Ich sah sehr gut ein, was sie sagten, und wußte auch, woher die Fehler kämen, von denen sie redeten. Ich hatte bisher alle Gegenstände in Hinblick auf meine Wissenschaft gezeichnet, und in dieser waren Merkmale die Hauptsache. Diese mußten in der Zeich¬ nung ausgedrückt sein, und gerade die am schärfsten, durch welche sich die Gegenstände von verwandten unterschieden. Selbst bei meinem Zeichnen von An¬ gesichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir. Daher war mein Auge geübt, selbst bei fernen Gegen¬ ständen das, was sie wirklich an sich hatten, zu sehen, wenn es auch noch so undeutlich war, und da¬ für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünste gegeben wurde, weniger zu achten, ja diese Dinge als Hindernisse der Beobachtung eher weg zu denken, als zum Gegenstande der Aufmerksamkeit zu machen. Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der Verstand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬ her immer als wesenlos erschienen war, betrachten und kennen lernen müsse. Durch Luft Licht Dünste Wolken durch nahe stehende andere Körper gewin¬ nen die Gegenstände ein anderes Aussehen, dieses müsse ich ergründen, und die veranlassenden Dinge
Ich ſah ſehr gut ein, was ſie ſagten, und wußte auch, woher die Fehler kämen, von denen ſie redeten. Ich hatte bisher alle Gegenſtände in Hinblick auf meine Wiſſenſchaft gezeichnet, und in dieſer waren Merkmale die Hauptſache. Dieſe mußten in der Zeich¬ nung ausgedrückt ſein, und gerade die am ſchärfſten, durch welche ſich die Gegenſtände von verwandten unterſchieden. Selbſt bei meinem Zeichnen von An¬ geſichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir. Daher war mein Auge geübt, ſelbſt bei fernen Gegen¬ ſtänden das, was ſie wirklich an ſich hatten, zu ſehen, wenn es auch noch ſo undeutlich war, und da¬ für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünſte gegeben wurde, weniger zu achten, ja dieſe Dinge als Hinderniſſe der Beobachtung eher weg zu denken, als zum Gegenſtande der Aufmerkſamkeit zu machen. Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der Verſtand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬ her immer als weſenlos erſchienen war, betrachten und kennen lernen müſſe. Durch Luft Licht Dünſte Wolken durch nahe ſtehende andere Körper gewin¬ nen die Gegenſtände ein anderes Ausſehen, dieſes müſſe ich ergründen, und die veranlaſſenden Dinge
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0061"n="47"/><p>Ich ſah ſehr gut ein, was ſie ſagten, und wußte<lb/>
auch, woher die Fehler kämen, von denen ſie redeten.<lb/>
Ich hatte bisher alle Gegenſtände in Hinblick auf<lb/>
meine Wiſſenſchaft gezeichnet, und in dieſer waren<lb/>
Merkmale die Hauptſache. Dieſe mußten in der Zeich¬<lb/>
nung ausgedrückt ſein, und gerade die am ſchärfſten,<lb/>
durch welche ſich die Gegenſtände von verwandten<lb/>
unterſchieden. Selbſt bei meinem Zeichnen von An¬<lb/>
geſichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre<lb/>
Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir.<lb/>
Daher war mein Auge geübt, ſelbſt bei fernen Gegen¬<lb/>ſtänden das, was ſie wirklich an ſich hatten, zu<lb/>ſehen, wenn es auch noch ſo undeutlich war, und da¬<lb/>
für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünſte<lb/>
gegeben wurde, weniger zu achten, ja dieſe Dinge als<lb/>
Hinderniſſe der Beobachtung eher weg zu denken, als<lb/>
zum Gegenſtande der Aufmerkſamkeit zu machen.<lb/>
Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der<lb/>
Verſtand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬<lb/>
her immer als weſenlos erſchienen war, betrachten<lb/>
und kennen lernen müſſe. Durch Luft Licht Dünſte<lb/>
Wolken durch nahe ſtehende andere Körper gewin¬<lb/>
nen die Gegenſtände ein anderes Ausſehen, dieſes<lb/>
müſſe ich ergründen, und die veranlaſſenden Dinge<lb/></p></div></body></text></TEI>
[47/0061]
Ich ſah ſehr gut ein, was ſie ſagten, und wußte
auch, woher die Fehler kämen, von denen ſie redeten.
Ich hatte bisher alle Gegenſtände in Hinblick auf
meine Wiſſenſchaft gezeichnet, und in dieſer waren
Merkmale die Hauptſache. Dieſe mußten in der Zeich¬
nung ausgedrückt ſein, und gerade die am ſchärfſten,
durch welche ſich die Gegenſtände von verwandten
unterſchieden. Selbſt bei meinem Zeichnen von An¬
geſichtern hatte ich deren Linien ihr Körperliches ihre
Licht- und Schattenvertheilung unmittelbar vor mir.
Daher war mein Auge geübt, ſelbſt bei fernen Gegen¬
ſtänden das, was ſie wirklich an ſich hatten, zu
ſehen, wenn es auch noch ſo undeutlich war, und da¬
für auf das, was ihnen durch Luft Licht und Dünſte
gegeben wurde, weniger zu achten, ja dieſe Dinge als
Hinderniſſe der Beobachtung eher weg zu denken, als
zum Gegenſtande der Aufmerkſamkeit zu machen.
Durch das Urtheil meiner Freunde wurde mir der
Verſtand plözlich geöffnet, daß ich das, was mir bis¬
her immer als weſenlos erſchienen war, betrachten
und kennen lernen müſſe. Durch Luft Licht Dünſte
Wolken durch nahe ſtehende andere Körper gewin¬
nen die Gegenſtände ein anderes Ausſehen, dieſes
müſſe ich ergründen, und die veranlaſſenden Dinge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/61>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.