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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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und sagte zu mir: "Ihr habt meiner Brunnennimphe
nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, als ihr solltet;
ihr zieht die Gestalt auf der Treppe unsers Freundes
zu sehr vor. Sie verdient es wohl; allein ihr müßt
doch die hiesige auch ein wenig genauer ansehen, und
sie mir ein wenig schön heißen."

"Ich habe sie schön geheißen," erwiederte ich, "und
wenn meine ganz unbedeutende Meinung etwas gilt,
so soll ihr die Anerkennung gewiß nicht entgehen."

"Wir besuchen nun ohnehin alle die Grotte," ent¬
gegnete sie.

Nach diesen Worten ging sie mit ihrer Begleiterin
auf dem Hauptwege gegen die Eppichwand vor, wir
folgten. Die anderen kamen in verschiedenen Rich¬
tungen herzu, und man ging zu der Marmorgestalt
in der Brunnenhalle.

Einige gingen hinein, andere blieben mehr am
Eingange stehen, und man redete über die Gestalt.
Diese ruhte indessen in ihrer Lage, und die Quelle
rann sanft und stettig fort. Es waren nur allgemeine
Dinge, welche über das Bildwerk gesprochen wurden.
Mir kam es fremd vor, die gepuzten Menschen in den
verschiedenfarbigen Kleidern vor dem reinen weißen

Stifter, Nachsommer. II. 22

und ſagte zu mir: „Ihr habt meiner Brunnennimphe
nicht ſo viel Aufmerkſamkeit geſchenkt, als ihr ſolltet;
ihr zieht die Geſtalt auf der Treppe unſers Freundes
zu ſehr vor. Sie verdient es wohl; allein ihr müßt
doch die hieſige auch ein wenig genauer anſehen, und
ſie mir ein wenig ſchön heißen.“

„Ich habe ſie ſchön geheißen,“ erwiederte ich, „und
wenn meine ganz unbedeutende Meinung etwas gilt,
ſo ſoll ihr die Anerkennung gewiß nicht entgehen.“

„Wir beſuchen nun ohnehin alle die Grotte,“ ent¬
gegnete ſie.

Nach dieſen Worten ging ſie mit ihrer Begleiterin
auf dem Hauptwege gegen die Eppichwand vor, wir
folgten. Die anderen kamen in verſchiedenen Rich¬
tungen herzu, und man ging zu der Marmorgeſtalt
in der Brunnenhalle.

Einige gingen hinein, andere blieben mehr am
Eingange ſtehen, und man redete über die Geſtalt.
Dieſe ruhte indeſſen in ihrer Lage, und die Quelle
rann ſanft und ſtettig fort. Es waren nur allgemeine
Dinge, welche über das Bildwerk geſprochen wurden.
Mir kam es fremd vor, die gepuzten Menſchen in den
verſchiedenfarbigen Kleidern vor dem reinen weißen

Stifter, Nachſommer. II. 22
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[337/0351] und ſagte zu mir: „Ihr habt meiner Brunnennimphe nicht ſo viel Aufmerkſamkeit geſchenkt, als ihr ſolltet; ihr zieht die Geſtalt auf der Treppe unſers Freundes zu ſehr vor. Sie verdient es wohl; allein ihr müßt doch die hieſige auch ein wenig genauer anſehen, und ſie mir ein wenig ſchön heißen.“ „Ich habe ſie ſchön geheißen,“ erwiederte ich, „und wenn meine ganz unbedeutende Meinung etwas gilt, ſo ſoll ihr die Anerkennung gewiß nicht entgehen.“ „Wir beſuchen nun ohnehin alle die Grotte,“ ent¬ gegnete ſie. Nach dieſen Worten ging ſie mit ihrer Begleiterin auf dem Hauptwege gegen die Eppichwand vor, wir folgten. Die anderen kamen in verſchiedenen Rich¬ tungen herzu, und man ging zu der Marmorgeſtalt in der Brunnenhalle. Einige gingen hinein, andere blieben mehr am Eingange ſtehen, und man redete über die Geſtalt. Dieſe ruhte indeſſen in ihrer Lage, und die Quelle rann ſanft und ſtettig fort. Es waren nur allgemeine Dinge, welche über das Bildwerk geſprochen wurden. Mir kam es fremd vor, die gepuzten Menſchen in den verſchiedenfarbigen Kleidern vor dem reinen weißen Stifter, Nachſommer. II. 22

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/351>, abgerufen am 22.11.2024.