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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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"Und nun hat sich alles recht gelöset."

"Es hat sich wohl gelöset, meine liebe liebe Na¬
talie."

"Mein theurer Freund!"

Wir reichten uns bei diesen Worten die Hände
wieder, und saßen schweigend da.

Wie hatte seit einigen Augenblicken alles sich um
mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬
stalt gewonnen, die ihnen sonst nicht eigen war. Na¬
taliens Augen, in welche ich schauen konnte, standen
in einem Schimmer, wie ich sie nie, seit ich sie kenne,
gesehen hatte. Das unermüdlich fließende Wasser die
Alabasterschale der Marmor waren verjüngt; die wei¬
ßen Flimmer auf der Gestalt und die wunderbar im
Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüssig¬
keit rann plätscherte oder pippte oder tönte im einzel¬
nen Falle anders; das sonnenglänzende Grün von
draußen sah als ein neues freundlich herein, und selbst
das Hämmern, mit welchem man die Tünche von
den Mauern des Hauses herabschlug, tönte jezt als
ein ganz verschiedenes in die Grotte von dem, das
ich gehört hatte, als ich aus dem Hause gegangen
war.

Nach einer geraumen Weile sagte Natalie: "Und

„Und nun hat ſich alles recht gelöſet.“

„Es hat ſich wohl gelöſet, meine liebe liebe Na¬
talie.“

„Mein theurer Freund!“

Wir reichten uns bei dieſen Worten die Hände
wieder, und ſaßen ſchweigend da.

Wie hatte ſeit einigen Augenblicken alles ſich um
mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬
ſtalt gewonnen, die ihnen ſonſt nicht eigen war. Na¬
taliens Augen, in welche ich ſchauen konnte, ſtanden
in einem Schimmer, wie ich ſie nie, ſeit ich ſie kenne,
geſehen hatte. Das unermüdlich fließende Waſſer die
Alabaſterſchale der Marmor waren verjüngt; die wei¬
ßen Flimmer auf der Geſtalt und die wunderbar im
Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüſſig¬
keit rann plätſcherte oder pippte oder tönte im einzel¬
nen Falle anders; das ſonnenglänzende Grün von
draußen ſah als ein neues freundlich herein, und ſelbſt
das Hämmern, mit welchem man die Tünche von
den Mauern des Hauſes herabſchlug, tönte jezt als
ein ganz verſchiedenes in die Grotte von dem, das
ich gehört hatte, als ich aus dem Hauſe gegangen
war.

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[409/0423] „Und nun hat ſich alles recht gelöſet.“ „Es hat ſich wohl gelöſet, meine liebe liebe Na¬ talie.“ „Mein theurer Freund!“ Wir reichten uns bei dieſen Worten die Hände wieder, und ſaßen ſchweigend da. Wie hatte ſeit einigen Augenblicken alles ſich um mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬ ſtalt gewonnen, die ihnen ſonſt nicht eigen war. Na¬ taliens Augen, in welche ich ſchauen konnte, ſtanden in einem Schimmer, wie ich ſie nie, ſeit ich ſie kenne, geſehen hatte. Das unermüdlich fließende Waſſer die Alabaſterſchale der Marmor waren verjüngt; die wei¬ ßen Flimmer auf der Geſtalt und die wunderbar im Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüſſig¬ keit rann plätſcherte oder pippte oder tönte im einzel¬ nen Falle anders; das ſonnenglänzende Grün von draußen ſah als ein neues freundlich herein, und ſelbſt das Hämmern, mit welchem man die Tünche von den Mauern des Hauſes herabſchlug, tönte jezt als ein ganz verſchiedenes in die Grotte von dem, das ich gehört hatte, als ich aus dem Hauſe gegangen war. Nach einer geraumen Weile ſagte Natalie: „Und

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/423>, abgerufen am 21.11.2024.