"Es hat sich wohl gelöset, meine liebe liebe Na¬ talie."
"Mein theurer Freund!"
Wir reichten uns bei diesen Worten die Hände wieder, und saßen schweigend da.
Wie hatte seit einigen Augenblicken alles sich um mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬ stalt gewonnen, die ihnen sonst nicht eigen war. Na¬ taliens Augen, in welche ich schauen konnte, standen in einem Schimmer, wie ich sie nie, seit ich sie kenne, gesehen hatte. Das unermüdlich fließende Wasser die Alabasterschale der Marmor waren verjüngt; die wei¬ ßen Flimmer auf der Gestalt und die wunderbar im Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüssig¬ keit rann plätscherte oder pippte oder tönte im einzel¬ nen Falle anders; das sonnenglänzende Grün von draußen sah als ein neues freundlich herein, und selbst das Hämmern, mit welchem man die Tünche von den Mauern des Hauses herabschlug, tönte jezt als ein ganz verschiedenes in die Grotte von dem, das ich gehört hatte, als ich aus dem Hause gegangen war.
Nach einer geraumen Weile sagte Natalie: "Und
„Und nun hat ſich alles recht gelöſet.“
„Es hat ſich wohl gelöſet, meine liebe liebe Na¬ talie.“
„Mein theurer Freund!“
Wir reichten uns bei dieſen Worten die Hände wieder, und ſaßen ſchweigend da.
Wie hatte ſeit einigen Augenblicken alles ſich um mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬ ſtalt gewonnen, die ihnen ſonſt nicht eigen war. Na¬ taliens Augen, in welche ich ſchauen konnte, ſtanden in einem Schimmer, wie ich ſie nie, ſeit ich ſie kenne, geſehen hatte. Das unermüdlich fließende Waſſer die Alabaſterſchale der Marmor waren verjüngt; die wei¬ ßen Flimmer auf der Geſtalt und die wunderbar im Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüſſig¬ keit rann plätſcherte oder pippte oder tönte im einzel¬ nen Falle anders; das ſonnenglänzende Grün von draußen ſah als ein neues freundlich herein, und ſelbſt das Hämmern, mit welchem man die Tünche von den Mauern des Hauſes herabſchlug, tönte jezt als ein ganz verſchiedenes in die Grotte von dem, das ich gehört hatte, als ich aus dem Hauſe gegangen war.
Nach einer geraumen Weile ſagte Natalie: „Und
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0423"n="409"/><p>„Und nun hat ſich alles recht gelöſet.“</p><lb/><p>„Es hat ſich wohl gelöſet, meine liebe liebe Na¬<lb/>
talie.“</p><lb/><p>„Mein theurer Freund!“</p><lb/><p>Wir reichten uns bei dieſen Worten die Hände<lb/>
wieder, und ſaßen ſchweigend da.</p><lb/><p>Wie hatte ſeit einigen Augenblicken alles ſich um<lb/>
mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬<lb/>ſtalt gewonnen, die ihnen ſonſt nicht eigen war. Na¬<lb/>
taliens Augen, in welche ich ſchauen konnte, ſtanden<lb/>
in einem Schimmer, wie ich ſie nie, ſeit ich ſie kenne,<lb/>
geſehen hatte. Das unermüdlich fließende Waſſer die<lb/>
Alabaſterſchale der Marmor waren verjüngt; die wei¬<lb/>
ßen Flimmer auf der Geſtalt und die wunderbar im<lb/>
Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüſſig¬<lb/>
keit rann plätſcherte oder pippte oder tönte im einzel¬<lb/>
nen Falle anders; das ſonnenglänzende Grün von<lb/>
draußen ſah als ein neues freundlich herein, und ſelbſt<lb/>
das Hämmern, mit welchem man die Tünche von<lb/>
den Mauern des Hauſes herabſchlug, tönte jezt als<lb/>
ein ganz verſchiedenes in die Grotte von dem, das<lb/>
ich gehört hatte, als ich aus dem Hauſe gegangen<lb/>
war.</p><lb/><p>Nach einer geraumen Weile ſagte Natalie: „Und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[409/0423]
„Und nun hat ſich alles recht gelöſet.“
„Es hat ſich wohl gelöſet, meine liebe liebe Na¬
talie.“
„Mein theurer Freund!“
Wir reichten uns bei dieſen Worten die Hände
wieder, und ſaßen ſchweigend da.
Wie hatte ſeit einigen Augenblicken alles ſich um
mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Ge¬
ſtalt gewonnen, die ihnen ſonſt nicht eigen war. Na¬
taliens Augen, in welche ich ſchauen konnte, ſtanden
in einem Schimmer, wie ich ſie nie, ſeit ich ſie kenne,
geſehen hatte. Das unermüdlich fließende Waſſer die
Alabaſterſchale der Marmor waren verjüngt; die wei¬
ßen Flimmer auf der Geſtalt und die wunderbar im
Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüſſig¬
keit rann plätſcherte oder pippte oder tönte im einzel¬
nen Falle anders; das ſonnenglänzende Grün von
draußen ſah als ein neues freundlich herein, und ſelbſt
das Hämmern, mit welchem man die Tünche von
den Mauern des Hauſes herabſchlug, tönte jezt als
ein ganz verſchiedenes in die Grotte von dem, das
ich gehört hatte, als ich aus dem Hauſe gegangen
war.
Nach einer geraumen Weile ſagte Natalie: „Und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/423>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.