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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Von da ging ich in einem großen Umwege der Eppich¬
wand zu, und hatte vor, in die Nimphengrotte zu tre¬
ten, wenn niemand in ihr wäre. Als ich schon nahe
an der Grotte war, und schief in dieselbe blicken
konnte, sah ich, daß Natalie auf dem Marmorbänk¬
lein size, welches sich seitwärts von der Nimphenge¬
stalt befand. Sie saß an dem innersten Ende des
Bänkleins. Ihr blaßgraues Seidenkleid schimmerte
aus der dunkeln Höhlung heraus. Einen Arm ließ
sie an ihrer Gestalt ruhen, den andern hatte sie auf
die Lehne des Bänkleins gestüzt, und barg die Stirn
in ihrer Hand. Ich blieb stehen, und wußte nicht,
was ich thun sollte. Daß ich nicht in die Grotte
gehen wolle, war mir klar; allein die kleinste Wen¬
dung, die ich machte, konnte ein Geräusch erregen,
und sie stören. Aber ohne daß ich ein Geräusch machte,
sah sie auf, und sah mich stehen. Sie erhob sich,
ging aus der Grotte, ging mit beeilten Schritten an
der Eppichwand hin, und entfernte sich in das Ge¬
büsch. In Kurzem sah ich den Schimmer ihres Klei¬
des verschwinden. Eine ganz kleine Zeit blieb ich
stehen, dann ging ich in die Grotte hinein. Ich sezte
mich auf dieselbe Marmorbank, auf der sie gesessen
war, und sah in das Rinnen des Wassers, sah auf

Von da ging ich in einem großen Umwege der Eppich¬
wand zu, und hatte vor, in die Nimphengrotte zu tre¬
ten, wenn niemand in ihr wäre. Als ich ſchon nahe
an der Grotte war, und ſchief in dieſelbe blicken
konnte, ſah ich, daß Natalie auf dem Marmorbänk¬
lein ſize, welches ſich ſeitwärts von der Nimphenge¬
ſtalt befand. Sie ſaß an dem innerſten Ende des
Bänkleins. Ihr blaßgraues Seidenkleid ſchimmerte
aus der dunkeln Höhlung heraus. Einen Arm ließ
ſie an ihrer Geſtalt ruhen, den andern hatte ſie auf
die Lehne des Bänkleins geſtüzt, und barg die Stirn
in ihrer Hand. Ich blieb ſtehen, und wußte nicht,
was ich thun ſollte. Daß ich nicht in die Grotte
gehen wolle, war mir klar; allein die kleinſte Wen¬
dung, die ich machte, konnte ein Geräuſch erregen,
und ſie ſtören. Aber ohne daß ich ein Geräuſch machte,
ſah ſie auf, und ſah mich ſtehen. Sie erhob ſich,
ging aus der Grotte, ging mit beeilten Schritten an
der Eppichwand hin, und entfernte ſich in das Ge¬
büſch. In Kurzem ſah ich den Schimmer ihres Klei¬
des verſchwinden. Eine ganz kleine Zeit blieb ich
ſtehen, dann ging ich in die Grotte hinein. Ich ſezte
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[347/0361] Von da ging ich in einem großen Umwege der Eppich¬ wand zu, und hatte vor, in die Nimphengrotte zu tre¬ ten, wenn niemand in ihr wäre. Als ich ſchon nahe an der Grotte war, und ſchief in dieſelbe blicken konnte, ſah ich, daß Natalie auf dem Marmorbänk¬ lein ſize, welches ſich ſeitwärts von der Nimphenge¬ ſtalt befand. Sie ſaß an dem innerſten Ende des Bänkleins. Ihr blaßgraues Seidenkleid ſchimmerte aus der dunkeln Höhlung heraus. Einen Arm ließ ſie an ihrer Geſtalt ruhen, den andern hatte ſie auf die Lehne des Bänkleins geſtüzt, und barg die Stirn in ihrer Hand. Ich blieb ſtehen, und wußte nicht, was ich thun ſollte. Daß ich nicht in die Grotte gehen wolle, war mir klar; allein die kleinſte Wen¬ dung, die ich machte, konnte ein Geräuſch erregen, und ſie ſtören. Aber ohne daß ich ein Geräuſch machte, ſah ſie auf, und ſah mich ſtehen. Sie erhob ſich, ging aus der Grotte, ging mit beeilten Schritten an der Eppichwand hin, und entfernte ſich in das Ge¬ büſch. In Kurzem ſah ich den Schimmer ihres Klei¬ des verſchwinden. Eine ganz kleine Zeit blieb ich ſtehen, dann ging ich in die Grotte hinein. Ich ſezte mich auf dieſelbe Marmorbank, auf der ſie geſeſſen war, und ſah in das Rinnen des Waſſers, ſah auf

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/361>, abgerufen am 22.11.2024.