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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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mich mit einem Arme an seinen Stamm, und sah auf
die Gegend hinaus, auf die Felder auf die Obstbäume
und auf die Häuser der Menschen, dann wendete ich
mich wieder um, und schlug den Rückweg zu diesem
Bänklein ein."

"Wenn heiterer Himmel ist, und die Sonne
scheint, dann ist es in der Weite schön," sagte ich.

"Es ist wohl schön," erwiederte sie, "die Berge
gehen wie eine Kette mit silbernen Spizen dahin, die
Wälder sind ausgebreitet, die Felder tragen den Se¬
gen für die Menschen, und unter all den Dingen
liegt das Haus, in welchem die Mutter und der
Bruder und der väterliche Freund sind; aber ich gehe
auch an bewölkten Tagen auf den Hügel, oder an
solchen, an denen man nichts deutlich sehen kann. Als
Bestes bringt der Gang, daß man allein ist, ganz
allein, sich selber hingegeben. Thut ihr bei euren
Wanderungen nicht auch so, und wie erscheint denn
euch die Welt, die ihr zu erforschen trachtet?"

"Es war zu verschiedenen Zeiten verschieden,"
antwortete ich; "einmal war die Welt so klar als
schön, ich suchte Manches zu erkennen, zeichnete Man¬
ches, und schrieb mir Manches auf. Dann wurden
alle Dinge schwieriger, die wissenschaftlichen Auf¬

mich mit einem Arme an ſeinen Stamm, und ſah auf
die Gegend hinaus, auf die Felder auf die Obſtbäume
und auf die Häuſer der Menſchen, dann wendete ich
mich wieder um, und ſchlug den Rückweg zu dieſem
Bänklein ein.“

„Wenn heiterer Himmel iſt, und die Sonne
ſcheint, dann iſt es in der Weite ſchön,“ ſagte ich.

„Es iſt wohl ſchön,“ erwiederte ſie, „die Berge
gehen wie eine Kette mit ſilbernen Spizen dahin, die
Wälder ſind ausgebreitet, die Felder tragen den Se¬
gen für die Menſchen, und unter all den Dingen
liegt das Haus, in welchem die Mutter und der
Bruder und der väterliche Freund ſind; aber ich gehe
auch an bewölkten Tagen auf den Hügel, oder an
ſolchen, an denen man nichts deutlich ſehen kann. Als
Beſtes bringt der Gang, daß man allein iſt, ganz
allein, ſich ſelber hingegeben. Thut ihr bei euren
Wanderungen nicht auch ſo, und wie erſcheint denn
euch die Welt, die ihr zu erforſchen trachtet?“

„Es war zu verſchiedenen Zeiten verſchieden,“
antwortete ich; „einmal war die Welt ſo klar als
ſchön, ich ſuchte Manches zu erkennen, zeichnete Man¬
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[318/0332] mich mit einem Arme an ſeinen Stamm, und ſah auf die Gegend hinaus, auf die Felder auf die Obſtbäume und auf die Häuſer der Menſchen, dann wendete ich mich wieder um, und ſchlug den Rückweg zu dieſem Bänklein ein.“ „Wenn heiterer Himmel iſt, und die Sonne ſcheint, dann iſt es in der Weite ſchön,“ ſagte ich. „Es iſt wohl ſchön,“ erwiederte ſie, „die Berge gehen wie eine Kette mit ſilbernen Spizen dahin, die Wälder ſind ausgebreitet, die Felder tragen den Se¬ gen für die Menſchen, und unter all den Dingen liegt das Haus, in welchem die Mutter und der Bruder und der väterliche Freund ſind; aber ich gehe auch an bewölkten Tagen auf den Hügel, oder an ſolchen, an denen man nichts deutlich ſehen kann. Als Beſtes bringt der Gang, daß man allein iſt, ganz allein, ſich ſelber hingegeben. Thut ihr bei euren Wanderungen nicht auch ſo, und wie erſcheint denn euch die Welt, die ihr zu erforſchen trachtet?“ „Es war zu verſchiedenen Zeiten verſchieden,“ antwortete ich; „einmal war die Welt ſo klar als ſchön, ich ſuchte Manches zu erkennen, zeichnete Man¬ ches, und ſchrieb mir Manches auf. Dann wurden alle Dinge ſchwieriger, die wiſſenſchaftlichen Auf¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/332>, abgerufen am 22.11.2024.