zu<lb/>
thun hatte, erſchienen mir zuweilen ſchön und zierlich,<lb/>
was mir namentlich bei einigen franzöſiſchen Mathe¬<lb/>
matikern geſchah. Das Malen ſchöner Köpfe ſezte ich<lb/>
fort, und eben ſo wurde das Zeichnen und Malen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[251/0265]
Ich verlegte mich nach dieſer gemachten Erfah¬
rung mit noch größerem Eifer auf die Kenntniß der
Werke der bildenden Kunſt. Ich lernte mich in die
Bilder des Vaters bis in die kleinſten Einzelheiten
hinein, und war zu dieſem Zwecke ſehr oft und zu¬
weilen lange in dem Bilderzimmer, ich beſuchte alle
größeren zugänglichen Sammlungen, und ſuchte deren
Bilder zu ergründen, ich beſah alle Bildnerwerke, die
in unſerer Stadt einen Ruf hatten, und ſtrebte nach
einer genauen Kenntniß ihrer Beſchaffenheiten, ich las
endlich namhafte Werke über die Kunſt, und verglich
meine Gedanken und Gefühle mit den in den Büchern
gefundenen. Ich ſprach viel mit meinem Vater über
dieſe Gegenſtände, wir näherten uns immer mehr,
meine Empfindungen wurden ſtets inniger, und ich
verſenkte meine Seele in ſie. Unſern Erzdom bewun¬
derte ich jezt in einem höheren Maße als in allen
früheren Zeiten, und ich ſtand manche Stunde vor
ſeinem ungeheuren Baue. Selbſt die Gebilde der Ma¬
thematik, wenn ich wieder zu Zeiten etwas in ihr zu
thun hatte, erſchienen mir zuweilen ſchön und zierlich,
was mir namentlich bei einigen franzöſiſchen Mathe¬
matikern geſchah. Das Malen ſchöner Köpfe ſezte ich
fort, und eben ſo wurde das Zeichnen und Malen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/265>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.